Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Anamnese
Ein 49-jähriger Patient befand sich auf einer mehrere Stunden dauernden Hochgebirgstour in den Schweizer Alpen. Zu Beginn der Tour war die Wetterlage stabil, bis dann plötzlich ein Gewitter aufzog. Die Gruppe befand sich gerade auf einem Eisfeld, als unser Patient einen extrem hellen Impuls wahrgenommen hatte und einige Meter durch die Luft geschleudert wurde. Initial bestand eine kurze Bewusstlosigkeit sowie eine vorübergehende Taubheit am rechten Arm. Nach Stabilisierung der Situation stieg die Gruppe dann weiter ab und trat die Rückreise mit dem Auto nach München an, wo sich der Patient in unserer Notaufnahme vorstellte. Der Patient konnte sich an das Ereignis erinnern, kardiale Vorerkrankungen bestanden nicht. Die Medikamenten- und Konsumanamnese war unauffällig.
Befund
Im Bereich der Nase rechts sowie der rechten Wange bestanden jeweils wenige Millimeter messende Verbrennungsspuren der Haut im Sinne von Stromeintrittspforten sowie eine ebenfalls wenige Millimeter messende Austrittsstelle am Zeigefinger der rechten Hand. Abschürfungen und Rötungen fanden sich im Bereich des linken Knies nach Sturz. Im EKG zeigte sich ein normofrequenter Sinusrhythmus mit dezenten ST-Hebungen in aVL, V5 und V6. Die Kreatinkinase(CK)-Werte waren mit 5224 U/l (Normwert ≤ 189 U/l) erhöht. Das hochsensitive hsTroponin‑T war negativ.
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Diagnose
Bei unserem Patienten lag ein Hochspannungsstromunfall nach Blitzschlag vor.
Therapie und Verlauf
Während der kontinuierlichen Monitorüberwachung auf unserer Aufnahmestation war der Patient stets beschwerdefrei. Rhythmusstörungen traten nicht auf. Neben der initialen Bestimmung des Troponins erbrachte auch eine weitere Bestimmung im Verlauf einen negativen Befund. Die CK-Werte waren ebenfalls rückläufig und standen a. e. im Zusammenhang mit der körperlichen Belastung. Das EKG war unverändert, wobei die diskreten Veränderungen als a. e. unspezifisch zu werten waren.
Diskussion
Stromunfälle begegnen uns sowohl in der präklinischen als auch der innerklinischen Notfallversorgung regelmäßig. Das Ausmaß der Schäden für den Patienten ist dabei äußert variabel. Meist kommt es nur zu minimalen Verletzungen, aber auch lebensbedrohliche Verbrennungen, Traumata und Schäden an inneren Organen, oft verbunden mit erheblichen Spätkomplikationen, sind möglich [10]. Die Wahl der richtigen Einrichtung für die Weiterversorgung wird meist präklinisch getroffen, nur äußerst selten kommt es zu sekundären Weiterverlegungen z. B. in spezialisierte Verbrennungszentren.
Die häufigsten Komplikationen sind kardiale Komplikationen in Form von Rhythmusstörungen oder Verletzungen des Myokards. Vor dem Hintergrund der meist knappen Ressourcen in den Notaufnahmen muss zur Behandlung dieser Patienten ein möglichst evidenzbasierter Algorithmus gewählt werden, der größtmögliche Sicherheit bietet und gleichzeitig unnötige Hospitalisierungszeiten sowie übermäßige Bindung von apparativen und personellen Kapazitäten vermeidet. Die meisten kardialen Ereignisse treten zeitnah nach dem Unfallereignis auf [4]. Aber auch einzelne Berichte beschreiben noch verspätet auftretende Rhythmusstörungen. Allerdings fehlt bei vielen dieser Patienten das initiale EKG und es ist oft nicht klar, ob die zeitlich versetzt beobachteten Rhythmusstörungen nicht bereits seit längerer Zeit bestanden. Ein kausaler Zusammenhang zwischen Stromschlag und Rhythmusstörung ist hier in der Regel nicht belegbar [9]. Die Datenlage beim Stromunfall beruht hauptsächlich auf retrospektiven Analysen, teilweise sogar mit relativ kleinen Fallzahlen. Prospektive Untersuchungen existieren nur begrenzt [1].
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In der aktuellen Literatur besteht weitgehend Konsens über das initiale Vorgehen beim Stromunfall. Am Anfang der Behandlung sollte eine Risikoeinschätzung stehen und eine Aufteilung in eine relativ große Gruppe mit einem niedrigen Risiko für schwerwiegende kardiale Komplikationen und in eine Hochrisikogruppe diesbezüglich erfolgen. Schwerwiegende kardiale Komplikationen erfassen Myokardinfarkt, Myokarditis, das Tako-Tsubo-Syndrom, ventrikuläre Tachykardien, Kammerflimmern, Herzstillstand und Tod. In der Gruppe mit niedrigem Risiko ist eine frühzeitige Entlassung, wenn es nicht andere Gründe für eine stationäre Weiterbehandlung gibt, sicher (Abb. 1). Gründe für eine stationäre Weiterbehandlung sind z. B. relevante Haut- und Weichteilverletzungen [5]. Bei Patienten mit Herzschrittmacher sollte dessen Funktion auf alle Fälle vor Entlassung kontrolliert werden. In der Hochrisikogruppe ist eine kontinuierliche Monitorüberwachung in der für die jeweilige Klinik dafür geeigneten Behandlungseinheit indiziert.
Abb. 1
Algorithmus zum Vorgehen bei Stromunfall
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Zur Risikoeinschätzung muss bei jedem Patienten mit Stromunfall ein initiales EKG abgeleitet werden. Ein hohes Risiko besteht, wenn mindestens eines dieser Kriterien erfüllt wird: 1) Hochspannungsverletzung (> 1000 V), 2) Bestehen kardialer Vorerkrankungen, 3) initiale Bewusstlosigkeit, 4) jegliche Art von EKG-Veränderungen [7, 10]. Der Nutzen einer initialen Troponinbestimmung bei jedem Patienten mit Stromunfall wird durchaus kontrovers diskutiert [10]. Da es zum Einsatz von Troponin beim Stromunfall keine klaren Empfehlungen gibt, unterscheiden sich die Herangehensweisen [3, 10]. Zur Bewertung des Einsatzes von Troponin beim Stromunfall kann nur auf retrospektive Analysen zugegriffen werden [3]. Aufgrund der allgemein guten Verfügbarkeit von Troponin-Assays und des schnellen Erhalts der Ergebnisse halten wir die Bestimmung dieses Enzyms bei jedem Patienten mit Stromunfall für vertretbar. Erhöhte Troponinwerte definieren in unserem Algorithmus somit auch unabhängig von den anderen genannten Kriterien ein hohes Risiko (5). Die Verwendung von Kreatinkinase als Marker für kardiale Ischämien ist aufgrund der niedrigen Sensitivität und der oftmals aufgrund von Verletzungen des Skelettmuskels erhöhten Werte nicht sinnvoll.
In der Hochrisikogruppe sollte mindestens eine zweite Troponinbestimmung im Verlauf erfolgen. Da es keine prospektiven Daten in diesem spezifischen Patientenkollektiv gibt, ist eine Orientierung an den entsprechenden Leitlinien zur Troponinbestimmung beim Nichthebungsinfarkt pragmatisch [3]. Da in den Leitlinien ein 0 h/1 h-Algorithmus bei der Bestimmung mit hochsensitiven Assays als beste Option empfohlen wird, setzen wir diesen Algorithmus auch in unserer Notaufnahme so um [2].
Für die Überwachung der Risikopatienten muss ein differenzierter und ggf. individueller Weg gewählt werden [9]. Zur Dauer der Monitorüberwachung existieren keine eindeutigen Leitlinien. In der Literatur werden Überwachungszeiten von 6–24 h diskutiert, nach denen bei unauffälligem Verlauf eine Entlassung möglich ist [3, 9]. Bei normalem EKG, Beschwerdefreiheit, negativen Troponinwerten und unauffälliger Überwachung kann bei unserem Algorithmus nach 6 h eine Entlassung erfolgen. Bei ansteigenden Troponinwerten sowie klinischen Auffälligkeiten, wie Synkopen, Übelkeit, Schwindel oder Rhythmusstörungen, muss die Überwachungszeit ausgedehnt werden, ggf. muss eine Verlegung auf die Intensivstation erfolgen. Hierzu existieren für das betroffene Patientenkollektiv keine spezifischen Algorithmen, sodass individuelle Handlungsmaßnahmen erfolgen müssen.
Blitzunfälle sind selten, die Letalität liegt bei bis zu 30 %. Hierbei unterscheiden sich die Diagnostik und Behandlung nicht von denjenigen bei anderen Hochspannungsstromunfällen [5]. Unser Patient hatte aufgrund des Blitzschlages nur geringe Verletzungen erlitten, die auch keine spezielle Wundversorgung notwendig machten. Aufgrund der Hochspannungsverletzung durch Blitzschlag, der initialen Bewusstlosigkeit und der wenn auch nur diskreten EKG-Veränderungen bestanden gleich mehrere Kriterien für die Einteilung in eine Hochrisikogruppe und somit eine Indikation zur kontinuierlichen Monitorüberwachung. Stromunfälle durch Blitzschlag können zu erheblichen Traumata mit oft tödlichem Ausgang führen [6]. Eine schwerwiegende Komplikation ist der plötzliche Herztod entweder durch Kammerflimmern oder Asystolie. Häufig finden sich auch neurologische Manifestation im Sinne einer Enzephalopathie, intrakranieller Blutungen und Neuropathien sowie Beeinträchtigungen des Seh- und Hörvermögens. Ausgeprägte Verbrennungen mit erheblichen Weichteilschäden sind möglich. Es kann zu pulmonalen Komplikationen, wie Lungenkontusionen, Lungenödem, ARDS und pulmonalen Hämorrhagien, kommen oder auch zu Schädigungen anderer innerer Organe wie der Leber, der Milz oder des Gastrointestinaltrakts [8].
Fazit für die Praxis
Eine 24-stündige Monitorüberwachung bei jedem Patienten mit Stromunfall, wie oft noch üblich, ist nicht indiziert. Vielmehr sollte initial eine Risikoeinschätzung für schwerwiegende kardiale Komplikationen erfolgen. In der Gruppe mit niedrigem Risiko ist eine rasche Entlassung sicher. In der Gruppe mit hohem Risiko muss eine kontinuierliche Monitorüberwachung erfolgen. Die Dauer der Überwachung ist vom individuellen Verlauf abhängig.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
M. Wörnle gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patient/-innen zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern/Vertreterinnen eine schriftliche Einwilligung vor.
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