Die Prävention kleinkindlicher Vergiftungen durch kindergesicherte Verschlüsse und den Ersatz giftiger und ätzender Inhaltsstoffe von Haushaltsprodukten durch weniger gefährliche Substanzen hat die Behandlungsbedürftigkeit und Letalität von Ingestionsunfällen bei Kleinkindern deutlich gesenkt. Bei allen diesen therapeutischen Erfolgen ist jedoch bisher aus methodischen und ethischen Gründen nicht hinreichend belegt, welche und ob überhaupt Methoden der primären Giftentfernung helfen, die Prognose vergifteter Kinder zu verbessern. Das Evidenzniveau aller bisherigen Empfehlungen beruht im Wesentlichen auf Fallserien, kleineren Fallkontrollstudien und Freiwilligenversuchen zur Wirksamkeit der eingesetzten Methoden (Erbrechen, Aktivkohle, Magenspülung). Nach dem Prinzip der bestmöglichen Evidenz wurden deshalb von den europäischen und amerikanischen Fachgesellschaften für Klinische Toxikologie EAPCCT und AACT 1997 Konsensusempfehlungen formuliert und seitdem in Deutschland von allen 10 Giftinformationszentren und den teilweise assoziierten Kliniken einheitlich angewandt. Kern des damals formulierten Paradigmenwechsels ist eine am Einzelfall orientierte, alle individuellen Begleitumstände berücksichtigende Vorgehensweise. Keine primäre Giftentfernungsmaßnahme in der Akutbehandlung vergifteter Kinder und Jugendlicher ist mehr eine Routinemaßnahme, sondern sollte reflektiert und „maßgeschneidert“ erfolgen.