Die demografische Entwicklung führt zu einer steigenden Inanspruchnahme des Gesundheitssystems durch ältere Menschen. Eine der häufigsten Ursachen für die Vorstellung im Krankenhaus von Menschen über 65 Jahren stellen Stürze dar.
Ziel der Arbeit
Ziel der Studie ist die Charakterisierung und Analyse des konsekutiven Verbleibs von älteren Menschen, die nach einem Sturz in der Notaufnahme vorstellig werden.
Methodik
Es erfolgte eine Sekundärdatenanalyse von Routinedaten aus einem maximalversorgenden Krankenhaus über den Zeitraum eines Jahres (Januar bis Dezember 2022) mit deskriptiver Datenanalyse. In die Analyse eingeschlossen wurden alle Patient*innen, die ≥65 Jahre alt waren und aufgrund eines Sturzgeschehens in der Notaufnahme vorstellig wurden.
Ergebnisse
Im Jahr 2022 wurden 18.839 Patient*innen ≥65 Jahre in der Notaufnahme behandelt, 16 % davon aufgrund eines Sturzes. Frauen sind mit 63 % in der Studienkohorte häufiger vertreten, 42 % der Patient*innen waren 85 Jahre oder älter. Nur 36 % der Vorstellenden wurden stationär aufgenommen, wobei Patient*innen, die mit dem Rettungsdienst kamen, signifikant häufiger stationär verblieben. Eine durch das Trauma bedingte Diagnose bestand bei 43 % der Patient*innen. Bei 15 % fand eine Operation statt, am häufigsten an den unteren Extremitäten.
Diskussion
Stürze stellen einen relevanten Vorstellungsgrund in Notaufnahmen bei älteren Menschen dar, häufig besteht keine traumatologische Therapieindikation. Auffallend ist der hohe Anteil an ambulant behandelten Patient*innen, bei denen unklar bleibt, ob und wie sich eine Weiterversorgung gestaltet. Weitere Forschung ist nötig, um Potenziale für verbesserte Behandlungsabläufe, insbesondere bei ambulant Behandelten, zu identifizieren.
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Kurze Hinführung zum Thema
Die demografische Entwicklung und die längere Lebenserwartung führen zur Zunahme älterer Menschen, wodurch es zu einer gesteigerten Inanspruchnahme gesundheitlicher Leistungen sowie vermehrten Vorstellungen in der Notaufnahme innerhalb dieser Gruppe kommt. Eine häufige Ursache für Vorstellungen in der Notaufnahme von Menschen über 65 Jahren stellt ein vorangegangenes Sturzgeschehen dar.
Hintergrund und Ziel
Die Weltgesundheitsorganisation definiert einen Sturz als „… ein Ereignis, bei dem der oder die Betroffene unbeabsichtigt auf dem Boden oder auf einer anderen tieferen Ebene aufkommt“ [17]. Durch physiologisch veränderte Prozesse und krankheitsbedingte Veränderungen kommen Stürze besonders häufig im höheren Lebensalter vor. Die Sturzgenese ist oftmals multifaktoriell. Faktoren, wie Gangunsicherheit, Gleichgewichtsstörung, sensorische Beeinträchtigung, Muskeldystrophie und kognitive Einschränkung, erhöhen das Sturzrisiko beim älteren Menschen [8]. Zusätzlich können akute Krankheitsereignisse, z. B. im Rahmen von chronischen Grunderkrankungen wie Diabetes mellitus oder Herzinsuffizienz, zu Synkopen mit Sturzfolge führen [1]. Von den über 65-Jährigen stürzt etwa ein Drittel jährlich, die Hälfte von ihnen ist von wiederholten Stürzen betroffen [18]. Ein Sturz im höheren Lebensalter führt nicht nur zu akuten Verletzungen, sondern hat auch langfristige Auswirkungen wie soziale Isolation, Immobilisation aufgrund von Sturzangst, verletzungsbedingte Behinderungen und ein erhöhtes Risiko für Langzeitpflege [18]. Neben individuellen Folgen haben Stürze im höheren Lebensalter auch eine hohe Relevanz für das Gesundheitswesen. Durch die zunehmende Anzahl älterer Menschen in Deutschland steigt auch die Inanspruchnahme gesundheitlicher Leistungen aufgrund von Stürzen in dieser Gruppe an [7, 13].
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In Deutschland stehen je nach Behandlungsdringlichkeit verschiedene Versorgungsmöglichkeiten von niedergelassenen Ärzt*innen, dem kassenärztlichen Notdienst, Rettungsdienst bis hin zur stationären Versorgung zur Verfügung. Die Inanspruchnahme von Notaufnahmen in Deutschland steigt stetig an und stellt diese vor eine große Herausforderung [9]. Die Aufenthaltsdauer in Notaufnahmen von älteren Menschen ist im Gegensatz zu Jüngeren meist länger und trägt somit zu einer hohen Auslastung der Notaufnahmen bei [11, 19].
Die Verbesserung der Versorgung von älteren Menschen in Notaufnahmen rückt zunehmend in den Fokus [10]. Hinsichtlich der Ursachen und Prävention von Stürzen bei älteren Menschen besteht in Deutschland eine gute Datenlage [2, 3]. Zur Versorgung von gestürzten älteren Menschen liegen hingegen kaum Erkenntnisse vor. Unklar ist, welche Gruppe aufgrund eines Sturzes notfallmedizinische Behandlung in Anspruch nimmt und welche Versorgungsstrukturen in welchem Ausmaß, von der präklinischen bis zur stationären Versorgung, involviert sind. Ziel der vorliegenden Datenanalyse ist daher die Charakterisierung der Gruppe älterer Menschen, die nach einem Sturz in der Notaufnahme vorstellig werden, sowie die Beschreibung deren konsekutiven Verbleibs.
Methodik
Die Analyse basiert auf patient*innenbezogenen Routinedaten einer Notaufnahme eines Maximalversorgers in Berlin. Das Krankenhaus umfasst etwa 1200 Betten und verfügt über eine zentrale interdisziplinäre Erwachsenennotaufnahme mit 43.000 Vorstellungen pro Jahr. Die Datenerfassung erfolgte fallbezogen über ein Jahr vom 01.01.2022 bis 31.12.2022, um einer Verzerrung durch saisonale Schwankungen vorzubeugen. Patient*innen, die im Erfassungszeitraum 65 Jahre oder älter waren und nach einem beschriebenen Sturzgeschehen eine Vorstellung in der Notaufnahme mit Registrierung im Krankenhausinformationssystem (ORBIS, Dedalus HealthCare, Bonn, Deutschland) hatten, wurden in die Analyse aufgenommen. Als Ausschlusskriterien wurden Stürze, die nicht als Triage‑/Aufnahmeinformation hinterlegt worden sind, und Stürze während des stationären Aufenthalts definiert.
Der Datensatz enthielt für alle Patient*innen folgende Variablen: Alter (in vollen Jahren), Geschlecht, Verletzungsmuster – abgeleitet aus Entlassdiagnose gemäß Diagnoseschlüssel der internationalen Klassifikation der Krankheiten und verwandten Gesundheitsprobleme (ICD-10-GM), Transportart, Behandlungsdringlichkeit nach dem Manchester Triage System und Versorgungsart (stationär/ambulant). Für stationär Aufgenommene wurden zudem Pflegegrad, Aufenthaltsdauer, Mortalität und abgerechnete Operationen- und Prozedurenschlüssel für stationär erbrachte Leistungen (OPS) erfasst. Aus der Freitextdokumentation zur Aufnahmesituation wurden die Variablen Demenz, Einnahme von oralen Antikoagulanzien und Informationen zum Sturz extrahiert (detaillierte Informationen zu den Variablen siehe Supplement).
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Die Daten wurden anonymisiert durch das hausinterne Medizincontrolling als Microsoft-Excel-Tabellen zur Verfügung gestellt. Die Speicherung und Verarbeitung der Daten erfolgte auf zutritts- und zugriffsbeschränkten klinikinternen Rechnern. Ein Datenschutzbeauftragter des Krankenhauses war in den Prozess der Datenerhebung und Verarbeitung involviert. Die Verarbeitung der Gesundheitsdaten erfolgte auf Grundlage des § 25 des Berliner Landeskrankenhausgesetzes.
Statistische Analyse
Zur deskriptiven Datenanalyse wurde für metrisch skalierte Daten der Mittelwert und die Standardabweichung sowie für ordinal/nominal skalierte Daten absolute und relative Häufigkeit (%), Median und Modalwert berechnet. Zur Analyse von beeinflussenden Faktoren auf den konsekutiven Verbleib nach der Notaufnahme fand eine explorative Datenanalyse statt. Für die Signifikanztestung wurde bei ordinal/nominal skalierten Variablen der χ2-Test eingesetzt, beim Vergleich von Mittelwerten der Student-t-Test mit einem Signifikanzniveau von p < 0,05. Die statistische Analyse erfolgte mit dem Statistikprogramm SPSS (IBM SPSS Statistics 27).
Ergebnisse
Im Jahr 2022 wurden 18.839 Patient*innen im Alter von ≥65 Jahren in der Notaufnahme behandelt. Bei etwa 16 % der Aufgenommenen wurde als Vorstellungsgrund ein vorangegangenes Sturzgeschehen dokumentiert (Abb. 1).
Abb. 1
Flussdiagramm zur Selektion der Studienpopulation
×
Das mittlere Alter betrug 82,5 Jahre, 42 % der Patient*innen waren älter als 84 Jahre. Frauen stellten sich prozentual häufiger in der Notaufnahme vor als Männer (63 % vs. 37 %). Stationär aufgenommene Frauen hatten häufiger einen Pflegegrad als Männer (Tab. 1).
Tab. 1
Merkmale der Studienpopulation (n = 2919)
Weiblich
Männlich
Gesamt
Alter, Mittelwert (SD)
83,5 (7,9)
80,8 (7,7)
82,5 (8,0)
Altersgruppe (Jahre), n (%)
65-74
280 (15,2)
244 (22,6)
524 (18,0)
75–84
683 (37,1)
491 (45,5)
1174 (40,2)
≥ 85
877 (47,7)
344 (31,9)
1221 (41,8)
Verbleib, n (%)
Ambulant
1176 (64,0)
689 (63,9)
1864 (63,9)
Stationär
664 (36,0)
390 (36,1)
1055 (36,1)
Davon mit Operation
305 (45,9)
132 (33,8)
437 (41,4)
Pflegegrad bei stationärer Aufnahme
Pflegegrad insgesamt nach Geschlecht, n (%)
344 (51,8)
155 (39,7)
499 (17,1)
Davon 1
35 (10,2)
18 (11,6)
53 (10,6)
Davon 2
143 (41,6)
56 (36,1)
199 (39,9)
Davon 3
113 (32,8)
56 (36,1)
169 (33,9)
Davon 4
51 (14,8)
22 (14,2)
73 (14,6)
Davon 5
2 (0,6)
3 (1,9)
5 (1,0)
SD Standardabweichung; Angabe von Spaltenprozenten
Aussagen zu vorhandener Demenz und zur Einnahme oraler Antikoagulanzien können aufgrund unvollständiger Daten nicht getroffen werden, da nur bei ca. 5 % der Fälle eine diesbezügliche Nennung im Freitext erfolgte und von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden muss. Die Sturzsituation wurde bei Aufnahme bei 20 % der Patient*innen als Freitext dokumentiert. Am häufigsten wurden Stürze im Pflegeheim und Treppenstürze genannt.
Anhand der ICD-Entlassdiagnosen wurde des Verletzungsmusters bzw. der Grund der Vorstellung analysiert (Tab. 2). Bei den ambulanten Fällen zeigen sich am häufigsten Diagnosen aus der Kategorie „Symptome, Syndrome, Untersuchungen“ und aus dem internistischen Bereich, wohingegen bei den stationär behandelten Fällen traumatisch bedingte Diagnosen überwiegen. Insgesamt waren nur 43 % aller Diagnosen traumatisch bedingt. Eine hohe Anzahl der Entlassdiagnosen bei ambulant Behandelten stand in Bezug zu einer Atemwegs- bzw. COVID-19-Infektion, vermutlich bedingt als Begleitbefund.
Tab. 2
ICD-Entlassdiagnosen mit Angabe der relativen Häufigkeit bezogen auf die Spaltensumme
Ambulant
Stationär
n=1864
n=1055
Internistische Diagnosen, n (%)
579 (31,1)
200 (19,0)
Infektion durch Coronaviren
235 (12,6)
–
Akute Infektion der oberen Atemwege
209 (11,2)
1 (0,1)
Krankheiten des Kreislaufsystems
83 (4,5)
78 (7,4)
Sonstige
52 (2,8)
121 (11,5)
Neurologische Diagnosen, n (%)
1 (0,1)
18(1,7)
Traumatisch bedingte Diagnosen, n (%)
502 (26,9)
761 (72,1)
Verletzungen des Kopfs
192 (10,3)
171 (16,2)
Verletzungen der Schulter/des Oberarms
35 (1,9)
98 (9,3)
Verletzungen der Hüfte/des Oberschenkels
32 (1,7)
248 (23,5)
Davon Schenkelhals‑/Femurfrakturen
16 (0,9)
238 (22,6)
Sonstige
227 (12,2)
6 (0,6)
Nicht-traumatisch bedingte Diagnosen, n (%)
27 (1,4)
34 (3,2)
Symptome, Syndrome, Untersuchungen, n (%)
755 (40,5)
42 (4,0)
Sturzneigung, anderenorts nicht klassifiziert
120 (6,4)
10 (0,95)
Spezielle Verfahren zur Untersuchung auf SARS-CoV‑2
287 (15,4)
–
Laboruntersuchung
161 (8,6)
–
Sonstige
187 (10,0)
32 (3,0)
SARS-CoV-2 severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2 (Beta-Coronavirus)
Rettungsdienst und Triage
In 62 % der Fälle fand eine Einweisung in die Notaufnahme mit einem Rettungswagen statt. Nur 3 % aller Patient*innen wurden notärztlich begleitet (Abb. 2). Die Behandlungspriorität wurde am häufigsten als normal bzw. dringend eingeschätzt. Patient*innen, die mit dem Rettungsdienst (Rettungswagen mit oder ohne Begleitung eines Notarztes/einer Notärztin) kamen, wurden mehrheitlich in eine höhere Behandlungsdringlichkeit triagiert im Vergleich zu Patient*innen, die privat oder mit einem Krankentransportwagen (ohne Einbindung in die Berliner Notfallrettung) eingeliefert wurden.
Abb. 2
Transportart und Triage im Krankenhaus (n = 2917, 2 Fälle ohne Angabe)
×
Aufnahme und konsekutive Versorgung
Fast zwei Drittel der Patient*innen, die aufgrund eines Sturzes in der Notaufnahme vorstellig wurden, wurden ambulant behandelt und 36 % verblieben stationär. Dabei erfolgte am häufigsten im Anschluss die Verlegung auf eine Normalstation. Die Aufnahme auf eine Intermediate-Care- oder Intensivstation ging nicht mit einem längeren Krankenhausaufenthalt einher (Tab. 3).
Tab. 3
Konsekutive stationäre Versorgung nach der Notaufnahme (n = 1055)
n (%)
Verweildauer in Tagen
Mittelwert (SD)
Kurzaufnahmestation
168 (15,9)
3,7 (7,0)
Normalstation
808 (76,6)
10,2 (8,6)
Intermediate-Care-Station
48 (4,5)
10,2 (6,5)
Intensivstation
31 (2,9)
9,6 (9,9)
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Ambulant Behandelte und stationär Aufgenommene unterschieden sich nicht hinsichtlich Alter und Geschlecht. Die Ergebnisse zeigen jedoch, dass Patient*innen, die mit dem Rettungsdienst vorstellig wurden (RTW/NEF), signifikant häufiger stationär aufgenommen wurden (p < 0,001). Operationen (n = 437) fanden am häufigsten an der unteren (60 %) und der oberen Extremität (18,5 %) statt. Die mittlere Aufenthaltsdauer im Krankenhaus lag bei 9,15 Tagen (SD 8,62). Während des Krankenhausaufenthalts verstarben 6 % (n = 63) der stationär aufgenommenen Patient*innen.
Diskussion
In der vorliegenden retrospektiven, monozentrischen Analyse von älteren Notfallpatient*innen zeigt sich, dass etwa jede 6. Vorstellung von Patient*innen ≥65 Jahre auf einen Sturz zurückging. Die höchste Fallzahl zeigt sich bei den über 84-Jährigen, auch sind Frauen häufiger betroffen. Der Großteil der gestürzten Patient*innen wurde durch den Rettungsdienst eingewiesen, wobei nur selten eine Notarztbegleitung stattfand. Zwei Drittel der Patient*innen mit Vorstellung aufgrund eines Sturzes wurden in der Notaufnahme lediglich ambulant behandelt. Bei den stationär Aufgenommenen war in 41 % der Fälle eine Operation notwendig.
Verglichen mit der Allgemeinbevölkerung in der Altersgruppe ≥65 Jahre zeigt sich in der vorliegenden Stichprobe ein etwas höherer Anteil an Frauen [14]. Der höhere Anteil an Frauen bei Stürzen ist vergleichbar mit anderen internationalen Studien, in denen die Quote an Frauen mit 65–75 % beschrieben wird [4, 16]. Bei den Frauen ist der Anteil derer mit Pflegegrad höher als bei Männern, wobei Pflegegrad 2 und 3 am häufigsten sind. Diese Verteilung deckt sich mit Ergebnissen zur Pflegebedürftigkeit aus der Literatur [6].
Sturz als Vorstellungsgrund
In der Literatur werden Stürze im Alter als multifaktorielles Phänomen beschrieben und können sowohl aufgrund eingeschränkter Sinneswahrnehmung, physiologischer Alterungsprozesse als auch als Folge von akuten Krankheitsereignissen auftreten [1, 8]. Die ICD-Entlassdiagnosen der vorliegenden Untersuchung bestätigen den Sturz als heterogenes Phänomen, das sich klinisch unterschiedlich darstellt. Nicht einmal die Hälfte der Patient*innen hatte eine traumatisch bedingte Diagnose. Bei etwa einem Drittel der Patient*innen lag eine internistische Diagnose vor, wodurch zu vermuten ist, dass der Sturz als Folge anderer Erkrankungen auftrat. Aufgrund der Diversität der Sturzursachen ergibt sich auch für die Versorgung von gestürzten Menschen eine notwendige interdisziplinäre Betrachtungsweise, um Sturzursachen und Sturzfolgen adäquat zu diagnostizieren, zu behandeln und somit auch erneuten Stürze vorzubeugen.
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Einen besonderen Stellenwert hat in diesem Zusammenhang eine fachgeriatrische Expertise. Die Identifikation der akuten Gesundheitsprobleme durch bestehende Komorbiditäten und mögliche visuelle, auditive und kognitive Einschränkungen ist bei geriatrischen Patient*innen besonders herausfordernd. Die geriatrische Mitbehandlung und zielgerichtete Weiterversorgung von alten Patient*innen ist besonders wichtig, da es durch multifaktorielle akute Verschlechterung zu einer progredienten Immobilität und zum Verlust der Selbstständigkeit bis hin zur Pflegebedürftigkeit kommen kann und eine frühe therapeutische Intervention wichtige sekundärprophylaktische Wirkung besitzen kann [10].
Die Häufung der Entlassdiagnose „Infektion durch Coronaviren“ und entsprechender Abstriche bei den ambulant Behandelten ist auf die im Jahr 2022 geltenden Coronaschutzmaßnahmen in Krankenhäusern zurückzuführen.
Ambulante Behandlung vs. stationäre Aufnahme
In der vorliegenden Studienkohorte wurden mehr als die Hälfte (63,9 %) ambulant in der Notaufnahme behandelt. Die Studien von Langhoop et al. [5] und Trentzsch et al. [15] weisen mit 39 % bzw. 35 % einen deutlich geringeren Anteil an ambulant behandelten älteren Notfallpatient*innen auf. Ein ähnlich geringer stationärer Verbleib von älteren gestürzten Patient*innen zeigte sich auch bei Trevisan et al. [16] mit einer Aufnahmerate von 40 %. Unklar bleibt, welche Gründe zur Vorstellung im Krankenhaus führen. In einer Untersuchung von Somasundaram et al. [12] zeigte sich, dass lange Wartezeiten, schlechte Erreichbarkeit und das Unwissen über den KV-Notdienst zum Aufsuchen von Notaufnahmen führen. Hinzu kommt, dass insbesondere bei älteren, mobilitätseingeschränkten Patient*innen vermutlich größere Hürden im Erreichen niedergelassener Strukturen bestehen und daher die Einweisung über den Rettungsdienst einen einfacheren Zugang zur medizinischen Versorgung darstellt.
Auch wenn entsprechende Anstrengungen bereits unternommen werden, ist aktuell eine sektorenübergreifende Notfallmedizin mit zielgerichteter Steuerung unter bedarfsgerechter Nutzung von aufsuchenden, niedergelassenen, ambulanten, rettungsdienstlichen, notärztlichen und stationären Versorgungsstrukturen nicht etabliert. Qualitative Untersuchungen mit älteren Patient*innen zu den Gründen des Aufsuchens der Notaufnahme nach einem Sturz könnten hier wichtige Erkenntnisse zur Optimierung von Versorgungsstrukturen liefern.
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Durch die retrospektive Datenanalyse liegen keine weiteren Daten für Patient*innen vor, die lediglich ambulant behandelt worden sind, sodass keine Aussagen zur Weiterbehandlung getroffen werden können. Es ist anzunehmen, dass diese Patient*innen nach Entlassung aus der Notaufnahme in ihr häusliches Umfeld zurückkehren, ohne das Strategien zur Prävention von zukünftigen Stürzen eingeleitet wurden. Eine Versorgungslücke ist wahrscheinlich, die Gegenstand weiterer Untersuchungen sein sollte. Hierfür wären Daten zur ambulanten Weiterversorgung und zu Wiedervorstellungen in der Notaufnahme von großem Interesse.
Limitationen
Durch den retrospektiven Charakter der Analyse konnten interessierende Daten zum Vorliegen einer Demenz, zum konkreten Sturzgeschehen oder zur Einnahme oraler Antikoagulanzien durch eine fehlende systematische Erfassung nicht verwendet werden. Zudem war die Datenqualität einiger Variablen durch Umstellung der IT-Systeme stark eingeschränkt. Ein Bias in der Datenerfassung besteht möglicherweise darin, dass Patient*innen mit unklarem Status zum Sturzgeschehen nicht in die Datenanalyse einbezogen wurden. Für eine ausführliche Erfassung wäre zukünftig eine prospektive strukturierte Datenerhebung notwendig. Es zeigt sich zudem, dass die ICD-Entlassdiagnosen zur Erfassung des Verletzungsmusters bzw. der führenden Symptomatik, die zur Vorstellung in der Notaufnahme führten, nur eine eingeschränkte Aussagekraft aufweisen. Einschränkungen können zudem durch die SARS-CoV-2-Pandemie entstanden sein, wofür die hohe Anzahl an COVID-bezogenen Diagnosen spricht.
Unsere Ergebnisse sind vergleichbar mit vorpublizierten Daten, auch wenn eine volle Repräsentativität nicht gegeben ist. Die Erhebung fand monozentrisch in einem Maximalversorger in Berlin statt, was die Studienkohorte durch die Bevölkerungs- und Altersstruktur des Einzugsbereichs sowie vorhandene Versorgungsstrukturen beeinflusst. So ist beispielsweise anzunehmen, dass komplexe geriatrische Sturzpatient*innen tendenziell eher in Krankenhäusern mit alterstraumatologischer Expertise vorgestellt werden.
Resümee und Ausblick
Stürze bei älteren Menschen sind ein häufiger Vorstellungsgrund in Notaufnahmen, wobei es mehrheitlich zu einer ambulanten Versorgung kommt. Es stellt sich die Frage, inwieweit die primäre Versorgung in ohnehin überlasteten Notaufnahmen stattfinden muss bzw. ob dies durch alternative Versorgungsstrukturen vermeidbar wäre. Weitere Forschung und systematische Erhebungen sind nötig, um eine breitere Datenbasis zu den Merkmalen von gestürzten älteren Menschen zu schaffen und so die adäquate Weiterversorgung unter Einbindung weiterer Akteure und Einleitung sturzpräventiver Maßnahmen zu optimieren.
Fazit für die Praxis
Die Zunahme älterer Menschen in Notaufnahmen erfordert umfassende geriatrische Versorgungstrukturen.
Eine genaue Anamnese zu Sturzursachen und beeinflussenden Faktoren ist wichtig, um eine zielgerichtete Behandlung und somit auch Vermeidung von Folgestürzen zu gestalten.
Benötigt werden adäquate ambulante Versorgungsstrukturen, um Notaufnahmen durch unnötige Vorstellungen zu entlasten und die Versorgung älterer Menschen zu verbessern.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
L. Koppelkamm, G. Meyer, U. von Arnim und K. Beutner geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Die Verarbeitung der Gesundheitsdaten erfolgte datenschutzkonform auf Grundlage des § 25 des Berliner Landeskrankenhausgesetzes. Eine Unbedenklichkeitsbescheinigung zum Vorhaben der (anonymisierten) Erhebung durch die Ethikkommission der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg wurde im Vorfeld eingeholt (Nummer 2023-080, 03.04.2023). Die Originaldaten sind auf Anfrage bei der korrespondierenden Autorin erhältlich.
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