01.05.2011 | Leitthema
Leichtes Schädel-Hirn-Trauma unter Antikoagulation
Erhöhtes Risiko für intrakranielle Blutung?
Erschienen in: Notfall + Rettungsmedizin | Ausgabe 4/2011
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Hintergrund
Mit zunehmendem Alter der Bevölkerung ist wegen der erhöhten Komorbidität und Sturzneigung mit einer Zunahme von Schädel-Hirn-Traumata (SHT) zu rechnen. Ältere Patienten leiden allerdings häufig an internistischen oder neurologischen Erkrankungen, die eine Antikoagulation (AC) mittels Acetylsalicylsäure (ASS) bzw. Clopidogrel oder Cumarinen erfordern. Ein einheitliches diagnostisches und therapeutisches Vorgehen für SHT-Patienten, die unter AC stehen, konnte bislang nicht identifiziert werden.
Ziel
Evidenzbasierter Review mit der Fragstellung, ob bei Patienten mit leichtem SHT und bestehender AC ein signifikant höheres Risiko für das Auftreten einer intrakraniellen Blutung (ICB) besteht.
Material und Methode
Mittels systematischer Literaturrecherche in Pubmed, MEDLINE und manueller Recherche wurden Veröffentlichungen zwischen 1992 und 2010 analysiert. Suchbegriffe waren: minimal, minor, mild traumatic brain injury bzw. head trauma, in Verbindung mit Aspirin, Clopidogrel, Coumadin, Warfarin oder Coagulopathy. Ein leichtes SHT wurde charakterisiert durch eine Glasgow Coma Scale (GCS) von 13–15 Punkten. Ausgeschlossen wurden Studien mit Patienten mit spontaner, nicht traumatisch bedingter ICB sowie Studien mit weniger als 50 Patienten.
Ergebnisse
18 relevante Veröffentlichungen konnten für die Auswertung berücksichtigt werden. Es zeigte sich, dass ältere Patienten, die unter AC stehen, häufig Schädelverletzungen im Rahmen von Stürzen erleiden. Eine ICB kann weder durch eine GCS von 15 Punkten noch durch das Fehlen neurologischer Symptomatik oder durch normwertige Gerinnungsparameter zuverlässig ausgeschlossen werden. Vier Studien, eine prospektive und 3 retrospektive, kommen zu dem Ergebnis, dass eine AC nicht zu einer Erhöhung der Mortalität- oder Morbidität führt. In 10 Studien, 2 prospektive Studien und 8 retrospektive Datenerhebungen, ergibt sich, dass eine AC bei Patienten mit leichtem SHT einen negativen Einfluss auf Prognose und Outcome hat. Zwei prospektive Studien diskutieren kontrovers die Notwendigkeit einer Kontroll-CCT nach 24 h auch bei primärer unauffälliger CCT. Drei Arbeiten, 2 retrospektive Datenerhebungen und 1 Übersichtsartikel, geben Empfehlungen für die medikamentöse Therapie bei Patienten mit ICB und AC.
Schlussfolgerung
Aufgrund der inhomogenen Studienlage und der kontroversen Studienergebnisse ist es nicht möglich, eine eindeutige Empfehlung auszusprechen. Die Einnahme von antikoagulatorisch wirksamen Medikamenten kann insbesondere für ältere Patienten jedoch ein erhebliches Risiko darstellen. Wir empfehlen bei leichtem SHT und bestehender Antikoagulation, generell eine CCT bei Aufnahme durchzuführen. Des Weiteren sollte eine stationäre Überwachung für 48 h erfolgen. Zu diskutieren ist, ob und wann bei unauffälligem klinischem Verlauf eine Kontroll-CCT vor Entlassung durchgeführt werden sollte.
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