Vorbehaltsaufgaben: Chance für die Pflege
Das Thema prägt pflegepolitische Debatten seit 20 Jahren. Nun gibt es Bewegung: Erstmals wurde eine Definition vorbehaltener Aufgaben in das seit dem 1. Januar gültige Pflegeberufegesetz aufgenommen. Wird nun alles gut? Auf einem Fachgespräch am 29. Juni in Berlin, initiiert von der Vereinigung der Pflegenden in Bayern (VdPB), wurden verschiedene Aspekte der "Vorbehaltsaufgaben" diskutiert.
Vor Pflegeexperten, Vertreter der Pflegekammern und Fachleuten aus der Pflegepraxis betonte VdPB-Präsident Georg Sigl-Lehner, dass die gesetzliche Definition von vorbehaltenen Aufgaben für die Pflege einen Paradigmenwechsel für die Berufsgruppe bedeute, der ein Meilenstein in der Professionalisierung werden könnte. Allerdings müsse sie dafür in der Praxis mit Leben und detaillierten Inhalten gefüllt werden. Dazu wolle die VdPB beitragen und einen bundesweiten Dialog initiieren.
Einen Blick zurück warf zunächst Pflegeexpertin Elisabeth Beikirch. Sie erinnerte daran, dass weder die Berufsgruppe noch die angestrebte Professionalisierung der Pflegeberufe für den Gesetzgebungsprozess prioritär war. Allein Überlegungen zur Sicherheit der Gesundheitsversorgung gelten Beikirch zufolge als Legitimation bei der Definition von Vorbehaltsaufgaben sowie aktuell als Beleg der Systemrelevanz der Pflege. Gleichwohl sieht Beikirch in dem Konzept eine große Chance für die berufliche Pflege, die eigene professionelle Rolle zu entwickeln.
Ball liegt bei der Pflege
Um die vorbehaltenen Aufgaben in den Pflegealltag zu implementieren, müssen verschiedene Hürden überwunden werden - das wurde im Verlauf der Fachtagung immer wieder deutlich. Experten aus verschiedenen Bereichen der Pflege kamen zu Wort.
Als einen "sehr bedeutsamen Schritt des Gesetzgebers", um die Gesundheitsversorgung zu optimieren und die professionelle Pflege aufzuwerten, bezeichnete Prof. Dr. Thomas Weiß, Justitiar der Pflegekammer Schleswig-Holstein, die Regelungen zu den Vorbehaltstätigkeiten. Allerdings sollten weitere Schritte folgen, auch um Unklarheiten im Sinne der Rechtssicherheit zu beseitigen. So fehle u.a. eine Klarstellung bezüglich der Vorbehaltstätigkeiten/-aufgaben bei den bisherigen und besonderen Berufsabschlüsse der Alten- bzw. Gesundheits- und Kinderkrankenpflege (in Beziehung zu den Abschlüssen "Pflegefachfrau"/"Pflegefachmann"). Die Rede sei von "entsprechender Anwendung" - allerdings sei nicht klar, was darunter zu verstehen sei, so Weiß.
Ein zweites Problem: In der Gesetzesbegründung sei die Orientierung am Pflegeprozess offensichtlich, so Weiß. "Die Pflegeplanung ist genauso offensichtlich nicht ausdrücklich aufgeführt. Gehört diese aber nicht zwingend dazu?", fragt der Jurist und fordert die ausdrückliche Einbeziehung der Pflegeplanung in die Vorbehaltsaufgaben. Weiß warnte jedoch davor, den Ball an den Gesetzgeber zurückzuspielen. Es sei jetzt an der Pflege und ihren Selbstverwaltungsorganen, den Prozess voranzutreiben und das Konzept der Vorbehaltsaufgaben inhaltlich auszuarbeiten.
Wie kann man Rolle ausfüllen?
Bernhard Krautz, damals noch Leiter des Pflegedienstes am Klinikum Neumarkt in der Oberpfalz, sieht große qualitative Anforderungen auf die Pflegenden zukommen. Der Pflegeprozess sei etabliert, aber nicht immer auch erkennbar. Er geht von einer großen Spreizung aus. Zwingend sei es, in Diskussionen pflegerische Interventionen fachlich begründen zu können. Und man sei noch davon entfernt, "pflegediagnostische Kompetenzen zu entwickeln", räumt Krautz - er ist mittlerweile verantwortlich für "Professionsentwicklung" bei der VdPB - ein.
Bianca Jendrzej vom KWA Kuratorium Wohnen im Alter plädierte dafür, die Anforderungen an Wissen und Können genau zu definieren. Mit Blick auf die Komplexität der Pflegesituationen sei zu fragen: "Was muss ich haben, um diese Aufgaben zu erfüllen kann?" Für eine bessere Verzahnung von Theorie und Praxis sprach sich Michael Gügel, Leiter des Bildungszentrums für Gesundheitsberufe am Klinikum Erding, aus.
Deutlich wurde während der Diskussion, dass in Personal- und Organisationsentwicklung in den Einrichtungen investiert werden müsse. Sonst fehle es oft an notwendigen Kompetenzen, sachgerechten Strukturen und interprofessionell respektvoller Zusammenarbeit, um eine reibungslose Umsetzung in die Praxis zu gewährleisten. Dennoch erwarten sowohl Experten als auch Teilnehmer der abschließenden Podiumsdiskussion letztlich eine positive Dynamik hin zu mehr Autonomie und Eigenverantwortlichkeit der Pflege.
Unter unabhängiger Moderation weiterdenken
Die Veranstaltung sollte in einem bundesweiten, interdisziplinär besetzten Think Tank seine Fortsetzung finden, betonte VdPB-Justiziar und Moderator des Fachgesprächs, Prof. Dr. Thomas Klie. Die VdPB wolle nicht beim Diskussionsanstoß stehen bleiben, pflichtete Georg Sigl-Lehner ihm bei. "Sie wird den Prozess als Motor vorantreiben und dazu gerne den Vorschlag von Elisabeth Beikirch aufgreifen, die Ausgestaltung der Vorbehaltsaufgaben im Gespräch mit allen beteiligten Akteuren - geführt durch eine unabhängige Moderation - zu entwickeln", so der VdPB-Präsident. Ebenso wichtig sei es, dieses wichtige Thema an alle Kolleginnen und Kollegen sehr gut zu kommunizieren, appellierte Sigl-Lehner.
Ute Burtke