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Open Access 25.02.2025 | Konzepte - Stellungnahmen - Perspektiven

Notfallmedizinische Betreuung am Spielfeldrand. Best-Practice-Beispiel zur UEFA-Fußballeuropameisterschaft der Herren 2024

verfasst von: Andreas Becht, Kalle Heitkötter, Thomas Hussmann, Dr. Ulf Blecker, Dr. Romy Palmer, Clara Tesche, Tim Potempa, Max Skorning, PD, Sandra Otto, Michael Brüls, Dr. Mark Michael

Erschienen in: Notfall + Rettungsmedizin

Zusammenfassung

Einführung

Für den internationalen Spielbetrieb im Fußball existieren Vorgaben der Union of European Football Associations (UEFA) für die medizinische Betreuung. Für die spezielle notfallmedizinische Versorgung zum Beispiel bei einem plötzlichen Herztod („sudden cardiac arrest“ [SCA]) existieren ebenfalls Empfehlungen zur Notfallversorgung. Besondere organisatorische Herausforderungen bestanden im Rahmen der Fußballeuropameisterschaft der Herren (UEFA EURO 2024) zur Notfallversorgung im Stadion und auf dem Spielfeld.

Methoden

In der Vorbereitung der UEFA EURO 2024 in Deutschland wurde für den Standort Düsseldorf ein umfangreiches Sicherheitskonzept entwickelt, welches auch eine spezielle notfallmedizinische Versorgung am Spielfeldrand vorsah. Spezielle Versorgungsalgorithmen wurden hierbei erstellt und trainiert.

Ergebnisse

Während der fünf Spieltage in der Arena Düsseldorf wurde eine einzelne Hilfeleistung am Spielfeldrand dokumentiert. Die Erfahrung mit dem ausgearbeiteten Versorgungskonzept wurde jedoch äußerst positiv bewertet.

Diskussion

Die entwickelten und trainierten Konzepte zur notfallmedizinischen Versorgung am Spielfeldrand können als Best-Practice-Beispiel für weitere Sportveranstaltungen dienen, sowohl für die Einsatzorganisation als auch medizinisch.
Hinweise
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

Hintergrund

Im Leistungs- und Mannschaftssport sind medizinische Notfälle häufig anzutreffen. Den Großteil bilden hierbei klassische Sportverletzungen ab, die üblicherweise von Sportmedizinern (MannschaftsärztInnen) versorgt werden. Darüber hinaus ist bei vielen Sportveranstaltungen ein Sanitätsdienst vor Ort vorgesehen, bei Großveranstaltungen bestehen üblicherweise behördliche Vorgaben für die entsprechende Versorgung. Im Rahmen der UEFA EURO 2024 gab es zudem Vorgaben des Veranstalters (UEFA) zur Versorgung der Sportler, aber auch der Funktionsträger und der Besucher [1].
In der Literatur sind akute, insbesondere kardiale Notfälle im Spitzensport selten [24]. Der plötzliche Herztod („sudden cardiac arrest“ [SCA]) als eine gefürchtete Komplikation unter sportlicher Betätigung ist dabei häufig im Fokus auch notfallmedizinischer Vorhaltung bei Veranstaltungen. Insbesondere die Inzidenz für Herzrhythmusstörungen ist bei Sportlern erhöht [4], die höchste Inzidenz für einen plötzlichen Herztod bei sportlicher Betätigung zeigen Läufer und Fußballspieler [5], auch wenn dies mit 0,76 Fällen pro 100.000 Athletenjahre ein insgesamt sehr seltenes Ereignis darstellt. Allerdings ist die Inzidenz bei sportlich bedingten Vorfällen höher als bei nicht sportbedingten Zwischenfällen (46 vs. 17 %, [6]).
Seitens notfallmedizinischer Fachgesellschaften gibt es Empfehlungen und Stellungnahmen zu sportassoziierten Notfällen [7, 8]. Auch in den europäischen Reanimationsleitlinien werden Reanimationssituationen nach sportlicher Aktivität besonders erwähnt und sind hier in entsprechenden Empfehlungen zusammengefasst [8].
Bei außerklinischem Herz-Kreislauf-Stillstand (OHCA) bzw. plötzlichem Herztod (SCA) nach sportlicher Betätigung, insbesondere bei Wettkämpfen, ist die Überlebensrate oft deutlich besser als in der Allgemeinbevölkerung, da es sich um beobachtete Ereignisse handelt und sofortige Maßnahmen eingeleitet werden können [2]. Auch konnte gezeigt werden, dass durch frühe Reanimationsmaßnahmen (CPR und Defibrillation) die beste Überlebenswahrscheinlichkeit besteht [7]. Der Europäische Wiederbelebungsrat (ERC) empfiehlt daher, dass die Planung, Einhaltung und Einführung von standardisierten Wiederbelebungsverfahren bei Sportveranstaltungen grundlegende Basic-Life-Support(BLS)-Maßnahmen inklusive Verwendung eines AED umfassen solle [8].
Im Spitzenfußball liegen Vorgaben der Europäischen Fußballvereinigung (UEFA) zur medizinischen Versorgung vor [1]. Die UEFA beschreibt hier dezidiert die materielle Ausstattung im Stadion, im medizinischen Behandlungsraum (Stadium Medical Room), am Spielfeldrand sowie die personelle Qualifikation der Notfallteams, aber auch Vorgaben bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand (s. Supplement).

UEFA EURO 2024 (Fußballeuropameisterschaft der Herren 2024 in Deutschland)

Im Frühsommer 2024 fand die UEFA EURO 2024 der Herren in Deutschland statt. Insgesamt 51 Spiele an 10 Spielorten wurden unter Organisation der UEFA/EURO 2024 ausgetragen, dabei wurden entsprechende lokale erfahrene Planungskomitees eingebunden. Die Leitung der medizinischen Organisation für alle Spielstätten hatte Professor Dr. Tim Meyer, ehemaliger Teamarzt der deutschen Herrenfußballnationalmannschaft. Vor Ort fungierten Stadium Medical Liaison Officer mit entsprechender Kenntnis der lokalen Strukturen als Ansprechpartner für die UEFA.
In Düsseldorf als einer der 10 Austragungsorte wurde neben der sanitätsdienstlichen Versorgung (durch das Deutsche Rote Kreuz, Kreisverband Düsseldorf e. V.) und der Sicherstellung einer Brandsicherheitswache (Feuerwehr Düsseldorf) die notfallmedizinische Versorgung am Spielfeldrand nach interner Festlegung als eigener Versorgungsbereich („pitch side“) definiert, neben einer weiteren Betreuung im VIP-Bereich des Stadions.
In dieser Übersichtsarbeit stellen wir die für den Standort Düsseldorf erarbeiteten Konzepte zur notfallmedizinischen Versorgung am Spielfeldrand vor.

Methoden und Entwicklung

In der Landeshauptstadt Düsseldorf wurden bereits seit 2019 Planungen zur Sicherheitsarchitektur rund um die Fußballeuropameisterschaft im Jahr 2024 vorgenommen. Dieses Konzept wurde vom Projektbüro der UEFA EURO 2024 der Landeshauptstadt Düsseldorf in Abstimmung mit allen beteiligten Ämtern, Behörden und Sicherheitsorganisationen sowie der UEFA als Veranstalter entwickelt. Die medizinischen und rettungsdienstlichen Aspekte wurden federführend vom Gesundheitsamt Düsseldorf und der Feuerwehr Düsseldorf erarbeitet. Die Ärztliche Leitung des Rettungsdiensts (ÄLRD) zog zur Erstellung der medizinischen Versorgungskonzepte die Expertise verschiedener renommierter Fachleute heran.
Über die Vorgaben der UEFA zur Organisation und Vorhaltung bei internationalen Spielen hinaus hat die Arbeitsgruppe Sicherheit des städtischen Projektbüros für die Spiele in Düsseldorf ein erweitertes Konzept entwickelt, das im Folgenden als Best-Practice-Beispiel dargestellt werden soll. Das „Düsseldorfer Konzept“ beinhaltet die Einbeziehung rettungsdienstlicher Strukturen zur Versorgung am Spielfeldrand („pitch side emergency teams“) und im VIP-Bereich, die Einbindung organisatorischer Strukturen der Feuerwehr, die Entwicklung spezieller Algorithmen für die notfallmedizinische Versorgung auf dem Spielfeld, die Vorhaltung einer angepassten Ausstattung an Medizingeräten vor Ort und das Training in einem definierten Team. Auch für den Einsatz im „stretcher team“ werden seitens der UEFA Voraussetzungen definiert wie eine ausreichende körperliche Fitness [1], dies wurde im Vorfeld kommuniziert und geprüft.

Einbindung rettungsdienstlicher Strukturen

Um eine größtmögliche notfallmedizinische Expertise zu gewährleisten, wurden im Vorfeld langjährig im Notarztdienst tätige Ärztinnen und Ärzte sowie Notfallsanitäter (NFS) aus dem Rettungsdienst der Landeshauptstadt Düsseldorf in die Vorbereitung eingebunden.
Definiert wurden zwei Abschnitte: die Spielfeldrandbetreuung („pitch side emergency team“) mit zwei redundanten Notfallteams, wobei ein Team aus einem Notarzt/einer Notärztin (Fachärztin/Facharzt für Anästhesie, Zusatzbezeichnung Notfallmedizin) sowie einem Notfallsanitäter und einem Rettungssanitäter bestand.
Ergänzend kamen am Spielfeldrand zwei Tragetrupps für den Transport verletzter Spieler zum Einsatz („stretcher teams“, jeweils vier Mitarbeitende des DRK).
Als zweiter Abschnitt wurde die medizinische Versorgung im VIP-Bereich festgelegt, dort wurden ebenfalls zwei NotärztInnen eingeplant, wobei diese getrennt vom Spielfeldrand tätig wurden.
Neben VIP wurde auch die Versorgung diverser internationaler Schutzpersonen durch dieses Team sichergestellt.
Für jeden Abschnitt wurde für eventuelle Notfalltransporte ein definierter Rettungswagen (RTW) vorgehalten. Beide Fahrzeuge waren an definierten, leicht erreichbaren Positionen in der Arena stationiert und materiell ergänzt, sodass sie als Notarztwagen (NAW) genutzt werden konnten. Jeder dieser RTW war mit einem Notfallsanitäter (NFS, NotSan) und einem Rettungssanitäter (RS) besetzt (Abb. 1).

Einbindung organisatorischer Strukturen der Feuerwehr

In der Einsatzstruktur rund um die Spieltermine der EURO 2024 lag die Gesamteinsatzleitung der kommunalen nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr bei der Feuerwehr Düsseldorf. Hier gab es mehrere Einsatzabschnitte, von denen einer die Arena in Düsseldorf war (eröffnet 2004, die Kapazität während des Turniers betrug 47.000 Sitzplätze).
Der Medizinische Leiter in der Arena war bei allen Spielen der Ärztliche Leiter Rettungsdienst oder sein Vertreter. Gemeinsam mit dem Einsatzabschnittsleiter der Feuerwehr (Verbandsführerqualifikation) leitete er den medizinischen Einsatz, insbesondere die rettungsdienstliche Versorgung und die Versorgung in den Bereichen Spielfeldrand und VIP-Versorgung.
Für die Spielfeldrandbetreuung war bei allen Spielterminen im „pitch side emergency team“ ein Notfallsanitäter in Doppelfunktion als Gruppenführer der Feuerwehr der organisatorische Verantwortliche für diesen Einsatzunterabschnitt. Die notfallmedizinische Gesamtverantwortung am Spielfeldrand lag bei einem im Vorfeld auch der UEFA benannten „pitch side emergency doctor“, der Teil des „pitch side emergency team“ war.
Insgesamt kamen an jedem der 5 Spieltage 83 medizinische Einsatzkräfte zum Einsatz, davon waren 62 sanitätsdienstliche und 21 rettungsdienstliche Einsatzkräfte.
Beginnend mit der ersten Einsatzbesprechung (5,5 h vor dem Anstoß) und ca. 2 h nach dem Abpfiff endend, umfasste ein Einsatz im Stadion an einem Spieltag ca. 10 h. Hinzu kamen vorgelagerte Einsatzbesprechungen der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr und Sammelphasen.
Neben den im Stadion eingesetzten Kräften standen umfangreiche städtische und überregionale rettungsdienstliche Komponenten zum unmittelbaren Einsatz im Stadion oder in anderen Einsatzabschnitten bereit. Bei der Sondervorhaltung kommunaler Rettungsmittel befanden sich hierunter mehrere Patiententransportzüge (PTZ) 10 NRW nach dem Landeskonzept der überörtlichen Hilfe NRW „Sanitätsdienst und Betreuungsdienst“ vor Ort. Der von Feuerwehr und den ÄLRD erarbeitete und zuletzt 2024 angepasste „Einsatzplan Massenanfall von Verletzten (MANV)“ galt auch während des Turniers.

Entwicklung spezieller Algorithmen

Im Vorfeld der Europameisterschaft wurden auf Grundlage der Vorgaben der UEFA, aktueller Literatur und Erfahrungen aus der rettungsdienstlichen Versorgung Algorithmen für die Spielfeld(rand)betreuung entwickelt und im Vorfeld im Team trainiert. Hierbei wurden zwei wesentliche Szenarien formuliert:
1.
„Sudden cardiac arrest“ (SCA)
 
2.
Schweres Trauma und/oder starke Schmerzen
 
In Absprache mit den Mannschaftsärzten liegt die Teamleitung in den oben genannten Fällen in aller Regel beim „pitch side emergency doctor“.

„Sudden cardiac arrest“ auf dem Spielfeld

Der plötzliche Herztod bei Sportlern ist ein insgesamt seltenes Ereignis, die Inzidenz ist aber bei Leistungssportlern und Fußballern höher [5, 7]. Auch weil dieses Ereignis größtmögliche notfallmedizinische Expertise erfordert, wurde hier ein modifizierter Versorgungsalgorithmus unter Nutzung des lokalen Materials analog zur rettungsdienstlichen Versorgung erstellt. Bei plötzlichem Kollaps auf dem Spielfeld (oder am Spielfeldrand etc.) wäre das „pitch side emergency team“ unmittelbar mitsamt dem „stretcher team“ zum Ereignis gelaufen. Der Fokus liegt hier insbesondere auch auf Ereignissen abseits des Ballkontakts bzw. des aktuellen Spielgeschehens, sobald ein Spieler unbeteiligt kollabiert – hier würde das Team unmittelbar und ohne weitere Aufforderung in Aktion treten. Nach initialem Primary Survey beginnt der Rettungssanitäter unmittelbar mit der Kardiokompression, während der Notfallsanitäter des „pitch side emergency team“ Klebeelektroden anbringt und die Rhythmusanalyse vorbereitet, da überwiegend defibrillierbare Rhythmen zu erwarten sind. Der Notarzt bereitet die Atemwegssicherung (primär supraglottisch) vor, die aber erst nach einer frühestmöglichen Rhythmusanalyse und möglichen Schockabgabe erfolgt, sollte bis dahin keine Spontanatmung vorliegen. Nach erfolgter Defibrillation (im Sinne einer 1‑Schock-Strategie nach Advanced-Life-Support-Algorithmus) und Fortsetzung der CPR erfolgt die Atemwegssicherung und Beatmung, und unterdessen bringt das zweite „pitch side emergency team“ weiteres Material wie einen ACCD (LUCAS® 3, Firma Laerdal) zum Einsatzort auf dem Spielfeld. Parallel bereitet das „stretcher team“ den Transport mittels Schleifkorbtrage (SKT) vor, Mitarbeiter des Sicherheitsdiensts schirmen die Einsatzstelle mithilfe mobiler Sichtschutzwände ab. Im zweiten Zyklus der Reanimationsmaßnahmen erfolgt das Anbringen der mechanischen Reanimationshilfe und die koordinierte Umlagerung des Patienten auf die Trage. Vor dem Transport vom Spielfeld erfolgt die zweite Rhythmusanalyse und ggf. Schockabgabe.
Die Anlage eines Venenzugangs auf dem Spielfeld ist nur für den Fall eines nicht defibrillierbaren Herzrhythmus vorgesehen, da hier für die leitliniengerechte Therapie eine unmittelbare Adrenalingabe angezeigt ist. Sofort danach ist ein Transport unter fortgeführter Kardiokompression und Beatmung unter bestmöglichem Sichtschutz durch einen Verbindungstunnel der Arena direkt und ohne Unterbrechung bis zum bereitstehenden Rettungswagen/Notarztwagen (NAW) geplant. Hier erfolgt die weitere leitliniengerechte Therapie und es sind ggf. erweiterte diagnostische Maßnahmen möglich (Sonographie, Blutgasanalyse), letztlich ist aber ein zeitnaher Transport, ggf. unter fortgeführter Reanimation, in das Cardiac Arrest Center der Universitätsklinik Düsseldorf anzustreben. Das initial versorgende „pitch side emergency team“ übernimmt auch weiterhin die Betreuung des Patienten und nutzt den NAW ohne weitere Übergaben. Der Transportweg ist vorab definiert, das Klinikteam wird über einen zentralen Ansprechpartner vorab telefonisch informiert. Der Ablauf wird in Abb. 2 dargestellt.

Schweres Trauma und/oder starke Schmerzen

Bei einem Trauma, das sich während des Spiels ereignet, sind in der Regel die Mannschaftsärzte als Sportmediziner primär eingebunden. Im obligatorischen Briefing vor dem Spiel werden mit dem „pitch side emergency doctor“ Handzeichen vereinbart, die zur Anforderung des notfallmedizinischen Teams oder des Transports durch das „stretcher team“ genutzt werden. Die Zuständigkeiten werden ebenfalls vereinbart.
Bei einem schweren Trauma, das sich auf dem Spielfeld ereignet und über das übliche Verletzungsmuster (z. B. Prellungen, Platzwunden, Muskelzerrungen, Distorsionen) hinausgeht oder mit starken Schmerzen einhergeht, sieht der Algorithmus den Einsatz des „pitch side emergency team“ und des „stretcher team“ vor, wobei dies immer nach Absprache mit den Mannschaftsärzten geschieht.
Vorgesehen ist, dass das „pitch side emergency team“ mitsamt Material den traumatisierten Patienten untersucht, ggf. stabilisiert, vor Ort immobilisiert und ggf. eine Analgesie durchführt. Der Rettungssanitäter im Team führt unmittelbar bei Eintreffen eine manuelle Inline-Stabilisierung (MILS) der Halswirbelsäule (HWS) durch, zumindest so lange, bis eine initiale Untersuchung und Ersteinschätzung erfolgt ist. Der Notarzt führt den Primary Survey nach dem cABCDE sowie eine Traumauntersuchung durch. Liegt keine isolierte Einzelverletzung vor, wird eine Immobilisation vorgenommen, die vom Notfallsanitäter im Team koordiniert und mittels Spineboard und HWS-Orthese durchgeführt wird. Auf invasive Maßnahmen wie die Anlage eines venösen Zugangs wird nach Möglichkeit vor Ort auf dem Spielfeld verzichtet. Sollte eine Analgesie erforderlich sein, sind 100 mg Ketamin und 5 mg Midazolam zur intramuskulären Gabe unmittelbar nach notärztlicher Indikation möglich und entsprechend vorbereitet. Zur Eskalation ist die Gabe von 100 µg Fentanyl intranasal vorgesehen, vorbehaltlich Kontraindikationen (z. B. Mittelgesichtsfrakturen o. Ä.). Nach kompletter Immobilisation erfolgt der Transport mittels „Spineboard in Schleifkorbtrage“ mitsamt des „stretcher team“ unter klinischem und pulsoxymetrischem Monitoring direkt in den Verbindungstunnel zum bereitgestellten NAW. Dort können eine Reevaluation, ggf. erweiterte Diagnostik (Sonographie, Blutgasanalyse, Secondary Survey) und weitere therapeutische Maßnahmen nach Notwendigkeit erfolgen, auch hier ist ein unmittelbarer Transport in die Universitätsklinik als überregionales Traumazentrum vorgesehen. Das initial versorgende „pitch side emergency team“ betreut den Patienten wiederum während des Transports bis zur Übergabe im Schockraum ohne zwischengeschaltete Übergabe an ein Transportteam und möglichen Informationsverlust weiter. Das zweite „pitch side emergency team“ rückt entsprechend an den Spielfeldrand nach. Das Vorgehen ist in Abb. 2 dargestellt.

Material und Ausstattung

Für die medizinische Versorgung am Spielfeldrand stehen zwei redundante Notfallausstattungen zur Verfügung, wie sie ebenfalls im Rettungsdient genutzt werden:
  • Notfallrucksäcke mit standardisiertem Notfallequipment (2 Standardrucksäcke und ein Ergänzungsrucksack)
  • EKG-Monitor mit Defibrillationseinheit (Corpuls C3)
  • Sauerstofftasche
  • Absaugpumpe (Accuvac®)
Zusätzlich ist für den Einsatz bei SCA am Spielfeld vorgehalten:
  • ACCD (LUCAS® 3, Firma Laerdal)
  • Sonographiegerät (D3, Firma Youkey)
  • Mobiles Blutgasanalysegerät (Epoc NXS, Firma Siemens)
Für die Traumaversorgung stehen zwei Spineboards mit HWS-Orthesen zur Verfügung, zudem ein zusätzlicher Notfallrucksack mit Material für chirurgische Notfälle und Vakuumschienen.
Zwei „stretcher teams“ am Spielfeldrand, besetzt durch das DRK e. V., haben jeweils eine Schleifkorbtrage zur Verfügung. Die materielle Ausstattung geht insgesamt über die Mindestanforderungen der UEFA hinaus [1].
Unmittelbar vor dem Spielbeginn werden ausgewählte Notfallmedikamente für den sofortigen Einsatz vorbereitet und von den NotärztInnen mitgeführt: 2 × Adrenalin 1 mg ad 9 ml NaCl 0,9 %, 100 mg/2 ml Ketamin sowie 5 mg/1 ml Midazolam zur intramuskulären Gabe (Abb. 3). Die gekühlt gelagerten Medikamente wurden dem Kühlschrank des RTW entnommen und unmittelbar vor Anpfiff vorbereitet.

Training

Im Vorfeld der Europameisterschaft im Juni und Juli 2024 fanden über mehrere Monate Vorbesprechungen und Trainings der verschiedenen Szenarien sowie Einweisungen auf das Material statt. Alle Teammitglieder sind bereits über ihre Tätigkeit im Rettungs- und Notarztdienst der Landeshauptstadt Düsseldorf mit dem vorgehaltenen Material vertraut und nach Medizinproduktegesetz eingewiesen.
Zusätzlich wurden an jedem Spieltag die Szenarien sowie der Umgang mit dem Material von beiden „pitch side emergency teams“ und den „stretcher teams“ trainiert und es erfolgte eine erneute Einweisung in die Szenarien und definierten Standards. Das Material wurde an jedem Spieltag von der UEFA inspiziert.

Ergebnisse

An insgesamt fünf Spieltagen der UEFA-Fußballeuropameisterschaft im Juni und Juli 2024 kam das beschriebene Konzept zur Spielfeldrandbetreuung zum Einsatz. Insgesamt waren hier 10 Mitarbeiter der Landeshauptstadt Düsseldorf und vier NotärztInnen der Landeshauptstadt beteiligt. Zusätzlich wurden durch die Teams mehrere Abschlusstrainings der Mannschaften am Tag vor dem Spiel begleitet.
Die Besetzung der „stretcher teams“ erfolgte durch das Deutsche Rote Kreuz. Pro Spiel waren bis zu 47.000 ZuschauerInnen in der Arena (jeweils ausverkauft) zu Gast, wobei der Fokus der „pitch side teams“ auf der Versorgung der Fußballmannschaften sowie der Schiedsrichter lag.
Insgesamt konnte eine medizinische Hilfeleistung dokumentiert werden, diese fand allerdings nach einem beendeten Spiel statt. Auch hierfür war vor Beginn des Turniers ein abgestimmtes Konzept erarbeitet worden. Auf dem Spielfeld selbst kamen die Teams nicht zum Einsatz.

Diskussion

Auch wenn schwere medizinische Notfälle bei Sportveranstaltungen äußerst selten sind [26], ist die Vorbereitung darauf und die entsprechende Vorhaltung medizinischer Expertise im Leistungs- und Spitzensport essenziell. Insbesondere unter hoher medialer Aufmerksamkeit mit renommierten Spitzensportlern steht hier eine reibungslose und effektive Versorgung im Fokus der Öffentlichkeit und des Veranstalters.
Im Kontext der Reanimation des dänischen Nationalspielers Christian Eriksen bei der UEFA EURO 2020/2021 war von der UEFA im Rahmen des diesjährigen Turniers eine groß angelegte Kampagne zur Steigerung der Rate an Ersthelferreanimationen („Get Trained, Save Lives“) ins Leben gerufen worden. Dies rückte das Thema Reanimation zusätzlich in den Fokus.
Seitens der UEFA bestehen ausführliche Vorgaben zur Vorhaltung des medizinischen Equipments, zur Notfallversorgung, zur Ausstattung des medizinischen Behandlungsraums und zur personellen Qualifikation [1].
Die meisten traumatisch bedingten Verletzungen werden während der Wettkämpfe von den betreuenden Mannschaftsärzten versorgt, die meist erfahrene Sportmediziner sind. Zusätzlich fordert die UEFA hier „pitch side emergency teams“ und stellt hier insbesondere kardiale Notfälle und schwere Traumata in den Fokus, die über die Standardversorgung hinausgehen. Der plötzliche Herztod eines Spielers ist hier ein seltenes Ereignis, für das aber bei allen Spielen eine entsprechende Vorhaltung erfolgen und entsprechendes Material (mindestens AED, Notfallmedikamente etc.) verfügbar sein muss.
Im beschriebenen Konzept für die UEFA-Spieltage in Düsseldorf wurden im Vorfeld in Ergänzung zu den Vorgaben der UEFA weitere Aspekte integriert. Zum einen wurden für die Vorhaltung am Spielfeldrand erfahrene rettungsdienstlich tätige Helfer eingebunden, die eine hohe notfallmedizinische Expertise haben und in die lokalen Versorgungsstrukturen eingebunden sind. Das notfallmedizinische Equipment ist ebenfalls aus dem rettungsdienstlichen Alltag bekannt und vertraut.
Die für die UEFA EURO 2024 entwickelten Szenarien sind durch eine vorherige Schulung, die Nutzung von Taschenkarten und Trainings im Vorfeld und an den Spieltagen selbst von den Teams äußerst positiv angenommen worden und es zeigte sich im Teamtraining (Abb. 4) vorab und an den Spieltagen eine gute Umsetzbarkeit.
Insbesondere das Konzept einer „kontinuierlichen Betreuung“ des Patienten von der Versorgung am Spielfeld bis zum NAW und über die Transportbegleitung bis zur Übergabe im Schockraum des involvierten Universitätsklinikums durch ein Notfallteam erscheint schlüssig, um Unterbrechungen und (unnötige) Übergaben zu vermeiden sowie insbesondere bei einem zeitkritischen Ereignis wie einem SCA schnellstmöglich in die Klinik zu gelangen.
Auch die Redundanz der Notfallteams erscheint sinnvoll. So kann bei einem kritischen Notfall zusätzliche Expertise und Material auf das Spielfeld hinzugezogen werden, bei einer Primärversorgung des ersten Teams steht zur Fortführung des Spiels ohne Verzögerung ein zweites Team zur Verfügung. Zudem kann das zweite „pitch side emergency team“ zur Betreuung von verletzten oder erkrankten Spielern in der Kabine oder im „stadium medical room“ hinzugezogen werden.
Die Etablierung von festen Teams, definierten Szenarien und Algorithmen und vorgegebener Behandlungspfade von der Akutversorgung auf dem Spielfeld bis zur Übergabe im Schockraum erscheint praktikabel und effizient in der Notfallversorgung unter hoher medialer Aufmerksamkeit und entsprechenden zeitlichen Vorgaben.
Auch wenn die hier beschriebenen Konzepte nur partiell zum Einsatz gekommen sind, lassen sich nach Ansicht der Autoren einzelne Komponenten als Best-Practice-Beispiel für künftige Versorgungen übernehmen.

Fazit für die Praxis

  • Schwere medizinische Notfälle bei Sportveranstaltungen sind insgesamt selten.
  • Die notfallmedizinische Versorgung im Rahmen von Sportveranstaltungen sollte auch auf den „sudden cardiac arrest“ (SCA) ausgelegt sein.
  • Die Einbindung rettungsdienstlicher Strukturen im Rahmen der notfallmedizinischen Versorgung bei der UEFA-Fußballeuropameisterschaft 2024 hat sich als vorteilhaft erwiesen.
  • Die Etablierung von festen Algorithmen für die Versorgung auf dem Spielfeld und ein entsprechendes Training erscheinen sinnvoll.
  • Eine kontinuierliche Betreuung von Notfallpatienten vom Spielfeld bis zur Übergabe im Schockraum der Klinik kann im Einsatzfall vorteilhaft sein.
  • Auch bei folgenden Sportveranstaltungen könnten Elemente dieses Best-Practice-Beispiels zur Anwendung kommen.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

A. Becht, K. Heitkötter, T. Hussmann, U. Blecker, R. Palmer, C. Tesche, T. Potempa, M. Skorning, S. Otto, M. Brüls und M. Michael geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen. Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​deed.​de.

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Literatur
2.
Zurück zum Zitat Marijon E, Bougouin W, Karam N et al (2015) Survival from sports-related sudden cardiac arrest: In sports facilities versus outside of sports facilities. Am Heart J 170:339–345eCrossRefPubMed Marijon E, Bougouin W, Karam N et al (2015) Survival from sports-related sudden cardiac arrest: In sports facilities versus outside of sports facilities. Am Heart J 170:339–345eCrossRefPubMed
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Titel
Notfallmedizinische Betreuung am Spielfeldrand. Best-Practice-Beispiel zur UEFA-Fußballeuropameisterschaft der Herren 2024
verfasst von
Andreas Becht
Kalle Heitkötter
Thomas Hussmann
Dr. Ulf Blecker
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Clara Tesche
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Max Skorning, PD
Sandra Otto
Michael Brüls
Dr. Mark Michael
Publikationsdatum
25.02.2025
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Notfall + Rettungsmedizin
Print ISSN: 1434-6222
Elektronische ISSN: 1436-0578
DOI
https://doi.org/10.1007/s10049-025-01502-x