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Erschienen in:

01.06.2024 | Pflege Perspektiven

Pflege auf dem Weg zum digitalen Leitkrankenhaus

verfasst von: Charlotte Kruhøffer

Erschienen in: Heilberufe | Ausgabe 6/2024

Begleitmaterial
Hinweise

Supplementary Information

Zusatzmaterial online: Zu diesem Beitrag sind unter https://​doi.​org/​10.​1007/​s00058-024-3632-3 für autorisierte Leser zusätzliche Dateien abrufbar.
Ein Erfahrungsbericht Nicht die digitale Transformation wird die Infrastruktur im Gesundheitswesen ändern, sondern die Menschen, die sich damit beschäftigen. Wie gehen Pflegekräfte im Carl-Thiem-Klinikum Cottbus vor, um moderne technische Mittel bestmöglich zu nutzen? Wie gelingt es trotz schwieriger Bedingungen und vieler Herausforderungen, die elektronische Patientenakte einzuführen und neue Technologien zu erproben?
Das Carl-Thiem-Klinikum (CTK) in Cottbus, das größte Krankenhaus im Land Brandenburg, steht vor großen Veränderungen. Ab dem 1. Juli 2024 wird es Kern der „Medizinischen Universität Lausitz - Carl Thiem“, ein bedeutender Schritt auf dem Weg zum „Digitalen Leitkrankenhaus“ der Lausitz. Die digitale Transformation betrifft auch die Pflege, die als größte Berufsgruppe im CTK eine zentrale Rolle in der Versorgung spielt. Diese Rolle umfasst zunehmend mehr Aufgaben. Neben der Pflege auf den Stationen und in den Funktionsbereichen werden gerade Übergangs-, Kurzzeit- und ambulante Pflege etabliert. Die Ansprüche an die Verzahnung zwischen unterschiedlichen Pflegebereichen wachsen. Vor allem müssen sich Pflegekräfte mit der Digitalisierung und neuen Technologien zurechtfinden. Nur dann können sie zum Wohle der Patienten bei der Einführung adäquater digitaler Lösungen Einfluss nehmen und zielgerichtet mit anderen Berufsgruppen im und um das Krankenhaus herum zusammenarbeiten.

Einführung elektronischer Patientenakten

Ein Beispiel, wie das gelingen kann, ist die Einführung der digitalen Patientenakten, die seit November 2023 ausgerollt werden. Eine gute Planung unter Einbeziehung aller Akteure ist für den Erfolg der parallelen Einführung von drei großen Modulen (Medication, Patient Chart, Nursing inkl. Wunddokumentation und Mobile Foundation) fundamental wichtig. Aus Sicht der Pflege erfordert dies, mit der für die Gesamtkoordination der Vorbereitung und des Roll-out zuständigen Projektleitung der zentralen Verwaltung eng zu kooperieren. Zusammen mit dem Kompetenzzentrum der Pflegedirektion wurden die Bedarfe und die Wünsche an das Softwaresystem ausgearbeitet und der gesamte Prozess engmaschig begleitet. Die zwölf Key-User kommen aus der Pflege und begleiten den gesamten Roll-out Prozess. Sie führen die zweitägigen Anwendungsschulungen für Pflegekräfte durch, begleiten die Stationen in den ersten Wochen und stehen danach für ad-hoc Beratung und Unterstützung weiterhin zur Verfügung.

Lessons learned aus Sicht der Pflegekräfte

Eine gute Fehlerkultur ist entscheidend, um aus Erfahrungen zu lernen und die Anpassung zu erleichtern. Eine erfolgreiche Implementierung erfordert eine enge Zusammenarbeit und gegenseitiges Verständnis zwischen erfahrenen Projektleitern, Mitarbeitenden der IT-Abteilung, Ärzten, Therapeuten und Pflegekräften.
Zu Beginn bedeutet die Einführung der elektronischen Patientenakten mehr Aufwand und Zeit. Es ist wichtig, Pflegende frühzeitig einzubeziehen und Vorteile und Arbeitserleichterungen aufzuzeigen. Eine offene Kommunikation und das Hervorheben von Teilerfolgen tragen dazu bei, die Motivation aufrechtzuerhalten.
Beteiligung und Anerkennung spielen eine zentrale Rolle. Das Würdigen von Erfolgen - egal wie klein sie erscheinen mögen - stärkt das Engagement und die Bereitschaft zur Veränderung. Es ist wichtig zu verstehen, dass Pflegekräfte unterschiedliche digitale Kompetenzen besitzen, die nicht zwangsläufig mit ihrem Alter korrelieren. Daher ist es unerlässlich, Schulungen, Begleitung und Unterstützung anzubieten, die individuell auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden zugeschnitten sind.
Elektronische Patientenakten erfolgreich einzuführen, erfordert einen interprofessionellen ganzheitlichen Ansatz und Anerkennung der Vielfalt innerhalb des Pflegepersonals. Durch eine Kultur des Lernens, der Zusammenarbeit und der Wertschätzung können die Herausforderungen gemeistert und die Vorteile dieser Technologie ausgeschöpft werden.

Pflege als treibende Kraft und aktiver Partner

Neben dem zentral gesteuerten, digitalen Projekt „Digitale Patientenakte“ werden weitere von der Pflege ausgehende Pilotprojekte geplant und durchgeführt. Das Team rund um Pflegedirektorin Andrea Stewig-Nitschke hat sich auf die Fahne geschrieben, die Pflege im Carl-Thiem-Klinikum als aktiven Partner für sowohl interne als auch externe Akteure, die für die digitale Transformation in der Lausitz tätig sind, aufzustellen.
Die Pflege ist im Dialog mit anderen Abteilungen im Klinikum, mit denen man gemeinsame Pilotprojekte im Bereich Innovation und neue Technologien durchführen kann. Mitarbeitende der Aufbereitungseinheit für Medizinprodukte, des Bereichs Logistik Materialtransport sowie des zentralen OP haben sich zum Beispiel zusammengefunden, um sich gemeinsam über fahrerlose Transportsysteme von Sterilgut zu informieren und Pläne für die Nutzung dieser Systeme zu entwickeln. Dies bedarf technischen Know-hows und der Kenntnis der Arbeitsprozesse, aber auch entsprechende Motivation und eines gemeinsamen Ziels. Alles ist in einem großen Klinikum vorhanden und kann in einem bereichsübergreifenden, agilen Team viel Wirkung entfalten.
Andere Akteure im CTK werden zunehmend auf die Pflege als Partner bei innovativer Ideengenerierung und der Suche nach Lösungen aufmerksam. Beispielsweise strebt das Institut für Laboratoriumsmedizin eine Zusammenarbeit im Bereich elektronischer Identifikation bei Blutentnahmen und Transfusionen an, um die Sicherheit für Patienten auf aller Stufen der Prozesse, an denen auch Pflegekräfte beteiligt sind, zu erhöhen und Vorgänge effizienter zu gestalten.

Robotik in der Pflege noch in den Kinderschuhen

Robotik im Pflegealltag findet laut einer Studie der DAA-Stiftung Bildung und Beruf „trotz der hohen gesellschaftlichen, politischen und wissenschaftlichen Aufmerksamkeit…, … eine sehr begrenzte Anwendung“ (2022). Obwohl seit einigen Dekaden über Robotik in der Pflege geforscht und geschrieben wird, hat sich der Roboter weder als Assistenz noch als Ersatz von Pflegepersonal durchgesetzt. Übrigens auch nicht in Dänemark, wo Krankenhäuser in vielerlei Hinsicht bei der Digitalisierung weiter sind als in Deutschland.
Das Carl-Thiem-Klinikum hat sich auf den Weg gemacht, die Frage des Robotereinsatzes zu beantworten. Dazu wurden die verschiedenen Roboter angeschaut, die bisher in diversen Fachveröffentlichungen, auf Fachmessen und in den sozialen Medien als Unterstützung im Gesundheitswesen beschrieben werden. Es fällt auf, dass die meisten Roboter für Tätigkeiten, die traditionell in der Hotellerie und Gastronomie stattfinden, entwickelt und teilweise im Einsatz sind. Insbesondere übernehmen sie Transportgänge, beispielsweise von Speisen im Restaurant, Botengänge in Hotels und Reinigungsaufgaben, wie sie in privaten Haushalten von Saug- und Wischrobotern erledigt werden.
Im CTK wurden marktübliche Roboter aus der Gastronomie - die mit Essentabletts durch einige Restaurants in Deutschland rollen - im laufenden Betrieb getestet. Es wurde geprüft, ob sie bei der Essen- und Getränkeausgabe und bei kurzen Botengängen das Pflegepersonal entlasten könnten. Die knapp sechs-monatige Erprobung, die maßgeblich von und mit der Pflege in Kooperation mit der Serviceabteilung geplant und durchgeführt wurde, ergab viele Erkenntnisse, aber keine schnelle Lösung für den Pflegealltag im Klinikum. Die Roboter können einprogrammierte Ziele ansteuern, Hindernisse erkennen und ihnen ausweichen sowie Essentabletts und Getränke an die Betten der Patienten bzw. an die Tür des Patientenzimmers bringen. Auch für den Transport von Materialien könnten sie eingesetzt werden. Allerdings müssen die Transportbefehle direkt auf dem Display der Roboter eingegeben werden.
Dabei hat sich gezeigt, dass die eingesetzten Roboter noch zu sehr von menschlicher Steuerung abhängig sind, um im vielbeschäftigten Pflegealltag eine Erleichterung zu sein. Dazu kommt, dass sie in baulichen Gegebenheiten mit engen Fluren und wenig Platz sowie Fahrstühlen, die (noch) nicht mit den Robotern kommunizieren können, noch nicht außerhalb der Stationsflure einsetzbar sind.

Welche Hoffnungen und Ängste gibt es?

Insgesamt wurden die Gastronomie-Roboter auf sieben Stationen - von der Geriatrie und die Übergangspflege bis zur Kinderstation - getestet, mit einem auf die jeweilige Station zugeschnittenen Aufgabenbereich. Unter dem Personal herrschten vor den ersten Einsätzen der Roboter sowohl hohe Erwartungen als auch Skepsis. Die Erprobung hat für einen realistischeren Blick des Pflegepersonals auf die Roboter und ihre Einsatzmöglichkeiten gesorgt. Zum Beispiel hat sie eindeutig die gelegentlich geäußerte Sorge widerlegt, dass der eigene Job komplett von „Robo-Schwestern“ erledigt werde. Die Erwartungen wurden mit dem tatsächlich Möglichen vor dem Start abgestimmt und die Erprobung als Experiment betont. Die Erprobung sollte vornehmlich Berührungsängste mit Robotik abbauen, Neugier wecken und neue Ideen generieren. Wie kann man Robotik einsetzen, wie adaptieren und weiterentwickeln um eine wirkliche Entlastung für die Pflege - und andere Berufsgruppen - zu erzielen?
Der Einsatz von Robotern im Carl-Thiem-Klinikum hat gezeigt, dass sie in keinem Fall die Prozesse bestimmen oder Pflegevorgänge unterbrechen dürfen. Der Roboter soll sinnvoll in Pflegeprozesse eingebunden werden. Durchaus kann und muss man sogar Pflegeprozesse mit Robotik neu denken - aber immer mit der Pflege statt nur für die Pflege. Insbesondere bei pflegefernen Tätigkeiten, wie Essensausgabe, Botengängen und Betten reinigen, kann Robotik perspektivisch zur Erleichterung im Pflegealltag führen.

Roboter als Wegebegleiter für neue Patienten

Während der Pilotphase hat sich eine Zusammenarbeit mit dem zentralen Patientenmanagement im Bereich Robotik ergeben. Zwei Roboter von der Station sind „abkommandiert“ worden, um in der Eingangshalle neue Patientinnen und Patienten als Wegebegleiter mit den passenden Namen „Carla“ und „Thiemo“ zur Seite zu stehen. Mit bis zu 25 Begleitungen zur Zielstation am Tag und vielen positiven Reaktionen sowohl von Patientinnen/Patienten und Besucherinnen/Besucher als auch vom Krankenhauspersonal, wird nun geprüft, ob dies ein permanentes Angebot des Hauses werden kann.
Eine Aufgabenerweiterung um Wegebegleitung von stationären Patientinnen zu den Untersuchungen beziehungsweise Therapien und OPs wäre der nächste Schritt.

Zukunftsträume erwünscht

Es gibt jede Menge Barrieren bei der Einführung von digitalen und neutechnologischen Lösungen in der Krankenhaus-Pflege. Fehlende IT-Infrastruktur, bauliche Gegebenheiten, finanzielle Restriktionen, gesetzliche Regelungen und Prioritätensetzung sind einige davon. Das Carl-Thiem-Klinikum ist wie die meisten Krankenhäuser Deutschlands auf dem Weg zur Digitalisierung. Es hat dabei viele engagierte und ideenreiche Mitarbeitende, die auf eine zukunftsorientierte, personennahe und moderne Gesundheitsversorgung hinarbeiten.
Es gibt unterschiedlichste neue technologische und digitale Lösungen, die im Krankenhaus eingesetzt werden könnten. Mit einer gemeinsamen Strategie und kleinen interprofessionellen Teams mit Zeit für Austausch, Recherche und Entwicklung kann man vieles erreichen.
Von Sturzprophylaxe und Monitoring durch Sensorik, digitale Wundbeurteilung mit vernetzen Endgeräten, digitaler Patientenkommunikation einschließlich des digitalen Patientenrufs bis hin zu „Virtual Care Nurses“, vieles wird anders - gute Zusammenarbeit mit der Pflege ist wichtig, damit es auch besser wird.

Zum Weiterlesen

In der Oktober-Ausgabe 2023 der HEILBERUFE berichtete unsere Autorin Charlotte Kruhøffer, tätig im Carl-Thiem-Klinikum Cottbus, im Beitrag „Digital kompetent - Ein Blick nach Skandinavien” über die Digitalisierung im dänischen Pflegealltag.

AUF EINEN BLICK

Das Carl-Thiem-Klinikum Cottbus
  • Medizinisches Hochleistungszentrum mit über 20 Kliniken, Departments und Sektionen
  • Jährlich werden mehr als 150.000 Patienten stationär und/oder ambulant behandelt.
  • Der größte Arbeitgeber in Cottbus mit 3.200 Beschäftigten, darunter 1.000 Pflegekräfte
  • Das Kompetenzzentrum der Pflegedirektion fördert die Entwicklung und Innovation in der Pflege, einschließlich Primärpflege, Fundamentals of Care, Digitalisierung, Neue Technologien und mehr
  • Gründung der Medizinischen Universität Lausitz - Carl Thiem am 1. Juli 2024

Pflege einfach machen

Das Carl-Thiem-Klinikum Cottbus (CTK), das größte Krankenhaus im Land Brandenburg, ist wie die meisten Krankenhäuser Deutschlands auf dem Weg zur Digitalisierung.
Erfolgreich eingeführt wurde am CTK die elektronische Patientenakte, weitere Pilotprojekte laufen. Getestet wurden beispielsweise Roboter, die bei der Ausgabe von Essen und und Getränken die Pflegenden entlasten können. Dabei gab es viele Erkenntnisse, aber keine schnelle Lösung für den Pflegealltag im Klinikum.
Wichtig bei der digitalen Transformation: Sie wird von Menschen vorangetrieben, deshalb müssen Hoffnungen und Ängste thematisiert, die Pflegenden von Anfang an motiviert und einbezogen werden.

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Metadaten
Titel
Pflege auf dem Weg zum digitalen Leitkrankenhaus
verfasst von
Charlotte Kruhøffer
Publikationsdatum
01.06.2024
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Heilberufe / Ausgabe 6/2024
Print ISSN: 0017-9604
Elektronische ISSN: 1867-1535
DOI
https://doi.org/10.1007/s00058-024-3632-3