Deutschland, ein Pflegeland? Von wegen. Eine Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK für den Pflege-Report belegt einen unterschiedlich starken Anstieg der Zahl von Pflegebedürftigen. Mit der Demografie allein lasse sich das nicht erklären, so die Kasse.
Regional sehr unterschiedliche Entwicklung beim Pflegebedarf: Blick in ein Pflegeheim.
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Die Zahl pflegebedürftiger Menschen in Deutschland steigt – allerdings regional sehr unterschiedlich, wie aus einer am Dienstag vorgestellten Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) für den Pflege-Report 2024 der Kasse hervorgeht.
Den höchsten Anteil an Pflegebedürftigen verzeichnen die Forscher in Ostdeutschland – außer Sachsen – sowie in Nordrhein-Westfalen, Hessen und im Saarland. Hier waren im vergangenen Jahr zwischen 9,1 und 17,1 Prozent der Versicherten pflegebedürftig und auf Leistungen der sozialen Pflegeversicherung (SPV) angewiesen.
Die höchsten Werte verzeichneten die Wissenschaftler im brandenburgischen Barnim, in der Prignitz und Ostprignitz-Ruppin: Jede sechste Person (15,7 bis 17,1 Prozent) dort ist den Angaben zufolge pflegebedürftig.
Wo es niedrige Pflegeprävalenzen gibt
Im südlichen Bayern und im Südwesten Baden-Württemberg rangierten die Raten bei unter 5,6 Prozent – die niedrigsten Werte wiesen München, Freising und Rosenheim auf, wo nur jede 27. bis 29. Person pflegebedürftig ist. Der Bundesdurchschnitt lag bei sieben Prozent Pflegebedürftigen.
Grundlage der Auswertung des WIdO waren anonymisierte Daten von rund 2,2 Millionen AOK-Versicherten. Die Daten seien so standardisiert worden, dass man damit Aussagen für die gesamte soziale Pflegeversicherung habe treffen können, sagte die Leiterin des Forschungsbereichs Pflege am WIdO und Mitherausgeberin des Reports, Susann Behrendt.
Die Ergebnisse führten vor Augen, „wie heterogen das Thema Pflege in Deutschland ist“, sagte Behrendt. So belege die Analyse, dass sich die regionale Entwicklung der Pflegefallzahlen nicht allein mit der Alterung der Gesellschaft erklären lasse.
Forscher: Mehrere Variablen haben Einfluss
Nur in zwei von bundesweit 400 Kreisen und kreisfreien Städten habe die Pflegeprävalenz der demografisch zu erwartenden Entwicklung entsprochen. In 396 Landkreisen dagegen habe die Zahl der Pflegebedürftigen über dem Wert gelegen, der von der Demografie her zu erwarten gewesen wäre.
Ebenso relevant für das Pflegegeschehen seien der seit 2017 geltende neue Pflegebedürftigkeitsbegriff und die Krankheitslast – Variablen, die im Übrigen auch die „erhebliche regionale Varianz“ bei der Inanspruchnahme von Pflegeleistungen erklärten, erläuterte Behrendt.
Je höher etwa der Anteil an demenziell erkrankten Menschen in einem Landkreis sei, umso geringer liege der Anteil an Pflegebedürftigen mit Pflegegeld und umso höher derer mit Sach- und Kombinationsleistungen. Ähnliches gelte, wenn sich Angehörige – hier vor allem Frauen – und die Pflegebedürftigen kümmerten.
Behrendt warb dafür, zwecks „fundierter Pflegestrukturplanung“ stärker auf Routinedaten der Kranken- und Pflegekassen zurückzugreifen. Diese gingen über die Aussagen amtlicher Statistiken hinaus, auch weil sie regelmäßiger und zeitnaher erhoben würden.
Plädoyer für Caring Communities
Die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Dr. Carola Reimann, erklärte, gerade wegen der großen Unterschiede bei der Entwicklung von Pflegebedürftigkeit komme es darauf an, „was vor Ort, im Quartier, passiert“. Die Kommunen sollten verstärkt Netzwerke aufbauen, die sich aus Pflege- und Gesundheitsfachkräften, Angehörigen sowie ehrenamtlichen Helfern zusammensetzten. Es gehe aber nicht darum, Lücken in der professionellen Pflege durch kostenloses Ehrenamt zu schließen.
Die Generation der Babyboomer stelle das hiesige Pflegesystem vor große Herausforderungen, sei aber zugleich bereit, Sorgeaufgaben im Rahmen sogenannter Caring Communities zu übernehmen, so die AOK-Chefin.
Eine forsa-Umfrage für die AOK unter 2.000 Bundesbürgern – darunter 1.000 aus der Babyboomer-Generation – zeige, dass sich 64 Prozent von ihnen grundsätzlich vorstellen könnten, ehrenamtliche Tätigkeiten in der Pflege zu übernehmen. Gut 40 Prozent der Babyboomer engagierten sich bereits. (hom)
Quelle: Ärzte Zeitung