Auch im Gesundheitssektor: Der Klimawandel erfordert ein Umdenken Alle sprechen über ihn: den Klimawandel. Doch welche Verantwortung hat hier der Gesundheitssektor? Kliniken sind mit einem hohen Energie- und Ressourcenverbrauch verbunden. Herkömmliche Krankenhäuser verbrauchen jeden Tag so viel Energie wie eine Kleinstadt. Und damit sind sie sehr deutlich zu klimarelevanten Unternehmen geworden.
Der Klimawandel ist eine zentrale Bedrohung der Menschheit. Er ist eine der größten Herausforderungen für die öffentliche Gesundheit des 21. Jahrhunderts und ein sich entwickelnder medizinischer Notfall, der die mühsam erzielten Fortschritte der globalen Gesundheit des letzten Jahrhunderts zunichte zu machen droht. Zugleich ist er aber auch eine große Chance, da viele Klimaschutzmaßnahmen mit erheblichen gesundheitlichen Vorteilen (Co-Benefits) einhergehen.
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In den letzten Jahren setzten immer mehr nationale und internationale gesundheitliche Akteure Klimawandel und Gesundheit auf ihre Agenda. Bis vor kurzem hat das Thema im deutschen Gesundheitssektor noch kaum eine Rolle gespielt. Die unmittelbaren Zusammenhänge zwischen Klima und Gesundheit wurden hierzulande auch in der Klimapolitik und von der Klimabewegung noch nicht ausreichend verstanden, berücksichtigt und umgesetzt. Die inzwischen eingetretenen Klimaveränderungen - und deren heute auch bei uns schon spürbaren Folgen - haben frühere negative Prognosen inzwischen bestätigt, in vielen Fällen sogar deutlich übertroffen. Das Überschreiten von sogenannten Kipppunkten wie das Schmelzen des Eises auf Grönland und in der Antarktis, das Schwinden des Regenwaldes am Amazonas und anderswo, die Umkehr von Meeresströmungen und das Auftauen des Permafrostbodens in Sibirien mit Freisetzung enormer Mengen von Methan können Dominoeffekte auslösen, in deren Folge es dann zu einer sich selbst verstärkenden unumkehrbaren Erderhitzung und Entgleisung der Klimastabilität mit katastrophalen Auswirkungen kommen kann.
Internationale Aufrufe für gesundheitlichen Klimaschutz
Führende Gesundheitsorganisationen, die mehr als fünf Millionen Ärzte, Pflegekräfte und Public-Health-Experten und 17.000 Krankenhäuser in über 120 Ländern vertreten, riefen am 12.09.2018 auf dem Global Climate and Health Forum anlässlich des Global Climate Action Summit in San Francisco politische Entscheidungsträger zu entschlossenem und schnellem Handeln gegen die Klimakrise als die größte Bedrohung der Gesundheit auf.
Angesichts der rasanten Entwicklung des Diskurses und der wachsenden Zahl von Akteuren und Aktionen im Gesundheitssektor auf nationaler wie internationaler Ebene war das Thema - von Nischen abgesehen - im deutschen Gesundheitswesen bislang kaum sichtbar. Der Klimawandel war in Ärzteschaft, Verbänden und wissenschaftlichen Fachgesellschaften sowie in Aus- und Weiterbildungen wenig Thema.
Diese lange Indifferenz und Inaktivität gegenüber dem Klimawandel verwundert und lässt sich in Anbetracht seiner Komplexität und Bedrohlichkeit mit den bekannten Verdrängungsmechanismen allein nicht erklären. Dabei erfährt das Thema in der Öffentlichkeit vergleichsweise viel Aufmerksamkeit, und es gibt auch hierzulande eine rege engagierte Zivilgesellschaft.
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In Deutschland bewegtsich etwas
Der Diskurs beginnt sich aber gerade in Deutschland sehr dynamisch zu ändern. Die Zahl der Personen, Institutionen und Organisationen, die sich dem Thema Klimawandel und Gesundheit engagiert widmen, ist größer und vielfältiger als man zunächst vermutet. So arbeitet der Landesverband Berlin der Umweltorganisation BUND seit zehn Jahren am Projekt "Energiesparendes Krankenhaus" und bildet im Rahmen des Förderprojektes KLIK Klimamanager für Krankenhäuser aus. Außerdem vermittelte die vom Bundesumweltministerium geförderte "Klimaanpassungsschule" der Charité (Start 2013) und die daraus hervorgegangene Onlineplattform erstmals Wissen zum Klimawandel für medizinische Fachkräfte.
Im Herbst 2017 hat sich - Vorbildern angelsächsischer Länder folgend - die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) gegründet. Sie versteht sich als ein Netzwerk von bisher etwa 90 Aktiven und einzelnen Organisationen, die aus den Gesundheitsberufen stammen. Im Rahmen der globalen Streik- und Aktionswoche (20.-27. September 2019) wurde außerdem die Initiative "Health for Future" von der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit ins Leben rufen. Es handelt sich hierbei um ein Aktionsforum für Mitarbeiter aus dem Gesundheitssektor, die sich gemeinsam für den Klima- und damit Gesundheitsschutz einsetzen. Unter dem Motto "Gesundheit braucht Klimaschutz" rief Health for Future die Angehörigen der Gesundheitsberufe auf, sich an der globalen Klimastreik- und Aktionswoche mit vielen dezentralen Aktionen im Gesundheitssektor zu beteiligen. Viele Experten der Gesundheitsbranche unterzeichneten diesen Aufruf. Darunter auch Franz Wagner, Präsident des Deutschen Pflegerats (DPR), der seine Berufsgruppe aufforderte, sich den Projekten und Veranstaltungen anzuschließen. Zuvor bezeichnete bereits der Marburger Bund im Mai 2019 den Klimawandel als größte Gefahr für die menschliche Gesundheit. Deshalb müsse er absolute Priorität im gesundheitlichen Handeln bekommen. Ebenfalls im Mai 2019 wurde auf dem Deutschen Ärztetag in Münster beschlossen, den Klimawandel und seine Auswirkungen auf die Gesundheit zukünftig zu einem Schwerpunktthema zu machen. So verabschiedeteten die Delegierten der Berliner Ärztekammer am Tag vor dem weltweiten Klimastreiktag einstimmig ihre erste Klimaresolution. Die Ärztekammer Berlin bekennt sich darin zu ihrer Verantwortung, ihren Beitrag zur Reduzierung des von Menschen gemachten Klimawandels leisten zu müssen. Denn der Klimawandel sei die zentrale Gesundheitsfrage des 21. Jahrhunderts. Der Gesundheitssektor nehme dabei aufgrund seiner Größe eine bedeutende Rolle ein. Ziel müssten klimaneutrale medizinische Einrichtungen des Gesundheitswesens sein.
Der Planet Erde befindet sich in einer akuten Notfallsituation und das zwingt uns Menschen zum Handeln. Wie im Schockraum ist keine Zeit mehr für Zögern und Abwarten.
Die Fridays for Future Demonstrationen am 20.September 2019 unterstützen deutschlandweit viele Beschäftigte im Gesundheitswesen. In Berlin beispielsweise gab es einen eigenen Care-Block und eine Kundgebung vor der Charité. Viele beteiligen sich mit einer verlängerten "aktiven Mittagspause" am Klimastreik. Außerdem gab es deutschlandweit verschiedene Aktionen wie "Klimamahnwachen" und "Klimasprechstunden" in Arztpraxen.
Auch der Treibhausausstoß des Gesundheitssektors erhält immer mehr Beachtung. Die Einrichtungen müssen Verantwortung für ihren Fußabdruck übernehmen und im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen im Jahr 2015 perspektivisch auf Null (Klimaneutralität) reduzieren. Der CO2-Fußabdruck im deutschen Gesundheitssektor wird auf 5,5% der CO2-Emissionen Deutschlands geschätzt. Hier muss auch die Politik für uterstützende Rahmenbedingungen sorgen. Aber: Alle sind aufgefordert, ihren Beitrag zu leisten. Der Wechsel zu Anbietern erneuerbarer Energien beispielsweise ist der erste und leichteste Schritt, den jeder Einzelne und jede Institution ganz leicht machen kann.
Lange wurde das Thema Klimawandel und Gesundheit im deutschen Gesundheitssektor vernachlässigt, vor allem im Vergleich mit den angelsächsischen Ländern. Das Bewusstsein für die Auswirkungen des Klimawandels und die Co-Benefits des Klimaschutzes - auch in gesundheitsökonomischer Hinsicht - ist hier noch wenig vorhanden, geschweige denn handlungsleitend. Auch international fehlt die Stimme deutscher Gesundheitsakteure weitgehend im gesundheitlichen Klimadiskurs und bei den Weltklimakonferenzen. Dies ändert sich aber jetzt. Die zunehmenden Aktivitäten zivilgesellschaftlicher Akteure und die Dynamik der Entwicklung der letzten Zeit sind Grund zur Hoffnung. Die Frage ist allerdings, ob die Zeit noch reicht, um die grundlegenden Änderungen, die die Klimakrise erfordert, rechtzeitig umzusetzen. Es fehlt nicht an Lösungen und den Mitteln, sondern am politischen Willen. Aber das scheint sich, zumindest was die deutsche Politik angeht, wenn auch langsam, zu ändern. Greta Thunberg und die weltweite Streikbewegung der Schüler haben einen großen Anteil daran. Nun sind auch wir Erwachsenen gefordert - im privaten aber auch im gesellschaftlichen Leben -, die Fridays for Future-Bewegung und ihre Forderungen zu unterstützen und Druck auf die Politik auszuüben, dass die wirksame Maßnahmen ergreift, regelmäßig überprüft und anpasst - um ihre eigenen Klimaschutzziele 2030 und die des Pariser Klimaabkommens einzuhalten. Es geht um nichts weniger als die Zukunft unserer Kinder.
Fazit
Die Gesundheitsberufe genießen in der Bevölkerung allgemein ein hohes Vertrauen. Sie eignen sich daher als ideale Mittler, die Zusammenhänge zwischen Klimawandel, Klimaschutz und Gesundheit aufzuzeigen.
Die Akteure müssen selbst ein Bewusstsein für die Thematik entwickeln und begreifen, dass Klimaschutz präventiver Gesundheitsschutz ist.
Klima, Klimaschutz und ihre Auswirkungen auf unsere Gesundheit müssen zentral und übergreifend in der Aus-, Fort- und Weiterbildung verankert werden. Auch in die Aufklärung, Präventions- und Beratungsarbeit mit Patienten kann das Thema produktiv eingebaut werden.
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Mehr Informationen über den Klimaschutz im Gesundheitssektor erhalten Sie hier:
klimawandel-gesundheit.de
healthforfuture.de
Das können Sie tun
Ihre Kollegen, die Öffentlichkeit und die Politik über die Risiken des Klimawandels und die Vorteile von Klimaschutz für die Gesundheit aufklären und sensibilisieren sowie für Klimaschutz als Gesundheitsschutz aktivieren
Eine Klimaschutzpolitik einfordern und unterstützen, die im Einklang mit den Verpflichtungen des Pariser Klima- abkommens steht und den gesundheitlichen Nutzen optimiert
Dafür eintreten, dass Gesundheit - einschließlich gesundheitlicher Folgekostenabschätzungen - bei Klimaschutzplänen in allen Sektoren (Energie, Verkehr, Agrar und Industrie) Berücksichtigung findet
Unseren ökologischen (CO2-)Fußabdruck in der Praxis, dem Krankenhaus, in der Organisation und im privaten Lebensstil überprüfen und reduzieren (erneuerbare Ener-gien, Energieeffizienz, Ressourcen schonen, Ernährungsweise, aktive Mobilität, klimafreundliche Beschaffung); die Dekarbonisierung von Wirtschaft und Gesellschaft kann nur gelingen, wenn alle Sektoren dazu beitragen (5,5% der deutschen Klimagas-Emissionen entfallen auf den Gesundheitssektor)
Klima- und umweltfreundlich investieren, d.h. Investitionen in CO2-intensive und umweltschädliche Kapitalanlagen beenden und in klima- und umweltfreundliche Anlagen umschichten (Divest/Reinvest)
Für die Beendigung der Subventionen für fossile Energien und für einen Preis auf CO2-Emissionen eintreten, der die bislang auf die Allgemeinheit abgewälzten Kosten für Gesundheit und Umwelt abbildet (eine Tonne CO2-verursacht laut Umweltbundesamt Umwelt- und Gesundheitsschäden von etwa 180 Euro);
Für gesunde Lebensstile im Kontext von Klimawandel eintreten, z.B. in der Klinik oder Einrichtung: weniger Fleisch, regionale Anbieter berücksichtigen, mehr aktive Bewegung, Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, weniger Fliegen
Als Sachwalter gesundheitsbezogenen Klimaschutzes tätig werden durch Engagement in einer kommunalen Gesundheits- und Umweltpolitik, die Klimaschutz, Resilienz und Gesundheit sektorenübergreifend denkt
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Kongress Pflege 2020
24. und 25. Januar 2020 / Berlin
Klimaschutz ist auch Gesundheitsschutz. Daher widmet Springer Pflege diesem Thema am 25. Januar auf dem Kongress Pflege 2020 einen ganzen Programmteil. Experten geben Denkanstöße und Handlungstipps für mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen. Sie zeigen aber auch die Herausforderungen für den Gesundheitssektor auf. Bestimmt sind auch für Ihre Klinik spannende Impulse darunter.
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