Die AWO Stuttgart engagiert sich intensiv in der Migrationssozialarbeit, betreut Geflüchtete und unterstützt sie bei der Integration in den Arbeitsmarkt. Neben der Beratung zur Anerkennung ausländischer Qualifikationen gewinnt die AWO auch Pflegekräfte aus dem Ausland, um dem Fachkräftebedarf im Gesundheitssektor besser zu begegnen. Sie begleitet die komplexen bürokratischen Prozesse und hilft, sprachliche sowie kulturelle Hürden zu überwinden. Der Erfolg der Integration hängt dabei nicht nur von gesetzlichen Rahmenbedingungen ab, sondern auch von einer offenen und interkulturell gestalteten Unternehmenskultur.
Vielfalt und Engagement der AWO Der Fachkräftemangel im Pflegebereich kann durch Migration aus dem Ausland gemildert werden. Mit ihrer Migrationssozialarbeit und Anerkennungsberatung trägt die AWO Stuttgart dazu bei, den Mangel zu bekämpfen. Welche Chancen und Herausforderungen es bei der Integration von Pflegekräften aus dem Ausland, insbesondere Geflüchteten gibt, wird am Beispiel der AWO Württemberg deutlich.
Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) Stuttgart, ein konfessionell ungebundener Verband der freien Wohlfahrtspflege, engagiert sich in zahlreichen sozialen Handlungsfeldern. Besonders die Migrationssozialarbeit steht dabei im Fokus: Hier begleitet die AWO bis zu 1.400 Geflüchtete, die in über 30 Gemeinschaftsunterkünften in Stuttgart untergebracht sind. Darunter sind Personen aus Syrien, Afghanistan, der Türkei, Eritrea, dem Irak, dem Iran und Sri Lanka und viele mehr. Seit 2022 setzt sich die AWO zudem verstärkt in Notunterkünften für Geflüchtete aus der Ukraine ein.
Anzeige
Der Sozialdienst der AWO bietet nicht nur soziale Beratung und Betreuung sowie Unterstützung im Rahmen des Integrationsmanagements, sondern übernimmt auch die pädagogische Hausleitung in den Unterkünften. Die Aufgaben reichen von der Unterstützung bei Unterbringung und Sozialleistungen bis hin zu Sprachförderung, Bildungszugang und Gesundheitsfragen. Ein zentraler Schwerpunkt der Arbeit sind ausländerrechtliche Fragestellungen, die oft existenzielle Entscheidungen für die Betroffenen bedeuten. Langwierige Asylverfahren - durchschnittlich 7,4 Monate im Jahr 2023 - stellen viele Geflüchtete vor Unsicherheiten, etwa darüber, ob sie bleiben dürfen oder in ihr Heimatland zurückkehren müssen (Zentner 2024).
Die Zeit des Wartens aktiv nutzen
Neben Sprachkursen und Arbeitsgelegenheiten beginnen zahlreiche Geflüchtete Ausbildungen - oft mit Unterstützung durch die AWO. Durch die Reform des Aufenthaltsgesetzes unter der Ampel-Regierung wurden weitere Gesetze gestärkt, beispielsweise die Ausbildungsduldung, der Chancen-Aufenthalt und der Spurwechsel aus dem Asylverfahren in ein anderes Aufenthaltsrecht. Dabei ermöglichen diese gesetzlichen Verbesserungen beispielsweise Personen, die geduldet sind oder sich im Asylverfahren befinden, während ihrer Ausbildung in Deutschland zu bleiben. Diese Regelung gilt für staatlich anerkannte Ausbildungsberufe, aber auch für kürzere Ausbildungen in sogenannten „Mangelberufen“ (Informationsverbund Asyl & Migration 2024). Diese Gesetzesänderungen sind nicht nur ein Zeichen pro Integration, sondern auch eine pragmatische Antwort auf den Fachkräftemangel. Sie eröffnen Geflüchteten Perspektiven und sichern zugleich die Versorgung in Berufen, in denen Arbeitskräfte dringend gebraucht werden wie etwa im Pflegesektor. Die AWO Stuttgart begleitet die Betroffenen durch diesen komplexen Prozess und trägt dazu bei, ihre beruflichen Chancen zu stärken. Die Zeit des Wartens auf den Ausgang des Asylverfahrens sinnvoll zu nutzen, kann auch aufenthaltsrechtlich weitere Perspektiven eröffnen.
Ein Beispiel für die erfolgreiche Arbeit der AWO Stuttgart ist Bruno Hamadou [Name geändert, Anm. d. Red.] aus Kamerun. Er ist im Jahr 2019 über Umwege nach Deutschland geflüchtet und hat in der Erstaufnahmeeinrichtung in Heidelberg politisches Asyl beantragt. In seinem Heimatland hat er Wirtschaft studiert und war in verschiedenen Unternehmen tätig. Bruno hat die Zeit des Wartens auf eine Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zum Ausgang seines Asylverfahrens sinnvoll genutzt: Er hat die deutsche Sprache erlernt und sich auf Anraten seiner AWO-Sozialarbeiterin auf Ausbildungsplätze im Pflegebereich beworben. Trotz mehrerer Absagen - oft mit Verweis auf seinen unsicheren Aufenthaltsstatus, eine Aufenthaltsgestattung gemäß § 55 Asylgesetz (AsylG) - konnte er schließlich eine zweijährige Ausbildung zum Pflegehelfer beim Stuttgarter Eigenbetrieb Leben & Wohnen beginnen und erfolgreich abschließen. Seit April 2024 erweitert er seine Qualifikation als Pflegefachmann.
Pflegefachkräfte aus dem Ausland: Erfolgreiche Integration erfordert Offenheit von allen Beteiligten.
Heute finanziert Bruno seinen Lebensunterhalt eigenständig und ist nicht auf Sozialleistungen angewiesen, was ihn besonders stolz macht. Doch die Wohnsituation in der Gemeinschaftsunterkunft, in der er aufgrund des Wohnraummangels auf nur 14 Quadratmetern ein Zimmer mit einem Mitbewohner teilt, bleibt eine große Belastung. Für seine Zukunft hat er klare Ziele: Er wünscht sich eine eigene Wohnung, plant ein Studium und möchte sich politisch stärker engagieren. Insbesondere setzt er sich für eine stärkere Vertretung des Pflegeberufs ein, da er die Herausforderungen und Bedeutung dieser Arbeit aus eigener Erfahrung kennt.
Anzeige
Wege zur Anerkennung als Pflegefachkraft aus dem Ausland
Die AWO Stuttgart ist auch Teil des bundesweiten IQ Netzwerks, „Integration durch Qualifizierung“ (netzwerk-iq.de) und berät seit 2011 ausländische Fachkräfte zu ihren Anerkennungsmöglichkeiten. Das Beratungszentrum zur Anerkennung und Qualifizierung unterstützt Antragsteller dabei im Antragsverfahren und begleitet, wenn notwendig, bei der Nachqualifizierung. Dieses Angebot wird ergänzend vom Land Baden-Württemberg gefördert.
Um in Deutschland als Pflegefachfrau oder Pflegefachmann arbeiten und die Berufsbezeichnung führen zu dürfen, muss ein ausländischer Abschluss anerkannt werden. Im sogenannten Gleichwertigkeitsfeststellungsverfahren wird die ausländische Qualifikation mit der in Deutschland erforderlichen verglichen. Voraussetzungen für die Antragstellung sind
Abgeschlossene Ausbildung im Herkunftsland
Gesundheitliche Eignung und Straffreiheit
Sprachkenntnisse auf B2-Niveau gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen (GER)
Der bürokratische Prozess hinter der Anerkennung erfordert professionelle Unterstützung. Im Rahmen des Verfahrens sind umfangreiche Dokumente/Nachweise vorzulegen, die übersetzt und legalisiert werden müssen. Die gesetzliche Bearbeitungsfrist beträgt drei Monate, beginnt jedoch erst mit der vollständigen Einreichung aller Unterlagen. In der Praxis verzögern sich die Verfahren oft, insbesondere durch Personalmangel in den zuständigen Behörden. 2023 stieg die Zahl der Anträge bundesweit um 23% auf 20.394 - eine Herausforderung für die Antragstellenden und die Einrichtungen, in denen sie dringend gebraucht werden (Böse et al. 2023).
Nach Prüfung der Unterlagen erhalten viele Fachkräfte aus Drittstaaten einen „Defizitbescheid“. Dieser legt die Unterschiede zwischen der ausländischen und der deutschen Qualifikation offen und definiert Maßnahmen zum Ausgleich. Typische Auflagen sind eine Prüfung (Kenntnisprüfung) oder ein Praktikum (Anpassungslehrgang). Erst nach Erfüllung dieser Anforderungen dürfen Fachkräfte in Deutschland als anerkannte Pflegefachkräfte arbeiten.
Von der Türkei nach Deutschland: Der (lange) Weg zur Anerkennung
Azra Yilmaz [Name geändert, Anm. d. Red.], die in der Türkei Pflege studiert hat, musste rund ein Jahr auf den ersten Bescheid ihrer Anerkennungsbehörde warten. Bereits vorab war es notwendig, zahlreiche Dokumente nachzureichen, darunter ihre Berufsausübungserlaubnis, die in der Türkei nicht automatisch ausgestellt wird. Der langwierige Prozess der Recherche nach dem richtigen Nachweis, der Kontakt zur zuständigen Behörde in der Türkei und die Übersetzung der Unterlagen zogen sich über mehrere Monate hin.
Die Kommunikation mit der deutschen Anerkennungsbehörde gestaltete sich ebenfalls herausfordernd, da Bescheide nicht in leichter Sprache formuliert sind. Dank der Unterstützung durch das Beratungszentrum der AWO Stuttgart konnte Frau Yilmaz den Ablauf besser verstehen und sich für den nächsten Schritt entscheiden: einen 7-monatigen Anpassungslehrgang in Form eines Praktikums, das in verschiedenen Bereichen eines Krankenhauses stattfand. Erst nach dem Bescheid der Anerkennungsbehörde und der Zusage für den Praktikumsplatz konnte Frau Yilmaz den bürokratischen Prozess zur Einreise nach Deutschland starten, inklusive eines erforderlichen Termins bei der deutschen Botschaft.
Das Anerkennungsverfahren für ausländische Pflegeabschlüsse ist ein notwendiger, aber komplexer, kostspieliger und zeitaufwändiger Prozess. Geschichten wie die von Frau Yilmaz verdeutlichen die Herausforderungen, aber auch die Chancen, die sich durch gezielte Beratung und Unterstützung ergeben. Die AWO Stuttgart und Initiativen wie das IQ Netzwerk leisten dabei einen entscheidenden Beitrag, um Fachkräften den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt zu ermöglichen.
Pflege und Migration: Herausforderungen und Chancen
Die AWO Württemberg betreibt 14 stationäre Pflegeeinrichtungen, Tagespflegen und einen ambulanten Pflegedienst. Wie viele andere Träger steht sie vor der zentralen Frage: Wie können wir genügend Mitarbeitende gewinnen, um die pflegerische Versorgung langfristig sicherzustellen? Prognosen des WifOR Institute zeigen, dass bis 2035 etwa 1,8 Millionen offene Stellen im Gesundheitssektor unbesetzt bleiben könnten, was einem relativen Engpass von 35% entspricht (Ostwald et al. 2010). Bereits heute können viele Pflegeeinrichtungen ihre Plätze nicht voll belegen, weil das Personal fehlt. Ohne Mitarbeitende mit Migrationshintergrund wäre die Lage schon jetzt deutlich kritischer.
Anzeige
Bereits heute wird vor allem von rechtspopulistischer Seite immer wieder die Idee geäußert, dem Fachkräftemangel durch eine stärkere Aktivierung inländischer Arbeitskräfte zu begegnen. Dies setzt jedoch voraus, dass es ausreichend Menschen gibt, die für eine Tätigkeit in der Pflege motiviert und qualifiziert sind. Gleichzeitig wird häufig vorgeschlagen, dass arbeitslose Personen eine Beschäftigung in der Pflege aufnehmen könnten - dabei wird jedoch übersehen, dass dieser Beruf sowohl eine fundierte Ausbildung als auch eine persönliche Motivation erfordert. Solche Vorschläge verkennen die Realität und tragen wenig zur Lösung bei.
Eine vielversprechende Antwort auf den Fachkräftemangel liegt im gezielten Recruiting aus dem Ausland, insbesondere aus Ländern außerhalb der EU. Dort, wo die demografischen Herausforderungen nicht so ausgeprägt sind, können Pflegekräfte gewonnen und für die Arbeit in Deutschland qualifiziert werden. Doch das bringt Barrieren mit sich:
Bürokratischer Aufwand: Anerkennungsverfahren, Visa-Prozesse und Qualifikationsprüfungen nehmen Zeit und Ressourcen in Anspruch
Organisatorische Hürden: Die Bereitstellung von Wohnraum und das Begleiten der Integration stellen Unternehmen vor erhebliche Aufgaben
Sprachliche Barrieren: Selbst mit B2-Sprachniveau fehlen oft fachsprachliche Kenntnisse und das Verständnis regionaler Dialekte
Kulturelle Unterschiede: Hierarchien, Datenschutz, Abfalltrennung oder soziale Umgangsformen - all dies muss den neuen Mitarbeitenden vermittelt werden
Integration als Schlüssel
Erfolgreiche Integration erfordert Offenheit von beiden Seiten: Neue Mitarbeitende sollten sich auf lokale Gegebenheiten einstellen, während bestehende Teams die kulturellen Unterschiede akzeptieren lernen. Integration ist mehr als ein organisatorischer Prozess - sie ist eine Frage der Unternehmenskultur. Führungskräfte müssen vorleben, wie interkulturelle Zusammenarbeit gelingen kann, und alle Mitarbeitenden dabei unterstützen, die Herausforderung gemeinsam zu meistern.
Migration in die Pflege ist ein notwendiger Schritt gegen den Fachkräftemangel, der strukturelle Anpassungen, kulturelle Offenheit und ein starkes Management verlangt. Mit gegenseitigem Verständnis kann eine vielfältige Belegschaft die pflegerische Versorgung langfristig sichern.
Anzeige
Literatur
Böse C, Schmitz N, Zorner J (2024) Auswertung der amtlichen Statistik zum Anerkennungsgesetz des Bundes für 2023. Ergebnisse des BiBB-Anerkennungsmonitorings. Version 1.0. Bonn, S. 5 ff.
Ostwald D A, Ehrhard T, Bruntsch F, Schmidt H, Friedl C (2010) Fachkräftemangel. Stationärer und ambulanter Bereich bis zum Jahr 2030. WiFoR, PWC. S. 17-19
Zentner C (2024) Durchschnittliche Bearbeitungsdauer von Asylverfahren, Inneres und Heimat - Antwort - hib 508/2024. Deutscher Bundestag, Parlamentsnachrichten. https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-1012836 (Letzter Zugriff: 15.01.2025)
Fazit
Zur Sicherung der Pflege bedarf es einer konzertierten Aktion der unterschiedlichen Akteur*innen, um die Ressource Pflegefachkraft gewinnbringend für alle Beteiligten in Deutschland nutzen zu können.
Dazu gehört auch die Reform des Aufenthaltsrechts um die vorhandenen Potentiale von Geflüchteten besser nutzen zu können, sowie die Anerkennung ausländischer Qualifikationen und die Gewinnung von Pflegekräften aus dem Ausland.
Dabei spielen die Überwindung bürokratischer Hürden, sprachliche und kulturelle Barrieren sowie eine offene Unternehmenskultur eine zentrale Rolle. Die AWO Stuttgart unterstützt diese Prozesse aktiv, um eine erfolgreiche Integration zu ermöglichen.
Springer Pflege Klinik – unser Angebot für die Pflegefachpersonen Ihrer Klinik
Mit dem Angebot Springer Pflege Klinik erhält Ihre Einrichtung Zugang zu allen Zeitschrifteninhalten und Zugriff auf über 50 zertifizierte Fortbildungsmodule.