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Erschienen in:

01.07.2024 | Pflege Alltag

Livestream aus dem Krankenzimmer

verfasst von: Joel Smolibowski

Erschienen in: Heilberufe | Ausgabe 7-8/2024

Videos am Patientenbett Medfluencer, Influencer mit Contentbezug zum Gesundheitssystem, bringen ein Phänomen ins Rampenlicht, vor dem viele Menschen viel zu lange die Augen verschlossen haben. Sie berichten über Kollegen, die im Patientenzimmer filmen und sensible Daten ihrer Patienten live streamen.
Die Livestreams offenbaren eine erschreckende Gleichgültigkeit der Täter bezüglich der Belange der Patienten, gepaart mit einem fehlenden Unrechtsbewusstsein und einer atemberaubenden Ahnungslosigkeit über die rechtlichen Konsequenzen ihres Tuns für die Einrichtung und sich selbst. Auch die Einrichtungen machen einen eher hilflosen Eindruck beim Umgang mit streamendem Personal. Sie ergreifen in der Regel halbherzige Maßnahmen, anstatt wirklich strukturelle Veränderungen herbeizuführen. In den meisten Fällen wird dem Täter gekündigt und der Vorfall geht zum Datenschutzbeauftragten. Dabei stellen diese Vorfälle keine harmlosen Streiche, sondern schwere Compliance-Vorfälle dar, die weit über eine Datenschutzproblematik hinausgehen.
Allein der Umstand, dass es - anders als in den USA - in Deutschland keine ausgeprägte Klagekultur gibt, hat die Krankenhäuser und Pflegeheime bisher vor großem finanziellem Schaden bewahrt. Doch das kann sich in Zukunft ändern. Auch die Ämter nehmen, so Medfluencer Kevin Hartwig, das Influencerproblem im Pflegebereich nicht immer ernst. So habe eine Mitarbeiterin eines kontaktierten Gesundheitsamtes gebeten „die Kirche im Dorf zu lassen“ und Kevin gefragt, „warum er denn so übertreibe“.

Strafrechtliche Folgen unerlaubten Streamens

Von „übertreiben“ kann in diesem Zusammenhang aber gar keine Rede sein. Allein der Katalog der in Frage kommenden strafrechtlichen Vergehen ist beachtlich. Zunächst ist durch die Aufnahmen von vertraulichen Patientengesprächen § 201 StGB (Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes) verletzt. Täter können hier mit bis zu drei Jahren Haft oder Geldstrafe bestraft werden. Durch die Filmaufnahmen macht sich der Influencer in der Regel auch gem. § 201a (Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen) strafbar, was mit bis zu zwei Jahre Gefängnis oder Geldstrafe geahndet wird. Werden in diesem Zusammenhang absichtlich oder wissentlich Genitalien, das Gesäß, die weibliche Brust oder diese Körperteile bedeckende Unterwäsche gefilmt, liegt außerdem eine Verletzung des Intimbereichs durch Bildaufnahmen gem. § 184k StGB vor; mit einer Strafe von bis zu zwei Jahren Gefängnis oder Geldstrafe.
Wird durch den Stream unbefugt ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis offenbart, so drohen gemäß § 203 StGB Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr oder Geldstrafen. Da der Influencer diese, nach § 203 StGB anvertrauten Geheimnisse für seinen Stream und somit seinem persönlichen Nutzen braucht, kann er sich auch gemäß § 204 StGB (Verwertung fremder Geheimnisse) strafbar machen (bis 2 Jahre Haft oder Geldstrafe).
Erfährt der Patient später von seiner Verfilmung und erleidet pathologische Symptome (z.B. Stress), könnte auch der Tatbestand einer Körperverletzung gem. § 223 StGB gegeben sein, der mit bis zu fünf Jahren Freiheits- oder Geldstrafe zu Buche schlägt. Zur strafrechtlichen Verurteilung kommen noch Anwalts- und Prozesskosten in nicht unerheblicher Höhe. Außerdem erfolgt bei einer Verurteilung von mindestens 90 Tagessätzen eine Eintragung in das polizeiliche Führungszeugnis, das bei einer Einstellung vorgelegt werden muss.

Arbeitsrechtliche Konsequenzen

Wird der Fall eines unerlaubten Streamings am Arbeitsplatz dem Arbeitgeber bekannt, folgt in der Regel die fristlose Kündigung.
Schadensersatz und Schmerzensgeld: Bei einer schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung kann neben dem Anspruch auf Schadensersatz auch eine Geldentschädigung für immaterielle Schäden ausgesprochen werden. Dieser Anspruch wird häufig Schmerzensgeld genannt. Da eine Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch eine Internetveröffentlichung nicht anders behandelt wird als eine Entschädigung wegen eines Artikels in den Print-Medien kann, je nach Verbreitung und Intensität des Eingriffs, schnell ein fünfstelliger Betrag erreicht werden. Macht der Anwalt des Geschädigten die Ansprüche zunächst einmal gegen die Einrichtung geltend (da sich der Influencer schnell in die Insolvenz flüchten kann), hat das Haus die Möglichkeit, im Rahmen des Regresses alle entstandenen Kosten wiederum gegenüber dem Mitarbeiter geltend zu machen.
Image- und Vertrauensschaden: Neben den Folgen für die betroffenen Patienten durch die Verletzung der Persönlichkeitsrechte und des Datenschutzes, bedeutet ein solcher Fall auch immer einen immensen Imageschaden für die Gesundheitseinrichtung.
Datenschutz - Meldepflicht: Gemäß Art. 33 Abs. 1 Satz 1 DSGVO muss im Falle einer Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten durch unerlaubtes Streamen, der Verantwortliche in der Einrichtung unverzüglich und möglichst binnen 72 Stunden, nachdem ihm die Verletzung bekannt wurde, diese der gemäß Art. 55 DSGVO zuständigen Aufsichtsbehörde melden.
Persönliche Haftung: Ignorieren Vorstände oder Geschäftsführungen der Einrichtungen die Gefahren, kann dies eine persönliche Haftung wegen Organisationsverschulden nach sich ziehen. Vorstände und Geschäftsführer haben die Legalitätspflicht und die Pflicht zur Legalitätskontrolle (Vgl. Rack, CB-Test: Die Organisationspflicht nach höchstrichterlicher Rechtsprechung, in Compliance-Berater 5/2013). Danach haben sie Maßnahmen zu treffen, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden. Insbesondere haben sie ein Überwachungssystem einzurichten. Nach § 130 OWiG sind Aufsichtsmaßnahmen vorgeschrieben, die erforderlich sind, um „Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern oder wesentlich zu erschweren“.

Wenn soziale Netzwerke zur Realität werden

Die sozialen Netzwerke sind für viele junge Menschen zur maßgeblichen Realität geworden. Maßstab für Erfolg und Glück im Leben sind die Reichweiten im Netz. Damit unterscheiden sich die Digital Natives von der Generation der Baby-Boomer, also all jenen, die noch ohne Computer und Handy groß geworden sind. Das Empfinden, dass das Internet ein großes Loch in die Privatsphäre reißt, ist nicht vorhanden. Im Gegenteil: Die Internet-Community ist ein wichtiger Teil des sozialen Netzes geworden und wird als Teil des privaten Lebens verstanden. Hinzu kommt, dass in der Ausbildung die rechtlichen Aspekte oft zu kurz kommen und, wenn überhaupt - nur punktuell und kurzfristig im Gehirn abgespeichert wurden. Fundierte Rechtskenntnisse sind in der Regel nicht vorhanden.
Wirksame Mittel zur Verhinderung sind beständiges Üben des gewünschten Verhaltens. Eine wirksame Strategie hängt aber immer von den Gegebenheiten des Einzelfalles ab.

Organisationspflichten zur Risikoanalyse

Die konkretisierten Organisationspflichten zur Risikoanalyse ergeben sich aus den Gerichtsurteilen des Reichsgerichts und des BGH seit 1911. Die wichtigsten sind:
1.
Vorstände sind verpflichtet, sich aktiv Informationen über Risikofaktoren durch ein Meldesystem selbst zu beschaffen, auch wenn die Risikofaktoren versteckt und nicht offensichtlich sind. (RG, 14.12.1911 - VI 75/11, RGZ 78, 107 [Kutscher-Urteil], seitdem ständige Rechtsprechung).
 
2.
Alle Risiken und Gefahrenquellen sind im Unternehmen zu erfassen. Die Risikoermittlung muss unverzüglich betrieben werden, sobald ein Indiz auf einen drohenden Schadensverlauf schließen lässt (RG, 28.11.1913 - III 194/13, RG Warn. 1914 35, 50 [Neuzement-Urteil]).
 
3.
Bei einem Risikofaktor sind alle Erfahrungen heranzuziehen, die eine Schadensprognose rechtfertigen (BGH, 25.10.1951 - III ZR 95/50, BGHZ 4, 1 [Benzinfahrt-Urteil]).
 
4.
Für die Annahme von Risiken kann auf die allgemeine Lebenserfahrung als Erkenntnisquelle zurückgegriffen werden. Alle Erfahrungen aus dem regelmäßigen und gewöhnlichen Verlauf der Dinge sind heranzuziehen (BGH, 13.5.1955 - I ZR 137/53, BGHZ 17 (1955), 214 [Bleiwaggon-Urteil], mit Bezug auf [Neuzement-Urteil]).
 
5.
Risiken sind als drohende Schäden auch für immaterielle Rechtsgüter wie Reputation, Image und Kreditwürdigkeit zu berücksichtigen (BGH, 10.5.1957 - I ZR 234/55, BGHZ 24 (1957), 200 [Presseangriff-Urteil]).
 
6.
Die Risikofrüherkennungspflicht setzt nicht erst dann ein, wenn Missstände bekannt sind und öffentlich erörtert werden (RG, 27.11.1916 - VI 275/16, RGZ 89 (1917), 136 [Asphaltvertiefungs-Urteil]).
 

Fazit

Die Gefahr des unerlaubten Streamens muss erkannt und ernstgenommen werden, strukturelle Defizite sind immer eine Angelegenheit der Geschäftsführung.
Das gewünschte Verhalten muss definiert und erlernt werden - Verbote sind auf den ersten Blick einfacher, aber schwerer durchzusetzen.
Die Wurzel des Übels liegt in einem über Jahre erlernten Werte- und Verhaltenskodex, der mühsam abtrainiert werden muss. Einzelmaßnahmen sind völlig sinnlos.

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Metadaten
Titel
Livestream aus dem Krankenzimmer
verfasst von
Joel Smolibowski
Publikationsdatum
01.07.2024
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Heilberufe / Ausgabe 7-8/2024
Print ISSN: 0017-9604
Elektronische ISSN: 1867-1535
DOI
https://doi.org/10.1007/s00058-024-3640-3