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Erschienen in:

01.10.2024 | Pflege Management

Pflegekompetenzgesetz: Erster Schritt zu Handlungsautonomie

verfasst von: Prof.in Dr. rer. cur. Sandra Bensch

Erschienen in: Pflegezeitschrift | Ausgabe 11/2024

Der Referentenentwurf liegt vor Menschen mit komplexen Versorgungsbedarfen brauchen entsprechend qualifizierte und handlungsfähige Pflegefachpersonen. Advanced Practice Nurses besitzen das erforderliche Wissen und die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten, um eigenverantwortlich im Sinne der Patient*innen zu handeln. Noch hinkt die dazu nötige Handlungsautonomie hinterher. Schafft das Pflegekompetenzgesetz Abhilfe? Eine Einschätzung.
Seit der diesjährigen Ausgabe 7 berichten Advanced Practice Nurses (APN) aus den USA und Deutschland in der PflegeZeitschrift, wie sie eigenverantwortlich Anamnese, Diagnostik und Behandlungsplanung für Menschen mit Pflegebedarf in der Akut- und Langzeitpflege und die Koordination der interdisziplinären Zusammenarbeit übernehmen. Sie betonen, dass der Schlüssel zur Professionalisierung vor allem in der Akademisierung liegt. Nach ihrer Überzeugung gehört dazu, sich stets fortzubilden und auf dem neuesten pflegewissenschaftlichen Stand im jeweiligen Pflegegebiet zu sein. Für Deutschland gehören diese Aufgaben und Einstellungen noch nicht zum Tagesgeschäft von Pflegefachpersonen. Nun ist der Referentenentwurf des Pflegekompetenzgesetzes (PKG) (BMG 2024) veröffentlicht. Ein Schritt in Richtung Advanced Practice Nursing?

Missing: Definition „Pflegekompetenz“

Der Begriff „Pflegekompetenz“ ist ein etablierter Begriff in der Pflegewissenschaft und wird oft mit Benners „From Novice to Expert“ (vgl. Benner 1982) verbunden. In Deutschland haben sich u.a. die Pflegewissenschaftlerinnen Elisabeth Holoch und Christa Olbrich damit beschäftigt. Holoch (2002) resümiert zur Entstehung von Pflegekompetenz, „dass klinisch-pragmatische Kompetenzen des Fallverstehens in Situationen, in denen es um die Unterstützung bei oder Kompensation von Selbstpflegehandlungen geht, getragen sind von einer ethisch-fürsorglichen Einstellung.“ (ebd., S. 116) Sie schließt an, dass pflegekompetent handeln auch heiße, über Pflege zu sprechen und Pflege in Begriffe zu fassen (vgl. ebd.). Olbrich (1999) betont, dass Pflegekompetenz „in ihrer Spezifität immer in Bezug zum Patienten zu verstehen“ (ebd., S. 105) sei und expliziert zum regelgeleiteten bis aktiv-ethischen Pflegehandeln (vgl. ebd.). Ein Blick ins PKG lässt diese pflegewissenschaftlichen Herleitungen vermissen. Wahrscheinlich werden Politik und Pflegeprofession im PKG-Umsetzungsdiskurs unterschiedliche Sprachen sprechen. Zu empfehlen ist Sensibilität für „Übersetzungshilfen“.

Weiche Formen im Elften Sozialgesetzbuch

Das PKG geht zunächst auf Änderungen in der Pflegeversicherung (SGB XI) ein. Es trifft hauptsächlich Aussagen zu Leistungen für Menschen, die von Pflegebedürftigkeit bedroht sind oder einen Pflegegrad besitzen. Die Pflegewissenschaftlerin Martina Hasseler hat unlängst davor gewarnt, dass SGB XI mit Pflegefachberufen zu verwechseln und aufgezeigt, dass der Begriff „Pflegebedarf“ im SGB XI konsequent falsch benutzt werde (vgl. ebd. 2024). Aussagen zu Aufgaben von Pflegefachpersonen im SGB XI sind im PKG vor allem:
  • § 5 Abs. 1a Pflegefachpersonen können im Rahmen von z. B. Pflegeberatung nach § 7a bzw. § 37 Abs. 3 SGB XI Empfehlungen zu verhaltensbezogenen Präventionen aussprechen.
  • § 40 Abs. 6 Pflegefachpersonen können im Rahmen von z. B. häuslicher Krankenpflege nach § 37 SGB V und Pflegeberatung nach § 37 Abs. 3 SGB XI konkrete Empfehlungen zur Hilfsmittel- und Pflegehilfsmittelversorgung abgeben.
Wofür ‚können‘ und nicht ‚sollen‘? Vermutlich geht es mit der Können-Formulierung um Kostensteuerung. ‚Sollen‘ gleicht juristisch einer Verpflichtung. Das deutsche Gesundheitssystem ist auf Kuration ausgerichtet und wenig auf Gesundheitsförderung und Prävention. Daher stellt sich die Frage: Wie hoch sind die Erfolgsaussichten derlei Empfehlungen bei Pflege- bzw. Krankenkassen?

Fünftes Sozialgesetzbuch mit reglementiertem Pflegevorbehalt

Das SGB V kennt bisher nur den Arztvorbehalt, festgelegt in den §§ 15 Abs. 1 und 28 Abs. 1 SGB V. Dazu gehört Heilkunde, die per Definition jede Tätigkeit ist, die auf die Feststellung, Heilung oder Linderung einer Krankheit, eines Leidens oder eines Körperschadens abzielt (Kurtenbach 2012). Zu Aufgaben für Pflegefachpersonen lassen sich im PKG zum SGB V u. a. folgende Aussagen finden:
  • § 15a Pflegerische und heilkundliche Leistungen werden durch Pflegefachpersonen unter Beachtung der Pflegeprozessverantwortung nach § 4 PflBG erbracht. Erweiterte heilkundliche Leistungen können bei entsprechend erworbenen Kompetenzen von Pflegefachpersonen nach § 1 Satz 2 (Fassung vom 1. Januar 2025) oder gleichwertiger Qualifikation bzw. nach § 37 Abs. 1 Nr. 6-8 erbracht werden.
  • § 73d Abs. 1 Nr. 1-3 Spitzenorganisationen und Kassenärztliche Bundesvereinigung vereinbaren einen Katalog an erweiterten heilkundlichen Leistungen, die Pflegefachpersonen nach ärztlicher Diagnose und Indikationsstellung erbringen können. Zudem wird ein Katalog an Leistungen häuslicher Krankenpflege einschließlich benötigter Hilfsmittel vereinbart. Die pflegerischen Vorbehaltsaufgaben sind in beiden Katalogen zzgl. Rahmenvorgaben zur interprofessionellen Zusammenarbeit zu berücksichtigen.
Unterschieden wird zwischen heilkundlichen und erweiterten heilkundlichen Leistungen. Zu klären ist, wie berufsschulisch qualifizierte und hochschulisch primärqualifizierte Pflegefachpersonen nach PflBG per se Heilkunde übertragen bekommen und wie die Übertragung erweiterter Heilkunde bei Diabetes Mellitus, Demenz und chronischen Wunden (vgl. Referentenentwurf PKG, S. 145 ff.) bei entsprechender Qualifizierung der Pflegefachperson aussehen wird. Der Arztvorbehalt wird hier nicht komplett aufgehoben.

Erweiterung der Vorbehaltsaufgaben und Verhalten von Politik, Pflegewissenschaft und Pflegepraxis

Im Frühjahr als „planwidrige Regelungslücke“ (DGP 2024, S. 12) bezeichnet, zieht die Planung der Pflege als Vorbehaltsaufgabe in § 4 PflBG ein, gefolgt von selbstständiger Heilkundeausübung nach § 4a PflBG. Bisher sind die Vorbehaltsaufgaben nur im Berufszulassungsgesetz (PflBG), nicht im Leistungserbringungsrecht (u.a. SGB V und XI) verankert. Das ändert sich mit dem PKG, siehe etwa „pflegerische Leistungen“ in § 15a SGB V oder „Steuerung des Pflegeprozesses“ in § 11 Abs. 1 SGB XI.
Das PKG ist kein großer Wurf, aber ein erster Schritt. Der zweite Teil, das Advanced Practice Nurses-Gesetz steht noch aus. Chancen auf Weiterentwicklung der Pflegeprofession sind mit dem PKG in Sicht. Es soll unter anderem ein dauerhaftes Amt der/des Beauftragten der Bundesregierung für Pflege (§ 10a SGB XI), eine fachlich fundierte Personal- und Organisationsentwicklung durch eine unabhängige qualifizierte Institution (§ 113c Abs. 9 SGB XI) und die Inanspruchnahme wissenschaftlicher Expertisen zur Inhaltsausgestaltung pflegerischer und heilkundlicher Leistungen (§ 8 Abs. 3c SGB XI) geben. Das heißt vor allem für die
  • Politik: hören, was Pflegefachvertreter*innen an Begriffen und Zusammenhängen inhaltlich transportieren und sich zum Wohle der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung in Deutschland auf die Botschaften einlassen
  • Pflegewissenschaft: in der wissenschaftlichen Argumentation bleiben und neben der eigenen Sichtweise andere evidenzbasierte Sichtweisen zulassen und Gremienarbeit für die pflegewissenschaftliche Auseinandersetzung nutzen
  • Pflegepraxis: die Chancen der Veränderung erkennen, für die Versorgungssicherheit von Menschen mit Pflegebedarf bzw. für die Professionsentwicklung und als Pflegefachperson mit KrPflG, AltPflG-Qualifikationen oder nichtakademischen Fachweiterbildungen Anschlusswege eigener Berufskarrieren mitkreieren und -tragen (vgl. Referentenentwurf PKG, S. 77ff., Genz & Gahlen-Hoops 2024, S. 289).
Constanze Eylmann schreibt: „In der Pflege könnten sich Praxisformen dadurch verändern, dass Menschen mit anderem Habitus in das Feld eintreten.“ (Eylmann 2024, S. 72) Das stimmt und es geht um Habitusentwicklung der vorhandenen Menschen im Feld. Das gelingt vorrangig durch weitreichende politische Entscheidungen pro Profession Pflege.

Literatur:

Fazit

Der Entwurf des Pflegekompetenzgesetzes (PKG) ist ein erster Schritt hin zu Handlungsautonomie für Pflegefachpersonen und ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Entwicklung der Pflegeprofession.

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Metadaten
Titel
Pflegekompetenzgesetz: Erster Schritt zu Handlungsautonomie
verfasst von
Prof.in Dr. rer. cur. Sandra Bensch
Publikationsdatum
01.10.2024
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Pflegezeitschrift / Ausgabe 11/2024
Print ISSN: 0945-1129
Elektronische ISSN: 2520-1816
DOI
https://doi.org/10.1007/s41906-024-2728-3