Das Verhalten der Bevölkerung gegenüber Menschen mit Alzheimer-Demenz oder anderen Demenzformen (MmAD) fußt auf deren Einstellungen zu diesem Krankheitsbild. Eine Schweizer Bevölkerungsbefragung untersuchte die Einstellung der breiten Bevölkerung zu MmAD. Es wurde hierbei der Frage nachgegangen, wie der persönliche Kontakt zu MmAD, das eigene Altersbild und das Interesse an sowie das Wissen über MmAD diese Einstellung beeinflussen.
Hintergrund und Fragestellung
Aktuell leiden in der Schweiz 131.300 Menschen an Alzheimer-Demenz oder anderen Formen der Demenz („Alzheimer’s disease or related diseases“ [ADRD]) [
1]. Die Alzheimer’s Disease International hat den Welt-Alzheimer-Bericht 2019 dem Thema „Einstellung zu ADRD“ gewidmet [
2]. Dabei zeigte sich weltweit eine große Angst davor, einmal selbst eine ADRD zu entwickeln [
2]. Die Einstellung gegenüber Menschen mit Alzheimer-Demenz oder anderen Demenzformen (MmAD) ist also tendenziell angstbehaftet.
Einstellungen können definiert werden als die Gesamtbewertung eines Einstellungsobjekts, die auf affektiven, kognitiven und verhaltensbezogenen Informationen beruht [
3]. Einstellungen fußen also auf Überzeugungen, Gefühlen und eigenen früheren Verhaltensweisen. Das Verhalten einer Person gegenüber einem Einstellungsobjekt wird demnach von deren Einstellungen dazu beeinflusst [
4]. Die Einstellung zu MmAD beeinflusst wiederum das Verhalten der Gesellschaft gegenüber diesen Menschen, also die Art, wie jenen Menschen begegnet wird, was ihnen zugetraut wird und was nicht oder was als hilfreich und finanzierungswürdig betrachtet wird [
5]. Es kann angenommen werden, dass Einstellungen durch gezielte Maßnahmen in affektiver, kognitiver und verhaltensbezogener Hinsicht verändert werden können [
6]. Um spezifisch die Einstellung und somit das Verhalten gegenüber MmAD verändern zu können, ist es notwendig herauszufinden, durch welche Faktoren die Einstellung zu MmAD beeinflusst wird. Verschiedene Studien haben sich bereits damit befasst. Cheston, Hancock und White stellten z. B. fest, dass das Wissen über ADRD sowie persönliche Erfahrungen die Einstellungen zu ADRD beeinflussen [
7]. Diese Befunde zeigen sich auch in einer Schweizer Studie [
8]. Darüber hinaus konnten verschiedene Studien Zusammenhänge zwischen der Einstellung zu MmAD und soziodemografischen Faktoren (z. B. Geschlecht [
7,
9], Bildung [
9], Alter [
7] oder erlebten Freuden [
8]) darlegen.
Diesbezügliche Befragungen wurden bereits in einigen Ländern entweder anhand von selbst erstellten Fragensammlungen [
10] oder anhand von standardisierten Erhebungsinstrumenten [
11] durchgeführt. Um eine gute Vergleichbarkeit zwischen den Studien verschiedener, aber auch innerhalb derselben Länder zu gewährleisten, ist es hilfreich, jeweils die gleichen Befragungsinstrumente zu verwenden. Die Dementia Attitude Scale (DAS) ist ein in den USA entwickeltes Messinstrument zur Erhebung der Einstellung der Gesamtbevölkerung gegenüber MmAD. In einem mehrstufigen Verfahren mittels Interviews sowie explorativer und konfirmatorischer Faktorenanalysen ergab sich eine Zweifaktorenlösung mit den übergeordneten Faktoren „cognitive domain“, welche die kognitive Komponente der Einstellung erfasst, und der „affective and behavioral domain“, welche die affektiv-konative Komponente der Einstellung abbildet [
11]. Dass die DAS immer wichtiger wird, zeigen verschiedene Studien, die sich auf dieses Instrument gestützt [
12], es in neuen Ländern verwendet [
13] oder in andere Sprachen übersetzt haben [
14].
Bevölkerungsbefragungen in der Schweiz bringen die Herausforderung mit sich, eine mehrsprachige Bevölkerung zu berücksichtigen. Peng, Moor und Schelling [
15] haben daher die DAS ins Deutsche, Italienische und Französische übersetzt und validiert. Im Jahr 2012 wurde zum ersten Mal bei einer landesweiten Bevölkerungsbefragung in der Schweiz mit 8 ausgewählten Items der übersetzten DAS-Versionen gearbeitet [
8]. Die 8 Items repräsentierten die 2 übergeordneten Faktoren, die bereits von O’Connor & McFadden [
11] gefunden wurden und sich auch in der übersetzten Version manifestierten [
15]. Die 2 Subskalen wurden als kognitive Komponente (im Folgenden: Kog.-Index) und affektiv-konative Komponente (im Folgenden: Aff.-Index) benannt.
Ziele
Das Ziel dieser Studie war eine aktuelle Erhebung der Einstellung gegenüber MmAD in der Schweizer Gesamtbevölkerung. Aufgrund der Ergebnisse vergangener Forschung sollten Faktoren untersucht werden, welche die Einstellung zu MmAD beeinflussen, und es sollte daraus ein Vorhersagemodell erstellt werden, um Rückschlüsse für die Praxis ziehen zu können. Wir erwarten, dass (1) Kontakte, (2) Informiertheit und Interesse sowie (3) Einstellungen zum Alter die Einstellung zu MmAD beeinflussen, indem Personen mit einem persönlichen Kontakt zu MmAD, Personen, die sich sowohl informiert als auch interessiert gegenüber dem Thema Alzheimer zeigen, und Personen mit einer positiven Einstellung gegenüber dem Alter eher eine positive Einstellung zu MmAD aufweisen als Personen ohne Kontakt, Personen, die nicht informiert und interessiert sind, und Personen, die eine eher negative Einstellung zum Alter haben.
Diskussion
Mittels der übersetzten DAS-Versionen (Deutsch, Italienisch und Französisch) konnte eine Befragung der Schweizer Bevölkerung durchgeführt werden. Die Ergebnisse der Studie lassen darauf schließen, dass gegenüber MmAD tendenziell eine positive und freundliche Haltung eingenommen wird, dass ein gutes Wissen über ADRD vorhanden ist und ein grundsätzliches Interesse am Thema existiert. Es zeigte sich, dass der Kontakt zu MmAD die affektiv-konative Einstellung zu MmAD entscheidend beeinflusst; sie weist einen positiven Zusammenhang mit dem Item vorhandener Kontakt auf. Auch die Einstellung zum Alter stellt einen wichtigen Faktor in Bezug auf die Einstellung zu MmAD dar. Personen, die Entwicklungsgewinne im Alter für möglich halten, zeigen bei beiden Komponenten der Einstellung zu MmAD eine positivere Haltung; sprich, sie haben höhere Werte bei der abhängigen Variable Kog-Index und niedrigere Werte bei der abhängigen Variable Aff.-Index. Jedoch sind die erklärten Varianzen der multivariaten Analysen eher niedrig, womit stärker wirkende unabhängige Variablen – die in dieser Studie nicht berücksichtigt wurden – für die Einstellungsskalen noch offenbleiben.
Dennoch zeigen die Ergebnisse der Studie, dass sowohl die kognitive als auch die affektiv-konative Komponente durch verschiedene Faktoren beeinflusst werden. So erwiesen sich die Prädiktoren Alter, erlebte Freuden, Kontakt zu MmAD, subjektive Informiertheit, Interesse am Thema Alzheimer und die Einstellung zum Alter (Entwicklungsgewinn oder -verlust) als signifikant für die Einstellung zu MmAD. Es gab jedoch große Unterschiede hinsichtlich der Vorhersagekraft bei den unabhängigen Variablen. Während Kontakt zu MmAD, Informiertheit und erlebte Freuden nur die affektive Komponente vorhersagen können, können Bildung und Geschlecht nur die kognitive Komponente vorhersagen. Da beide Komponenten offenbar durch unterschiedliche Faktoren beeinflusst werden, ist deren Unterteilung also äußerst sinnvoll. Ältere Menschen zeigen bei beiden Komponenten eine negativere Einstellung als jüngere. Dies hat sich auch in anderen Studien gezeigt [
17], die diesen Effekt auf das (Nicht‑)Vorhandensein von Ressourcen und auf Ressourcenveränderungen zurückführen.
Im Hinblick auf die Vorhersage der affektiv-konativen Einstellung zu MmAD ist der Kontakt zu diesen entscheidend. Menschen, die Kontakt zu MmAD haben, gaben weniger Ängste im Umgang mit MmAD an. Dies kann u. a. durch den „Mere-exposure“-Effekt [
18] erklärt werden, nach dem sich die Einstellung durch die häufige Konfrontation mit einem Reiz – in diesem Fall MmAD – positiv verändert. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie lassen vermuten, dass durch vermehrte Kontakte insbesondere irrationale Ängste abgebaut werden und so eine positivere Einstellung gegenüber MmAD entwickelt werden kann. Eine positive Beeinflussung der Einstellung zu MmAD könnte z. B. versucht werden zu generieren, indem das Thema ADRD in der Öffentlichkeit bekannter gemacht wird und der Kontakt zu MmAD (z. B. durch Kontaktmöglichkeiten im öffentlichen Räumen wie einem Museum [
12]) gefördert wird. Auf diese Weise kann einer Stigmatisierung dieser Menschen weiter entgegengewirkt werden [
2]. Projekte, durch die MmAD mehr in die Mitte der Gesellschaft rücken, können dazu führen, dass sich die Einstellung der Bevölkerung ihnen gegenüber verbessert. In Zukunft sollte aber auch mehr Wissen über ADRD vermittelt werden, um auch auf diese Weise zu einer positiveren Einstellung beizutragen. Das könnte ein wichtiger Schritt sein – und zwar hin zu der von der Alzheimer’s Disease International gewünschten demenzfreundlichen Gesellschaft [
2].
Limitationen. Neben den Stärken der nationalen Befragung der MmAD-bezogenen Einstellungslandschaft in der Schweiz sollten auch deren Limitationen benannt werden. Es fällt auf, dass bei der Regression der kognitiven Komponente der Einstellung als abhängige Variable deutlich weniger Personen miteinbezogen werden konnten. Dies ist besonders auf die Einstellungsaussage zurückzuführen, mit der eruiert werden sollte, ob MmAD kreativ sein können. Viele Personen gaben an, diese Frage nicht beantworten zu können. Es ist anzunehmen, dass diese Frage die Studienteilnehmer tendenziell überfordert hat.
Der ökonomischen Durchführbarkeit einer telefonischen Befragungsstudie halber wurde nicht die gesamte übersetzte Version der DAS, sondern die Kurzversion verwendet. Die Reliabilitätswerte der beiden Summenindizes ergaben schwache Reliabilitätswerte, jedoch wurden ähnliche Werte bereits bei Moor et al. [
8] festgestellt. Die Reduktion der übersetzten DAS-Version auf jeweils 4 Items/Komponente ist also ein Unterfangen, das zwar eine ökonomischere Durchführung für eine telefonische nationale Befragung ermöglicht, sich aber etwas auf die Reliabilität auswirkt.
Die erklärten Varianzen der multivariaten Analysen sind eher gering, womit viele erklärende Faktoren für die Einstellungsskalen noch offenbleiben; weitere Studien sollten diese offenen Faktoren noch besser herausarbeiten.
Bei der durchgeführten Befragung handelt es sich um eine Querschnittsuntersuchung; Veränderungen innerhalb einer Person können daher nicht abgebildet werden. Für die weitere Forschung wäre es daher wünschenswert, individuelle Daten im Längsschnitt zu erheben, anhand derer die Einstellungsveränderung in Abhängigkeit von verschiedenen kontextuellen, zeit- und lebensgeschichtlichen Einflussfaktoren beobachtet werden könnte.
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