Trotz etablierter Strukturen klinischer Ethikberatung steht der Notfallmediziner nach wie vor in der Notfallsituation dem Problem gegenüber, medizinisch und ethisch sinnvolle Entscheidungen in kürzester Zeit und oft ohne Kenntnis der Patientenpräferenz treffen zu müssen, da Settings wie klinisches Ethikkomitee, Ethikkonsil oder ethische Fallbesprechung in der Notfallsituation nicht durchführbar sind. Eine besondere Situation stellt die Reanimation dar. Der Behandler kann sich hier nicht auf valide medizinische Daten verlassen, da keine belastbaren Studien zum (Langzeit)überleben nach Reanimation vorliegen und die Studienlage zur Aussichtslosigkeit lebensverlängernder Maßnahmen („futility“) sehr heterogen ist. In verschiedenen Arbeiten wird deshalb auf die notwendige gewissenhafte individuelle Entscheidung des Behandlers verwiesen. In der vorliegenden Arbeit wird die Auffassung vertreten, dass bei einer individuellen Therapieentscheidung unweigerlich moralische Wertvorstellungen des Behandlers und damit ethische Aspekte in die Therapieentscheidung mit einfließen. Die heutige Medizinethik, die sich an den 4 Prinzipien der modernen Bioethik (Fürsorge, Nicht-Schaden, Autonomie und Gerechtigkeit) orientiert, braucht jedoch zumindest zur Bewertung von Fürsorge und Nicht-Schaden einen validen medizinischen Input über Nutzen oder Schaden der geplanten Behandlungsverfahren und damit über Überlebenswahrscheinlichkeit bzw. „futility“ in der gegebenen Situation. Diese Daten sind aktuell nicht valide verfügbar. Die logische Argumentation begibt sich hier in einen Zirkel, aus dem es momentan keinen Ausweg gibt. Das heißt: Auch die Ethik kann hier keine Lösungen anbieten, da sie zur Anwendung ihrer 4 führenden Prinzipien eben jene medizinischen Daten benötigt, die zurzeit noch nicht valide verfügbar sind. In der vorliegenden Arbeit wird auf dieses Problem aufmerksam gemacht und eine Diskussion darüber angestoßen, wie Behandlungsentscheidungen vor diesem Hintergrund zu treffen und zu bewerten sind.