Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Fallbeispiel 1
Anamnese.
Eine 35-jährige Patientin wurde vor 5 Tagen auf einer Urlaubsreise in Bali von einem Affen in die rechte Hand gebissen. Bereits am Urlaubsort wurde die Wunde ausführlich gewaschen und es erfolgte die zweimalige intramuskuläre Gabe eines Tollwutimpfstoffs. In unserer Notaufnahme erfolgte dann eine Tollwutimmunglobulingabe.
Befund.
An der rechten Hand fanden sich drei kleine geschlossene Wunden ohne Zeichen einer Superinfektion.
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Fallbeispiel 2
Anamnese.
Eine 21-jährige Patientin stellte sich selbständig in unserer Notaufnahme vor, da sie vor 6 Tagen in Deutschland von einer Fledermaus am Unterschenkel gebissen wurde. Eine Tollwutimpfung wurde noch nicht durchgeführt.
Befund.
An der rechten Wade zeigten sich zwei direkt nebeneinander liegende rote Einstichstellen ohne Überwärmung oder Schwellung.
Diagnose beider Fallbeispiele
Bei beiden Patientinnen erfolgte ein Biss von einem Tier mit der Möglichkeit einer potenziellen Übertragung von Tollwut. Bei beiden bestand eine Exposition Grad III.
Therapie und Verlauf
Bei beiden Patientinnen erfolgte die Gabe von Tollwutimmunglobulin in einer empfohlenen Dosis von 20 IE/kg Körpergewicht. Die Dosen wurden jeweils um die Bissstellen herum ins Gewebe injiziert.
Fallbeispiel 1. Bei der ersten Patientin sollte die bereits begonnene Impfserie im fachärztlichen Bereich weitergeführt werden.
Fallbeispiel 2. Bei der zweiten Patientin erfolgte die erste Gabe der Tollwutimpfung mit Rabipur in der Notaufnahme nach Dosisangaben laut Fachinformation. Die Impfserie sollte ebenfalls im fachärztlichen Bereich fortgeführt werden.
Bei der ersten Patientin wurde nach Affenbiss zusätzlich eine antivirale Prophylaxe gegen eine Infektion, ausgelöst durch das Herpes B Virus mit Valaciclovir 1 g oral 3‑mal täglich begonnen, die für insgesamt 14 Tage durchgeführt wurde.
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Diskussion
Tollwut beim Menschen ist eine tödliche Viruserkrankung, die durch Lyssaviren der Familie Rhabdoviridae verursacht wird und zu einer akuten, fortschreitenden Enzephalitis führt. Tollwut ist nach wie vor weltweit verbreitet und verantwortlich für bis zu 60.000 Todesfälle pro Jahr [1]. Die meisten Fälle treten in Asien und Afrika auf, während Tollwutfälle in Europa selten sind. In den endemischen Tollwutregionen erfolgen die Infektionen meist durch infizierte Hunde, weniger häufig durch Fledermäuse, Füchse, Katzen oder Affen [2].
In Deutschland wurde der letzte endemische Tollwutfall im Jahr 2006 bei einem Fuchs beobachtet. Seit 2008 gilt Deutschland offiziell als frei von terrestrischer Tollwut [3]. Bei einheimischen Tieren sind nur noch Fledermäuse ein Reservoir für die auslösenden Viren. Allerdings kann nicht sicher ausgeschlossen werden, dass z. B. im Rahmen der aktuellen Flüchtlingsbewegungen auf diesem Weg auch infizierte Tiere importiert werden. Weit häufiger sind allerdings potenziell Rabies-übertragende Kontakte („suspected rabies exposure“ [SRE]) bei Reisenden mit Tieren im Ausland.
Neben einer prophylaktischen Immunisierung vor Reisen in Risikogebiete ist eine Verabreichung einer Tollwutpostexpositionsprophylaxe („rabies post-exposure prophylaxis“ [R-PEP]) nach SRE die einzig wirksame Strategie, um den Ausbruch der Erkrankung zu verhindern. Es wird geschätzt, dass etwa 3 Mio. Menschen pro Jahr an Tollwut versterben würden, wenn keine R‑PEP zur Verfügung stehen würde [3].
Analysen beschreiben, dass bei Reisenden aus Risikogebieten die Inzidenz für SRE bei etwa 2 % liegt [4]. Es ist also davon auszugehen, dass eine große Zahl von R‑PEP nach SRE durchgeführt wird. Viele Studien zeigen allerdings, dass die R‑PEP häufig nicht korrekt erfolgt. Abweichungen von den Empfehlungen des Robert Koch-Instituts treten bei etwa 8 % auf, bei 13 % werden die Impfserien nicht komplettiert [5‐7]. Im Bereich der Notaufnahmen in Deutschland liegt die Fehlerquote wahrscheinlich noch höher. Hier wird angenommen, allerdings aufgrund sehr beschränkter verfügbarer Literatur, dass etwa 50 % der Behandlungen nicht konform mit den RKI-Empfehlungen erfolgen [8].
Eine retrospektive Analyse der Patientenvorstellungen zur R‑PEP in unserer eigenen Notaufnahme hat gezeigt, dass es sich hierbei mit 43 Behandlungen im Beobachtungszeitraum von 8 Monaten um einen zahlenmäßig relevanten Vorstellungsgrund handelt. Etwa die Hälfte unserer Patienten hatten ihre Exposition in Deutschland, während die übrigen Kontakte aus Reisen ins Ausland stammten, hauptsächlich nach Osteuropa oder Asien. Nur bei etwa 25 % der Patienten wurde bereits vor Vorstellung in unserer Notaufnahme eine R‑PEP begonnen. Davon wurde nur bei 30 % der Fälle die R‑PEP korrekt nach den aktuellen Empfehlungen des RKI umgesetzt [10].
Wir haben deshalb die beiden berichteten Fälle zum Anlass genommen, auf dieses für die Notaufnahmen wichtige Patientenkollektiv hinzuweisen und durch die Erörterung der aktuellen Empfehlungen ein Bewusstsein für die Notwendigkeit einer korrekten Durchführung der R‑PEP zu schaffen.
Es existieren nur sehr wenige Daten, wie häufig tatsächlich Vorstellungen in deutschen Notaufnahmen zur R‑PEP erfolgen. In der einzigen Studie, die neben unserer Arbeit hierzu bislang publiziert wurde, wurden in einer Notaufnahme einer deutschen Universitätsklinik in einem Beobachtungszeitraum von sechseinhalb Jahren 90 Patienten mit einer Indikation zur R‑PEP behandelt [8]. Es ist anzunehmen, dass die Unterschiede von Notaufnahme zu Notaufnahme sehr groß sind.
Die meisten unserer Patienten stellten sich außerhalb der regulären Öffnungszeiten spezialisierter Praxen oder unseres Tropeninstituts vor. Umso wichtiger ist es, dass das Personal in den Notaufnahmen zu jedem Zeitpunkt mit der Indikationsstellung und der korrekten Durchführung der R‑PEP vertraut ist.
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Eine adäquate R‑PEP besteht aus gründlicher Wundbehandlung, korrekter Impfung gemäß dem implementierten R‑PEP-Regime und ggf. passiver Immunisierung durch die Verabreichung von Tollwutimmunglobulin („rabies immunoglobulin“ [RIG]). Laut den Richtlinien des Robert Koch-Instituts (RKI) wird die R‑PEP nach SRE empfohlen, wenn ein Biss, Kratzer oder Lecken einer Wunde oder Schleimhaut durch ein tollwutverdächtiges Säugetier erfolgte. Übertragungen durch Nagetiere spielen für die Praxis keine Rolle und sind nicht beschrieben worden [5]. Insgesamt gibt es eine klare Dominanz bei Fleischfressern und Fledermäusen. Nichtimmunisierte Personen sollen sofort eine intramuskuläre Impfung nach dem Essen-Schema an den Tagen 0‑3-7-14-28 oder nach dem Zagreb-Schema an den Tagen 0‑0-7-21 erhalten (Tollwutimpfserie). Für die Immunisierung stehen in Deutschland die beiden Impfstoffe Rabipur und Tollwut-Impfstoff (HDC) inaktiviert zur Verfügung. Beide Schemata sind als gleichwertig wirksam anzusehen. Welches Schema verabreicht wird, hängt sowohl von lokalen Protokollen als auch von logistischen Beschränkungen ab. So hat zum Beispiel das Zagreb-Schema den Vorteil, dass nur an 3 Tagen geimpft werden muss, im Gegensatz zum Essen-Schema, das 5 Impftermine notwendig macht. Beschränkte Ressourcen können hier die Wahl des angewendeten Schemas durchaus beeinflussen. In unserer Notaufnahme stehen beide Protokolle zur Auswahl. Die Entscheidung bleibt dem behandelnden Arzt überlassen und erfolgt meist pragmatisch in Absprache mit dem Patienten. Wenn bereits ein Impfschema begonnen wurde, führen wir das in der Regel weiter, soweit keine Gründe dagegensprechen. In unserer retrospektiven Analyse unserer Notaufnahmepatienten mit R‑PEP hatten etwa 90 % das Essen- und 10 % das Zagreb-Schema erhalten [9].
Tollwutimmunglobulin sollte zur passiven Immunisierung in einer empfohlenen Dosis von 20 IE/kg Körpergewicht verabreicht werden, wobei so viel wie möglich nahe der Wunde injiziert werden sollte und zwar so bald wie möglich, spätestens innerhalb von sieben Tagen. Der Rest sollte intramuskulär an einer von der Impfung entfernten Stelle, vorzugsweise im M. vastus lateralis verabreicht werden. Die Prozesse der Immunisierung sind für Erwachsene und Kinder prinzipiell identisch. Allerdings ist es bei Kindern oft schwieriger, geeignete Verabreichungsstellen für die Impfung und das Immunglobulin zu finden. Zusätzlich müssen auch noch spezielle psychologische und emotionale Aspekte beachtet werden. Eine Übersicht über die Indikationen zur R‑PEP ist in Abb. 1 dargestellt [5].
Abb. 1
Indikationen für eine postexpositionelle Tollwutimmunprophylaxe (Robert Koch-Institut, Tollwut-Ratgeber)
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Bei Kontakt zu jeglicher Fledermausart ist grundsätzlich eine R‑PEP indiziert, da diese Tiere ein Reservoir für die meisten Lyssaviren darstellen und als potenzielle Überträger auf den Menschen gelten. Aufgrund der geringen Überwachungsintensität kann das Vorkommen von Fledermaustollwut nirgends ausgeschlossen werden. Unsere Patientin stellte sich mit 6 Tagen nach Fledermausbiss relativ spät in unserer Notaufnahme vor. Laut Empfehlungen des RKI sollte eine postexpositionelle Impfung auch noch nach Wochen durchgeführt werden, da die Expositionszeit Wochen, Monate oder sogar Jahre betragen kann. Für die Gabe von Immunglobulinen nach dem 7. Tag nach Exposition gibt es allerdings keine Daten [5]. Gleichauf mit Verletzungen durch Katzen war ein Kontakt mit Fledermäusen der zweithäufigste Vorstellungsgrund [9]. Ein Großteil dieser Kontakte ist sicher vermeidbar, z. B. indem Fledermäuse grundsätzlich nur mit Handschuhen angefasst werden.
Es ist anzunehmen, dass in deutschen Notaufnahmen insgesamt die Indikation zur R‑PEP gerade bei einheimischen Säugetierbissen zu häufig gestellt wird, da Deutschland frei von terrestrischer Tollwut ist. Allerdings muss man auch die Behandler verstehen, da der Krankheitsverlauf der Tollwut doch immer tödlich ist.
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Bei Affenbissen findet sich eine zusätzliche Besonderheit. Hier besteht das Risiko einer Enzephalitis, ausgelöst durch das Herpes B Virus, die ggf. tödlich verlaufen kann. Ob eine antivirale Prophylaxe im Einzelfall sinnvoll ist, sollte durch einen erfahrenen Arzt, im optimalen Fall einen Infektiologen mit Kenntnis in Tropenmedizin, zusammen mit dem Patienten entschieden werden. Eine antivirale Prophylaxe besteht hier in der Gabe von Valaciclovir 1 g oral 3‑mal täglich für insgesamt 14 Tage [10].
Unsere eigene Beobachtung, dass nur bei einem geringen Teil der Reisenden bereits im Ausland eine korrekte R‑PEP durchgeführt wurde, deckt sich auch mit den Angaben in der Literatur. Vor allem die Gabe von Tollwutimmunglobulin bei bestehender Indikation erfolgt nur bei 4–25 % der internationalen Reisenden im Land der Exposition. Auch bei unserer Patientin mit dem Affenbiss in Bali bestand bereits dort die Indikation zur gleichzeitigen Impfung und Immunglobulingabe, es wurde aber nur die Impfung durchgeführt. Dies liegt am ehesten daran, dass die entsprechenden Immunglobuline teuer und nicht überall in den Risikogebieten verfügbar sind [6].
Fazit für die Praxis
Eine exakte Durchführung der R‑PEP nach SRE ist von großer Bedeutung. Tollwut ist eine Erkrankung, mit der das Personal der Notaufnahmen regelmäßig konfrontiert ist. Allerdings nicht in Form des endgültigen Krankheitsbilds, sondern im Rahmen von Postexpositionsmaßnahmen. Hier ist es besonders wichtig, dass das Team mit der Indikationsstellung und der korrekten Durchführung der R‑PEP vertraut ist.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
M. Braunstein und M. Wörnle geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patient/-innen zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern/Vertreterinnen eine schriftliche Einwilligung vor.
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