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Open Access 13.11.2024 | Originalien

Qualität rettungsdienstlicher Verdachtsdiagnosen und Dringlichkeitsbeurteilungen

Eine sektorübergreifende, monozentrische Evaluation rettungsdienstlicher IVENA-Verdachtsdiagnosen und IVENA-Sichtungskategorien mit klinischen Daten

verfasst von: Marten Villis, Dr. med. Thomas J. Henke, Stefan Thate, Jun.-Prof. Dr. rer. biol. hum. Jan Christoph, Dr. rer. medic. Insa Seeger

Erschienen in: Notfall + Rettungsmedizin

Zusammenfassung

Hintergrund und Ziel der Arbeit

Die Qualität rettungsdienstlicher Verdachtsdiagnosen und Dringlichkeitsbeurteilungen ohne notärztliche Beteiligung ist unzureichend erforscht. Ziel dieser Studie ist die Evaluierung dieser Parameter aus Einsätzen mit und ohne Notarztbeteiligung hinsichtlich ihrer Übereinstimmung mit klinischen Verlaufsdaten.

Methode

Es handelt sich um eine retrospektive Beobachtungsstudie für das Jahr 2019, in der präklinische, rettungsdienstliche Daten (Verdachtsdiagnosen, Sichtungskategorien) aus dem IVENA eHealth System mit klinischen Daten aus der Notaufnahme (ärztliche Diagnosen, ambulante oder stationäre Behandlung) des Evangelischen Krankenhauses Oldenburg (EVK) mittels Kreuztabellen und logistischer Regression verglichen und analysiert wurden.

Ergebnis

Aus 8443 IVENA-Anmeldungen für das EVK im Jahr 2019 wurde eine Zufallsstichprobe von 1150 Fällen gezogen, wovon 978 (85,0 %) in die Analyse der Verdachtsdiagnosen eingeschlossen werden konnten. 784 (82,1 %) der rettungsdienstlichen Verdachtsdiagnosen stimmten ganz oder teilweise mit den klinischen Diagnosen überein. In 150 (15,7 %) Fällen wurde die Verdachtsdiagnose nicht bestätigt, in 20 (2,1 %) Fällen wurden wichtige Symptome/Verletzungen übersehen. Das größte Risiko einer falschen Verdachtsdiagnose bestand bei Patienten aus Pflegeheimen (n = 28; 31,5 %; p < 0,001) und bei Patienten mit neurologischen Verdachtsdiagnosen (n = 76; 28,9 %; p < 0,001). Bei 1005 (87,3 %) Fällen lagen Angaben zur Dringlichkeitsbeurteilung vor, davon stimmten bei 714 (71,0 %) Fällen die Einschätzungen des Rettungsdienstpersonals mit der Behandlungsart (ambulant/stationär) überein. In 243 (24,2 %) Fällen wurde der Therapiebedarf überschätzt, in 48 (4,8 %) unterschätzt.

Diskussion

Unsere Studie zeigt trotz hoher Übereinstimmungen einen Verbesserungsbedarf des rettungsdienstlichen Qualitätsmanagements. Ein IT-gestütztes Feedbacksystem könnte Abhilfe schaffen.

Graphic abstract

Hinweise

Zusatzmaterial online

Die Online-Version dieses Beitrags (https://​doi.​org/​10.​1007/​s10049-024-01409-z) enthält weitere Tabellen und einen Zusatz zur Methode. Bitte scannen Sie den QR-Code.
Die Autoren J. Christoph und I. Seeger teilen sich die Letztautorenschaft.
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

Einleitung

In den vergangenen Jahren hat sich die Landschaft im deutschen Rettungsdienst in vielen Bereichen verändert. Eine wesentliche Neuerung war im Jahr 2014 das Berufsbild des Notfallsanitäters – eine dreijährige Ausbildung, welche die höchste nichtärztliche Qualifikation im Rettungsdienst darstellt. Sie geht mit deutlich mehr medizinischen Kompetenzen, eigenverantwortlichem Handeln und der Übertragung heilkundlicher Maßnahmen auf nichtärztliches Personal einher [4]. Das zeigt sich auch in der Entwicklung der Einsatzzahlen. Während Notarzteinsätze in den letzten zehn Jahren kaum zugenommen haben, sind die Einsatzzahlen ohne notärztliche Beteiligung beinahe auf das Doppelte gestiegen, sodass z. B. in Bayern in 2022 über 60 % aller Einsätze und in großstädtischen Bereichen bis zu 80 % der Einsätze ohne notärztliche Beteiligung stattfanden [1, 26]. Auf den Notärzten lastet die große Verantwortung, Krankheitsbilder richtig zu erkennen [23]. Außerdem ist die korrekte Ersteinschätzung wichtig, um Notfälle schneller einer adäquaten Versorgung via Schockraum zuführen zu können oder ggf. keine unnötigen Ressourcen zu allokieren [8, 24, 25]. Gleiches gilt bei den zunehmenden Einsätzen ohne notärztliche Beteiligung auch für Notfallsanitäter.
Trotz dieser Entwicklungen und der Forderung des Bundesgesundheitsministeriums nach mehr Maßnahmen für Transparenz und Qualitätssicherung [3] hat sich das Qualitätsmanagement im Rettungsdienst in den letzten 20 Jahren kaum weiterentwickelt [9]. Für das nichtärztliche Rettungsdienstpersonal besteht derzeit nach komplexen, herausfordernden oder unklaren Einsätzen keine Möglichkeit, Feedback in Form einer gesicherten Diagnose aus dem weiterbehandelnden Krankenhaus zu erhalten. Dies wäre im Rahmen der Qualitätssicherung jedoch essenziell, um die präklinische Versorgung in solchen Einsätzen zu reevaluieren und das eigene Handeln ggf. zu hinterfragen [7, 14].
Die meisten bisherigen Untersuchungen zu rettungsdienstlichen Verdachtsdiagnosen in Deutschland basieren auf der Auswertung von Notarzteinsatzprotokollen [2, 2123]. Untersuchungen zu rettungsdienstlichen Verdachtsdiagnosen von Einsätzen ohne notärztliche Beteilung gibt es kaum [16]. Eine Studie aus Berlin liefert Daten zur rettungsdienstlichen Dringlichkeitsbeurteilung [18]. International fand sich wenig Literatur, welche darüber hinaus sehr spezifisch war [10, 17, 19]. Eine aktuelle Übersichtsarbeit fordert diesbezüglich weitere Forschung [15].
Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht darin, rettungsdienstliche Verdachtsdiagnosen und Dringlichkeitsbeurteilungen aus Einsätzen mit und ohne Notarztbeteiligung hinsichtlich ihrer Übereinstimmung mit klinischen Verlaufsdaten zu evaluieren.

Methode

Studiendesign

Es handelt sich um eine retrospektive Beobachtungsstudie für das Jahr 2019, in der per Zufallsstichprobe anonymisierte Datensätze aus dem IVENA eHealth System mit Daten aus dem Krankenhausinformationssystem (KIS) des Evangelischen Krankenhauses Oldenburg (EVK) anhand des Patientenalters und der Aufnahmeuhrzeit verknüpft und analysiert wurden (eMethode). Das EVK verfügt über 402 Betten und 14 Fachabteilungen, darunter Universitätskliniken für Neurochirurgie, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde und Neurologie inklusive überregionaler Stroke Unit. Ferner ist das EVK als überregionales Traumazentrum zertifiziert.
Im Zentrum für Notfallmedizin werden jährlich ca. 35.000 Patienten versorgt.

Datengrundlage

Die Datengrundlage basiert auf Routinedaten aus IVENA (Interdisziplinärer Versorgungsnachweis) und dem KIS ORBIS. IVENA ist eine webbasierte Anwendung, mit der sich die Leistungserbringer der präklinischen und klinischen Patientenversorgung in Echtzeit über aktuelle Behandlungsmöglichkeiten und Versorgungskapazitäten austauschen können [12]. Das Rettungsdienstpersonal verschlüsselt in IVENA die Verdachtsdiagnose des Patienten, das Alter und die Dringlichkeit in einem sechsstelligen Zahlencode (Patientenzuweisungscode [PZC]). Die Dringlichkeit wird als Sichtungskategorie (SK) bezeichnet und staffelt sich in drei Kategorien (SK1: sofortige operative oder intensivmedizinische Indikation; SK2: Einweisung zur stationären Aufnahme; SK3: ambulante Notfallbehandlung).
IVENA ermittelt das nächstgelegene Krankenhaus mit freien Ressourcen, welches die Verdachtsdiagnose behandeln und den Patienten aufnehmen kann. Anschließend erfolgt über die zuständige Leitstelle die digitale Anmeldung im Krankenhaus [11].
Um eine repräsentative Stichprobe von mindestens 1000 Fällen zu erhalten, wurden 1150 Fälle aus den IVENA-Anmeldungen des EVK im Jahr 2019 zufällig ausgewählt und mit den zugehörigen Falldaten des KIS Orbis verknüpft. Aus den IVENA-Daten wurden PZC, Datum, Uhrzeit (Zeitpunkt der Anmeldung durch den Rettungsdienst), Geschlecht, Anlass, Fachgebiet, Arztbegleitung und Transportdauer selektiert.
Aus dem im KIS hinterlegten Notaufnahmeprotokoll wurden Daten zur Behandlungsart (ambulant/stationär), klinischen Ersteinschätzung in der Notaufnahme nach Manchester Triage System (MTS) und Entlassungsdiagnose extrahiert.
Nach Ausschluss von unvollständigen und ungeeigneten Datensätzen (Abb. 1) konnten 1005 (87,3 %) Fälle für die Analyse der Triage und 978 (85,0 %) Fälle für die Diskrepanzanalyse der Diagnosen generiert und analysiert werden (eMethode).

Datenauswertung

Da es sich bei den Entlassungsdiagnosen um Freitexte handelt, gab es keine Möglichkeit, diese standardisiert mit den präklinischen Verdachtsdiagnosen abzugleichen. Aus diesem Grund wurde von den Autoren ein vierstufiges Bewertungssystem entwickelt, angelehnt an N. Ramadanov et al. [23]:
(1) Stimmt: PZC und Diagnose stimmen überein. Falls mehrere Diagnosen vorliegen, stimmt die führende mit dem PZC überein.
(2) Stimmt teilweise: PZC und Diagnose stimmen überein. Eine andere Diagnose ist aber führend oder wenn mehrere in der Dringlichkeit gleichwertige Diagnosen/Verletzungen vorliegen, hätten multiple Verletzungen/sonstiger internistischer Notfall angemeldet werden können.
(3) Stimmt nicht: PZC und Diagnose stimmen nicht überein, Symptome des angemeldeten Krankheitsbilds ähneln aber den Symptomen des tatsächlichen Krankheitsbilds oder PZC und Diagnose stimmen nicht überein, es handelt sich aber um keinen zeitkritischen Notfall, es entsteht kein potenzieller Schaden für die Patienten.
(4) Nicht erkannt: PZC und Diagnose stimmen nicht überein, wichtige Symptome/Verletzungen wurden vermutlich nicht erkannt oder übersehen. Potenzieller Schaden für die Patienten.
Die Kategorien „(2) Stimmt teilweise“ und „(3) Stimmt nicht“ bedeuten, dass die IVENA-Anmeldung nicht exakt mit der Entlassungsdiagnose aus der Notaufnahme übereinstimmte, es sich jedoch nicht zwingend um eine Fehlentscheidung des Rettungsdienstpersonals handelte. Bestimmte Differenzialdiagnosen können präklinisch aufgrund der beschränkten diagnostischen Möglichkeiten nicht sicher ausgeschlossen werden.
Die Daten der Diskrepanzanalyse wurden unabhängig von drei Prüfern (ein Facharzt für Allgemeinmedizin und Notfallmedizin, eine Fachärztin für Allgemeinmedizin, ein Medizinstudent mit rettungsdienstlicher Ausbildung und Erfahrung) bewertet (Abb. 1).

Statistische Analyse

Alle Analysen wurden mit SPSS Version 28 (SPSS Inc. Chicago, Illinois, USA) durchgeführt. Mittels Kreuztabellen und Chi-Quadrat-Tests (wo erforderlich mit exaktem Test nach Fisher) und als Zusammenhangsmaß Cramers V wurden bivariat jeweils die Korrelationen der IVENA-Daten mit der Bewertung der Verdachtsdiagnose und der SK sowie die Korrelationen der Triage des Krankenhauses und der Behandlungsart mit der SK des Rettungsdiensts untersucht. Mittels binärer logistischer Regressionsanalysen (nicht adjustiert) wurden o. g. Einflussgrößen multivariat verglichen und individuelle Effekte kontrolliert.
Die Bewertung der Verdachtsdiagnose wurde dafür dichotomisiert (richtig = (1) stimmt, (2) stimmt teilweise; falsch = (3) stimmt nicht, (4) nicht erkannt).

Ergebnisse

Im Beobachtungszeitraum fanden in der Notaufnahme 34.318 Patientenkontakte statt, von denen 9650 (28,1 %) Fälle per Rettungsmittel eintrafen. Über IVENA wurden 8443 (87,5 %) Fälle angemeldet. Aus der daraus gezogenen Zufallsstichprobe von 1150 (13,6 %) Fällen konnten 1005 (87,4 %) Fälle in die statistische Analyse der Dringlichkeitsbeurteilung und 978 (85,0 %) Fälle in die Diskrepanzanalyse der Verdachtsdiagnosen eingeschlossen werden (Abb. 1). 24 Fälle (2,5 %) konnten nicht mit dem Vier-Stufen-System bewertet werden. Sie wurden aus der statistischen Analyse ausgeschlossen (Zusatzmaterial 1).

Beschreibung der Stichprobe

In der betrachteten Stichprobe überwog das weibliche Geschlecht leicht (53,5 % [n = 611]), das mittlere Patientenalter lag bei 62 Jahren (Standardabweichung 23,3; Tab. 1). Die am häufigsten angemeldeten Verdachtsdiagnosen waren „Apoplex/TIA/Blutung < 6h“ (n = 166, 14,4 %), „Gesichts‑/Kopfverletzung“ (n = 94, 8,2 %), „Extremitäten geschlossen“ (n = 85, 7,4 %) und „sonstiger internistischer Notfall“ (n = 52, 4,5 %; Zusatzmaterial 2).
Tab. 1
Kreuztabellen – Übereinstimmung rettungsdienstlicher Verdachtsdiagnosen mit Entlassungsdiagnosen der Notaufnahme
Variable
n (%)
p
Cramers V
(1) stimmt (%)
(2) stimmt teilweise (%)
(3) stimmt nicht (%)
(4) nicht erkannt (%)
Gesamt
954
754 (79,0)
30 (3,1)
150 (15,7)
20 (2,1)
Fachgebieta
948 (99,4)
<0,001
0,14
Chirurgie
398 (42,0)
333 (83,7)
22 (5,5)
36 (9,0)
7 (1,8)
Innere Medizin
260 (27,4)
205 (78,8)
8 (3,1)
39 (15,0)
8 (3,1)
Neurologie
263 (27,7)
187 (71,1)
0 (0,0)
72 (27,4)
4 (1,5)
Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde
27 (2,8)
23 (85,2)
0 (0,0)
3 (11,1)
1 (3,7)
Anlass
689 (72,2)
<0,001
0,12
Häuslich
530 (76,9)
406 (76,6)
17 (3,2)
92 (17,4)
15 (2,8)
Pflegeheim
89 (12,9)
61 (68,5)
0 (0,0)
27 (30,3)
1 (1,1)
Verkehrsunfälle
62 (9,0)
51 (82,3)
7 (11,3)
3 (4,8)
1 (1,6)
Arztpraxis
8 (1,2)
7 (87,5)
0 (0,0)
1 (12,5)
0 (0,0)
Sichtungskategorie
954 (100)
<0,001
0,12
Notfallversorgung (SK1)
237 (24,8)
175 (73,8)
1 (0,4)
56 (23,6)
5 (2,1)
Stationäre Versorgung (SK2)
487 (51,0)
382 (78,4)
23 (4,7)
68 (14,0)
14 (2,9)
Ambulante Versorgung (SK3)
230 (24,1)
197 (85,7)
6 (2,6)
26 (11,3)
1 (0,4)
Altersgruppe
954 (100)
0,001
0,11
0–21 Jahre
61 (6,4)
56 (91,8)
2 (3,3)
2 (3,3)
1 (1,6)
22–69 Jahre
411 (43,1)
343 (83,5)
10 (2,4)
54 (13,1)
4 (1,0)
70 Jahre und älter
482 (50,5)
355 (73,7)
18 (3,7)
94 (19,5)
15 (3,1)
Einsatzzeit
954 (100)
0,12
0,07
Vormittag (06:00–13:59)
387 (40,6)
291 (75,2)
14 (3,6)
73 (18,9)
9 (2,3)
Nachmittag (14:00–21:59)
381 (39,9)
302 (79,3)
12 (3,1)
58 (15,2)
9 (2,4)
Nacht (22:00–05:59)
186 (19,5)
161 (86,6)
4 (2,2)
19 (10,2)
2 (1,1)
Transportdauer
942 (98,7)
0,001
0,11
0–10 min
359 (38,1)
300 (83,6)
12 (3,3)
44 (12,3)
3 (0,8)
11–20 min
357 (37,9)
277 (77,6)
15 (4,2)
53 (14,8)
12 (3,4)
> 20 min
226 (24,0)
167 (73,9)
2 (0,9)
52 (23,0)
5 (2,2)
Geschlecht
948 (99,4)
0,14
0,08
Männlich
430 (45,4)
341 (79,3)
8 (1,9)
74 (17,2)
7 (1,6)
Weiblich
518 (54,6)
408 (78,8)
21 (4,1)
76 (14,7)
13 (2,5)
Arztbegleiteter Transport
930 (97,5)
0,43
0,06
Ohne Notarztbegleitung
796 (85,6)
629 (79,0)
26 (3,3)
125 (15,7)
16 (2,0)
Mit Notarztbegleitung
134 (14,4)
109 (81,3)
1 (0,7)
22 (16,4)
2 (1,5)
IVENA-Status
954 (100)
0,49
0,05
Fachbereich war angemeldet
921 (96,5)
725 (78,7)
30 (3,3)
146 (15,9)
20 (2,2)
Fachbereich war abgemeldet
33 (3,5)
29 (87,9)
0 (0,0)
4 (12,1)
0 (0,0)
Es handelt sich um einzelne, bivariate Analysen mittels Kreuztabellen
aDas Fachgebiet „Gynäkologie und Geburtshilfe“ wurde wegen zu geringer Fallzahl ausgeschlossen

Verdachtsdiagnosen

Insgesamt stimmten 79,0 % (n = 754) der Verdachtsdiagnosen des Rettungsdienstpersonals mit den Entlassungsdiagnosen aus der Notaufnahme überein (Tab. 1). In 2,1 % (n = 20) der Fälle wurden wichtige Symptome/Verletzungen übersehen, was mit einer potenziellen Patientengefährdung einherging (Zusatzmaterial 3).
Die multivariate Datenanalyse mittels logistischem Regressionsmodell identifizierte das Patientenalter, das vom Rettungsdienstpersonal angemeldete Fachgebiet und die Transportdauer als Haupteinflussfaktoren für die Richtigkeit der rettungsdienstlichen Verdachtsdiagnosen. Alle anderen Einflussfaktoren waren statistisch von untergeordneter Bedeutung (Tab. 2).
Tab. 2
Binäre logistische Regression – Übereinstimmung rettungsdienstlicher Verdachtsdiagnosen mit Entlassungsdiagnosen der Notaufnahme
Variablea
p
Exp (B)
95 %-Konfidenzintervall
 
Unterer Wert
Oberer Wert
Fachgebietb
Chirurgie
Referenzkategorie
Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde
0,437
0,551
0,122
2,479
Innere Medizin
0,017
1,817
1,111
2,971
Neurologie
0,001
2,539
1,453
4,436
Sichtungskategorie
Notfallversorgung
Referenzkategorie
Stationäre Versorgung
0,806
0,938
0,564
1,562
Ambulante Versorgung
0,879
1,055
0,528
2,108
Altersgruppe
70 Jahre und älter
Referenzkategorie
0–21 Jahre
0,071
0,326
0,096
1,101
22–69 Jahre
0,029
0,654
0,446
0,958
Uhrzeit
22:00–05:59
Referenzkategorie
06:00–13:59
0,060
1,723
0,978
3,034
14:00–21:59
0,102
1,610
0,910
2,849
Transportdauer
0–10 min
Referenzkategorie
11–20 min
0,316
1,250
0,809
1,932
> 20 min
0,040
1,642
1,023
2,634
Geschlecht
Männlich
Referenzkategorie
Weiblich
0,254
0,812
0,567
1,162
Arztbegleiteter Transport
Mit Notarztbegleitung
Referenzkategorie
Ohne Notarztbegleitung
0,529
1,185
0,698
2,012
IVENA-Status
Fachbereich war abgemeldet
Referenzkategorie
Fachbereich war angemeldet
0,317
1,777
0,577
5,479
Abhängige Variable: Übereinstimmung rettungsdienstlicher Verdachtsdiagnosen mit Entlassungsdiagnosen der Notaufnahme. Die 4 Ausprägungen der Variable wurden wie folgt dichotomisiert: richtig = (1) stimmt, (2) stimmt teilweise; falsch = (3) stimmt nicht, (4) nicht erkannt
Fallzahl: n = 908 (95,2 %)
Es handelt sich um eine multivariate binäre logistische Regression (nicht adjustiert)
aDie Variable „Anlass“ wurde wegen zu geringer Fallzahl ausgeschlossen. Eine vorangegangene Regression zeigte keine statistisch signifikanten Zusammenhänge
bDas Fachgebiet „Gynäkologie und Geburtshilfe“ wurde wegen zu geringer Fallzahl ausgeschlossen.

Dringlichkeitsbeurteilung

Die rettungsdienstliche Dringlichkeitsbeurteilung in Form der Sichtungskategorie (SK) weist sowohl mit der Triage nach MTS-Standard als auch mit der Behandlungsart (ambulant/stationär) einen starken statistischen Zusammenhang auf (Cramers V = 0,62; p < 0,001; Cramers V = 0,49; p < 0,001).
In 71,0 % (n = 714) der Fälle stimmte die SK des Rettungsdienstpersonals mit der Behandlungsart überein. In 24,2 % (n = 243) der Fälle wurde der Therapiebedarf überschätzt, in 4,8 % (n = 48) unterschätzt (Tab. 3). 31,7 % (n = 243) der stationär angemeldeten Patienten (n = 766; SK1, SK2) wurden ambulant versorgt, 20 % (n = 48) der ambulant angemeldeten Patienten (n = 239; SK3) wurden stationär versorgt (Abb. 2).
Tab. 3
Kreuztabellen – Übereinstimmung rettungsdienstlicher Sichtungskategorien mit Behandlungsart (ambulant/stationär) des Krankenhauses
Variable
n (%)
p
Cramers V
SK zutreffend (%)
SK überschätzt (%)
SK unterschätzt (%)
Gesamt
1005
714 (71,0)
243 (24,2)
48 (4,8)
Sichtungskategorie
1005 (100)
<0,001
0,40
Notfallversorgung (SK1)
244 (24,3)
220 (90,2)
24 (9,8)
0 (0,0)
Stationäre Versorgung (SK2)
522 (51,9)
303 (58,0)
219 (42,0)
0 (0,0)
Ambulante Versorgung (SK3)
239 (23,8)
191 (79,9)
0 (0,0)
48 (20,1)
Fachgebiet
1000 (99,5)
<0,001
0,15
Chirurgie
408 (40,8)
272 (66,7)
105 (25,7)
31 (7,6)
Innere Medizin
279 (27,9)
180 (64,5)
88 (31,5)
11 (3,9)
Neurologie
275 (27,5)
233 (84,7)
38 (13,8)
4 (1,5)
Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde
29 (2,9)
19 (65,5)
8 (27,6)
2 (6,9)
Frauenheilkunde und Geburtshilfe
9 (0,9)
6 (66,7)
3 (33,3)
0 (0,0)
Anlass
727 (72,3)
0,72
0,05
Häuslich
561 (77,2)
402 (71,7)
129 (23,0)
30 (5,3)
Pflegeheim
91 (12,5)
62 (68,1)
24 (26,4)
5 (5,5)
Verkehrsunfälle
66 (9,1)
49 (74,2)
16 (24,2)
1 (1,5)
Arztpraxis
9 (1,2)
7 (77,8)
1 (11,1)
1 (11,1)
Altersgruppe
1005 (100)
<0,001
0,11
0–21 Jahre
63 (6,3)
44 (69,8)
19 (30,2)
0 (0,0)
22–69 Jahre
445 (44,3)
294 (66,1)
133 (29,9)
18 (4,0)
70 Jahre und älter
497 (49,5)
376 (75,7)
91 (18,3)
30 (6,0)
Einsatzzeit
1005 (100)
0,28
0,05
Vormittag (06:00–13:59)
409 (40,7)
280 (68,5)
108 (26,4)
21 (5,1)
Nachmittag (14:00–21:59)
400 (39,8)
295 (73,8)
91 (22,8)
14 (3,5)
Nacht (22:00–05:59)
196 (19,5)
139 (70,9)
44 (22,4)
13 (6,6)
Transportdauer
993 (98,8)
0,03
0,07
0–10 min
379 (38,2)
255 (67,3)
100 (26,4)
24 (6,3)
11–20 min
377 (38,0)
265 (70,3)
96 (25,5)
16 (4,2)
> 20 min
237 (23,9)
186 (78,5)
44 (18,6)
7 (3,0)
Geschlecht
998 (99,3)
0,71
0,03
Männlich
450 (45,1)
324 (72,0)
107 (23,8)
19 (4,2)
Weiblich
548 (54,9)
386 (70,4)
133 (24,3)
29 (5,3)
Arztbegleiteter Transport
980 (97,5)
<0,001
0,13
Ohne Notarztbegleitung
834 (85,1)
573 (68,7)
213 (25,5)
48 (5,8)
Mit Notarztbegleitung
146 (14,9)
122 (83,6)
24 (16,4)
0 (0,0)
IVENA-Status
1005 (100)
0,51
0,04
Fachbereich war angemeldet
968 (96,3)
685 (70,8)
237 (24,5)
46 (4,8)
Fachbereich war abgemeldet
37 (3,7)
29 (78,4)
6 (16,2)
2 (5,4)
Die SK wurde als korrekt gewertet, wenn zutraf: SK1 oder SK2 = stationär; SK3 = ambulant
Es handelt sich um einzelne, bivariate Analysen mittels Kreuztabellen

Diskussion

Die vorliegende Untersuchung quantifiziert die Qualität rettungsdienstlicher Verdachtsdiagnosen und Ersteinschätzungen und zeigt objektiv einen Verbesserungsbedarf. Fast jede fünfte rettungsdienstliche Verdachtsdiagnose und 29,0 % der Dringlichkeitsbeurteilungen deckten sich nicht mit den klinischen Daten. Es wurden zahlreiche statistisch signifikante Einflussfaktoren ermittelt, welche die Ergebnisse beeinflussten, allerdings mit jeweils geringem Einfluss.

Verdachtsdiagnosen

Unsere Ergebnisse zeigen eine Fehlerquote ((3) stimmt nicht, (4) nicht erkannt) rettungsdienstlicher Verdachtsdiagnosen von 17,8 %. Diese liegt unter der von Ramadanov et al. untersuchten Fehlerquote zu notärztlichen Verdachtsdiagnosen, an der sich unser Bewertungssystem orientiert. Dort lag „keine diagnostische Übereinstimmung“ in 23,5 % der Fälle und eine „teilweise diagnostische Übereinstimmung“ in 30,0 % der Fälle vor [23]. Allerdings wurden in dieser Studie die Verdachtsdiagnosen aus dem Notarzteinsatzprotokoll mit den Entlassungsdiagnosen aus dem Krankenhaus verglichen, wodurch eine genauere Bewertung möglich war als mit unserer Datengrundlage. Außerdem galt bei unserer Bewertung die Richtlinie, die Qualität des Rettungsdiensts als obere Schranke abzuschätzen. Sie liegt also bestenfalls so hoch wie angegeben. Zwei weitere Studien aus Deutschland ermittelten eine Fehlerquote notärztlicher Verdachtsdiagnosen von 30,6 % bzw. 35,9 % [21, 22]. Daten zur Leistung von nichtärztlichem Rettungsdienstpersonal aus Deutschland waren der aktuell verfügbaren Literatur nicht entnehmbar. Auch international fand sich keine ganzheitliche Bewertung rettungsdienstlicher Verdachtsdiagnosen. Mit Fokus auf Kindernotfälle zeigte eine Untersuchung aus Schweden eine Übereinstimmung der rettungsdienstlichen Verdachtsdiagnosen mit den Krankenhausdiagnosen von 80 % auf [19]. Eine Studie aus Berlin demonstriert, dass die Mehrheit der Patienten, die eine Notaufnahme aufsuchen, keine krankheitsspezifischen Symptome haben. Eine korrekte Diagnose zu stellen, ist also keineswegs nur ein rettungsdienstliches Problem, sondern stellt auch das ärztliche Personal in Notaufnahmen vor Herausforderungen [20].
Potenzieller Patientenschaden (2,1 %; n = 20) entstand bei einer großen Bandbreite von Diagnosen, am häufigsten jedoch durch nicht erkannte neurologische Notfälle. Dieser Effekt ist vermutlich der Spezialisierung des Krankenhauses geschuldet (Zusatzmaterial 3).
Die bivariate Datenanalyse mittels Kreuztabellen zeigt zahlreiche einflussnehmende Variablen auf die Richtigkeit der Verdachtsdiagnosen. Bei Pflegeheimbewohnern bestehen die größten Abweichungen zwischen Verdachts- und Entlassungsdiagnosen. Bei Patienten über 70 Jahre werden am häufigsten wichtige Symptome/Verletzungen nicht erkannt. Diese Ergebnisse decken sich mit Studien aus anderen medizinischen Bereichen, in denen ein hohes Patientenalter als Risikofaktor für medizinische Fehler erkannt wurde, wodurch potenziell negative Folgen für die Patienten entstehen [5, 22].
Neurologische Verdachtsdiagnosen sind häufiger fehlerhaft als andere. Dies lässt sich möglicherweise dadurch erklären, dass ohne Bildgebung viele entsprechende Verdachtsdiagnosen präklinisch nicht ausgeschlossen werden können.
SK1-Anmeldungen (Notfallbehandlungen) sind häufiger fehlerhaft als SK3-Anmeldungen (ambulante Behandlungen). Eine mögliche Erklärung ist, dass es sich bei dem betrachteten Krankenhaus um eine überregionale Stroke Unit handelt und deshalb überdurchschnittlich viele SK1-Anmeldungen neurologisch waren. Bei den SK3-Anmeldungen handelte es sich meist um chirurgische Fälle, die oft auch ohne Bildgebung präklinisch sicher erkannt werden können.
Das Patientenalter und das vom Rettungsdienstpersonal angemeldete Fachgebiet haben nach der multivariaten Analyse (binäre logistische Regression) den größten Einfluss auf die Richtigkeit der Verdachtsdiagnose. Demnach ist die Gefahr einer rettungsdienstlichen Fehldiagnose bei neurologischen sowie geriatrischen Patienten am höchsten.
Den Umstand, dass eine lange Transportdauer häufiger mit fehlerhaften Verdachtsdiagnosen einhergeht, führen wir auf den Einfluss des Fachgebiets zurück, da bei langer Transportdauer der Anteil neurologischer Fälle fast doppelt so hoch war wie im Studiendurchschnitt.
Unsere Ergebnisse zeigen vor dem Hintergrund präklinisch limitierter diagnostischer Mittel und verglichen mit oben genannten Studien unerwartet hohe Übereinstimmungen. Dennoch sollte das rettungsdienstliche Qualitätsmanagement kontinuierlich weiterentwickelt werden, um Fehldiagnosen und dadurch entstehende Patientengefährdungen auf ein Minimum zu reduzieren. Ein wichtiger Schritt besteht aus Sicht der Autoren in der Implementierung eines IT-gestützten Feedbacksystems. Rettungsdienstmitarbeitende sollten die Möglichkeit haben, ihre Verdachtsdiagnosen verifizieren oder falsifizieren zu können, um infolgedessen ihre Wissenslücken zu schließen. Das eigenverantwortliche Durchführen qualitätssichernder Maßnahmen wird außerdem in § 4 Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe i des Notfallsanitätergesetzes (NotSanG) gefordert.
Eine Befragung von Mitarbeitenden des Rettungsdiensts und einer Notaufnahme zeigte großen subjektiven Bedarf und die Bereitschaft, Feedback zu geben [13].

Dringlichkeitsbeurteilung

Die Auswertung der SK zeigt ebenfalls einen Optimierungsbedarf auf. Fast jeder dritte Fall wird anders versorgt als vom Rettungsdienstpersonal prognostiziert, häufig wird der Therapiebedarf überschätzt.
Studien zur Qualität der Sichtungskategorie in IVENA sind den Autoren nicht bekannt. Eine Studie aus Berlin verglich eine im Rettungsdienstprotokoll vorhandene fünfstufige Dringlichkeitseinschätzung mit der MTS-Triage der Notaufnahme; 34,6 % der Fälle stimmten mit der MTS-Triage überein, 9,5 % wurden über- und 55,9 % unterschätzt [18]. Diese Ergebnisse decken sich nicht mit unseren, bei denen der Therapiebedarf in 24,2 % der Fälle über- und in 4,8 % unterschätzt wurde. Eine Studie aus Finnland untersuchte die Triage des Rettungsdiensts bei Vergiftungen. Hier wurden 17,8 % über- und 31,1 % unterschätzt [17]. In den USA zeigte eine Studie, dass das Rettungsdienstpersonal häufiger über- als untertriagierte [10], was sich mit unseren Ergebnissen deckt.
Eine häufige Überschätzung des Therapiebedarfs trägt zur Blockierung von Ressourcen und infolgedessen zur Abmeldung von Notaufnahmen bei. Auf der anderen Seite wurden 20 % (n = 48) der ambulant angemeldeten Patienten (n = 239; SK3) stationär versorgt, was Krankenhäuser vor logistische Herausforderungen stellen kann. Angesichts der ohnehin schon überfüllten Notaufnahmen [27] sollte man hier über mögliche Verbesserungsansätze nachdenken.
Eine Patientengefährdung durch eine unzutreffende Sichtungskategorie in IVENA ist aus unserer Sicht nachrangig, da hier eine Untertriagierung trotzdem die Vorstellung in einer Notaufnahme zur Folge hat, wo der Patient erneut triagiert und ärztlich versorgt wird. Anders wäre eine Untertriagierung zu bewerten, wenn die Konsequenz eine Behandlung vor Ort wäre. Hierfür ist die IVENA-Sichtungskategorie jedoch ungeeignet.
Für die Vergabe der SK gibt es keine Algorithmen, wie es z. B. bei der MTS-Triage im Krankenhaus der Fall ist. Neben einer Rückmeldung über den tatsächlich benötigten Therapiebedarf der Patienten sollte perspektivisch über die Implementierung eines standardisierten Verfahrens nachgedacht werden. Auch die Nutzung zusätzlicher Anwendungen wie SmED (Strukturierte medizinische Ersteinschätzung in Deutschland) könnte den Rettungsdienst unterstützen. Hierdurch könnten abwendbar gefährliche Verläufe erkannt und das Rettungsdienstpersonal in seiner Entscheidung unterstützt werden, ob es sich um eine dringliche Situation handelt oder nicht. In diesem Kontext wird SmED aktuell in Bayern und Schleswig-Holstein erprobt und analysiert [28]. Außerdem könnte SmED die Schaffung einer rechtlichen Basis für eine ambulante Notfallversorgung durch nichtärztliches Rettungsdienstpersonal unterstützen, die derzeit nicht gegeben ist [6].

Limitationen

Die vorliegende Studie weist folgende Limitationen auf: IVENA-Daten eignen sich nur bedingt, um die Verdachtsdiagnosen des Rettungsdiensts zu bewerten, da nur ein beschränkter Umfang anmeldbarer Verdachtsdiagnosen (n = 184) zur Verfügung steht [12]. Zusätzliche Angaben aus den IVENA-Freitextfeldern wurden in der Auswertung nicht berücksichtigt. Eine notärztliche Versorgung vor Ort ohne Transportbegleitung konnte nicht erfasst werden. Zudem handelte es sich bei den Entlassungsdiagnosen aus der Notaufnahme zum Teil um nicht gesicherte Verdachtsdiagnosen, die weiterer Abklärung bedurften. Mit unserem Bewertungssystem stimmten drei Viertel der Bewertungen ohne Diskurs der Prüfer initial überein (Abb. 1), was die Problematik der Objektivierbarkeit unterstreicht.
Es wurden nur Daten aus einem Krankenhaus mit neurologischem Schwerpunkt betrachtet, daher sind die Häufigkeiten einzelner Krankheitsbilder verzerrt. Vor allem Schlaganfälle im Zeitfenster sind überrepräsentiert, die meisten anderen Verdachtsdiagnosen sind in ihrer Häufigkeit weitestgehend repräsentativ (Zusatzmaterial 2).
Weitere multizentrische Studien, die auch Daten aus Rettungsdienstprotokollen berücksichtigen, sollten folgen. Mögliche Optimierungen des Bewertungssystems könnten erwogen werden.

Fazit für die Praxis

  • Fast jede fünfte rettungsdienstliche Verdachtsdiagnose ist nicht korrekt. Am häufigsten betrifft dies Pflegeheimbewohner.
  • Ein Diagnosefeedbacksystem könnte Abhilfe schaffen und wird von vielen Rettungsdienstmitarbeitenden gewünscht.
  • 29 % der Dringlichkeitsbeurteilungen (Sichtungskategorien) sind nicht korrekt. Der Therapiebedarf wird häufiger über- als unterschätzt.
  • Für die Vergabe einer Sichtungskategorie gibt es bisher kein standardisiertes Verfahren. Über die Einführung einheitlicher Algorithmen sollte nachgedacht werden. Außerdem könnte auch hier ein Feedbacksystem helfen.
  • Weitere, multizentrische Studien sind erforderlich, um die sektorenübergreifende Patientenversorgung zu verbessern.
Diese Arbeit ist Teil einer kumulativen Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades „Dr. med.“.

Danksagung

Wir danken dem gesamten Team des Zentrums für Notfallmedizin im Evangelischen Krankenhaus Oldenburg für seine engagierte Arbeit und die Bereitstellung der Daten. Wir danken der Firma mainis IT-Service GmbH für die überaus freundliche Kooperation in allen Fragen rund um das Thema IVENA. Außerdem danken wir dem Lehrstuhl für Biometrie und Epidemiologie der FAU sowie Prof. Raphael Verstege für die statistische Beratung.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

M. Villis, T.J. Henke, S. Thate, J. Christoph und I. Seeger geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Eine Anfrage zur Beratungspflicht bei der Medizinischen Ethikkommission der Universität Oldenburg ergab, dass nach § 15 Berufsordnung Ärztekammer Niedersachsen keine gesetzliche oder berufsrechtliche Beratungspflicht durch eine Ethikkommission notwendig ist, da es sich hier lediglich um die Auswertung anonymer Daten, die sich nicht einer bestimmten Person zuordnen lassen, handelt (Medizinische Ethikkommission Universität Oldenburg, Aktenzeichen 2023-017). Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Metadaten
Titel
Qualität rettungsdienstlicher Verdachtsdiagnosen und Dringlichkeitsbeurteilungen
Eine sektorübergreifende, monozentrische Evaluation rettungsdienstlicher IVENA-Verdachtsdiagnosen und IVENA-Sichtungskategorien mit klinischen Daten
verfasst von
Marten Villis
Dr. med. Thomas J. Henke
Stefan Thate
Jun.-Prof. Dr. rer. biol. hum. Jan Christoph
Dr. rer. medic. Insa Seeger
Publikationsdatum
13.11.2024
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Notfall + Rettungsmedizin
Print ISSN: 1434-6222
Elektronische ISSN: 1436-0578
DOI
https://doi.org/10.1007/s10049-024-01409-z