Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Anamnese
Die Alarmierung des Rettungsdiensts erfolgte durch die Tagesmutter eines 18 Monate alten Jungen aufgrund einer inkompletten Atemwegsverlegung durch einen Schnuller. Der Junge bekam plötzlich keine Luft mehr, da der Schnuller sich komplett im Pharynx verkantet hatte. Die Tagesmutter nahm den Jungen unverzüglich in Kopftieflage, konnte den Schnuller aber nicht bergen. Daher versuchte sie den Schnuller behelfsmäßig mit dem Zeigefinger zu fixieren, um ein tieferes Eindringen zu verhindern.
Befund
Bei Eintreffen der Notärztin war der Junge in Kopftieflage agitiert und wehrte sich kräftig. Eine deutliche pharyngeale Blutung war zu erkennen. Die Halteplatte hatte sich hinter dem Oro- bis zum Laryngopharynx verkantet, sodass der Schnuller im Pharynx feststeckte. Darüber hinaus erschien der Junge gesund, es waren keine weiteren äußeren Verletzungen oder Organeinschränkungen bekannt oder ersichtlich.
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Diagnose
Atemwegsverlegung durch pharyngealen Fremdkörper (Schnuller).
Therapie und Verlauf
Nachdem eine direkte digitale Manipulation sowie die Anwendung einer Magill-Zange zur Extraktion des Schnullers weiterhin erfolglos blieb, wurde zunächst Sauerstoff über eine abgeschnittene Sauerstoffbrille am Schnuller vorbei appliziert, anschließend der Oropharynx von blutigen Blasen abgesaugt und mehrere Blutkoagel entfernt. Während weiterer manueller Extraktionsversuche kam es zu einer zunehmenden Vigilanzminderung. Schließlich gelang die Extraktion mithilfe einer Magill-Zange in Kindergröße (20 cm; Abb. 1). Nach der erfolgreichen Entfernung wurde eine Inhalationstherapie mit Adrenalin durchgeführt. Nach Freilegung der Atemwege besserte sich die Vigilanz des Jungen rasch. Zur Analgesie wurden 125 mg Ibuprofen rektal verabreicht. Die durch die Leitstelle angefragte kinderfachärztliche Unterstützung des Universitätsklinikums traf 26 min nach Alarmierung ein. Das mitgeführte spezielle pädiatrische Equipment (erweiterte Ausstattung für den kindlichen Atemweg, mobile Bronchoskopieeinheit) kam nicht mehr zur Anwendung.
Abb. 1
Extrahierter Beruhigungsschnuller mit deutlichen Blutspuren. (Bildquelle: Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Abteilung Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin, Universitätsklinikum Bonn)
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Der Junge wurde spontanatmend im stabilen Allgemeinzustand transportiert. Es zeigten sich deutliche Erosionen im Bereich des Pharynx bei unauffälligem Zahnstatus. Nach vier Tagen wurde der Junge ohne weitere Einschränkungen nach Hause entlassen.
Diskussion
Der Gebrauch von Schnullern ist weltweit verbreitet. Die Sicherheit und Beschaffenheit von Schnullern wird durch die Norm DIN EN 1400 geregelt [9]. Diese schreibt vor, dass das Schnullerschild mindestens 43 mm breit und 35 mm hoch sein muss. Außerdem sind mindestens zwei Luftlöcher von jeweils 4 mm Durchmesser mit jeweils einer Mindestfläche von 20 mm2 vorgeschrieben. Ein Haltering ist in der DIN-Norm nicht zwingend vorgeschrieben.
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Bei Kleinkindern kommt es im Rahmen banaler Stürze immer wieder zu oralen Verletzungen durch Schnuller [4]; schwere Unfälle sind in Anbetracht der häufigen Nutzung jedoch selten. Atemwegsverlegungen durch Schnuller stellen hier eine potenziell lebensbedrohliche Situation dar. Insgesamt gibt es hierzu nur wenige Fallberichte, die jedoch eine große Relevanz in der Überarbeitung der DIN-Normierung darstellen [8].
Simkiss et al. beschrieben 1997 den Fall eines 6 Monate alten Säuglings, bei dem es durch einen Schnuller zum Beinahe-Ersticken kam; die Atmung wurde lediglich durch die zwei vorgeschriebenen Luftlöcher gesichert [6]. In ihrer Arbeit wurden zwischen 1966 und 1997 lediglich 9 ähnliche Fälle berichtet, von denen 4 Patienten verstarben (44 %). Interessanterweise geschahen alle tödlichen Fälle vor einer Größennormierung bei Schnullern mit einer horizontalen Breite von < 43 mm.
In den meisten Fällen wird der gesamte Schnuller verschluckt und blockiert die Atemwege. Seltener kann es aber, insbesondere bei Kindern, die bereits Zähne haben, zu Atemwegsverlegungen durch abgebissene Schnullerteile kommen [8].
Ebenfalls sind Fälle beschrieben, in denen insbesondere bei Säuglingen die Schwere des Unfallmechanismus mit Schnullern nicht plausibel erschien und Kinderschutzgruppen involviert wurden [1, 2]. Dies verdeutlicht die Wichtigkeit der genauen Anamnese bei allen kindlichen Unfällen und der Sensibilität, mögliche Kinderschutzfälle aufzudecken.
Seit 2004 wurde unseres Wissens nach keine lebensbedrohliche Atemwegsverlegung durch Schnuller publiziert. Ob es sich hierbei um eine tatsächliche Unfallreduktion handelt, ist unklar. Hierfür spricht möglicherweise eine zunehmende Sicherheit durch verbesserte DIN-Normen und damit einhergehende Unfallreduktion. Nicht auszuschließen ist jedoch auch ein Publikationsbias, da Einzelfallberichte tendenziell schwer zu veröffentlichen und daher möglicherweise unterberichtet sind.
Vital bedrohliche Kindernotfälle stellen aufgrund ihrer Seltenheit immer eine Herausforderung in der präklinischen Notfallmedizin dar [3]. Das strukturierte Vorgehen des Teams erfolgte gemäß aktuellen Leitlinien des European Resuscitation Council [7]. Die digitale Manipulation ist grundsätzlich eine sehr risikoreiche Intervention, die nur bei sichtbarem Fremdkörper in Ausnahmefällen erfolgen sollte. Als die initialen digitalen Versuche der Extraktion in unserem Versuch erfolglos blieben, wurde erfolgreich eine Magill-Zange für Kinder (20 cm) verwendet. Diese eignet sich insbesondere für Fremdkörperentfernungen aus dem Laryngopharynx. Eine weitere lebenswichtige Maßnahme war die parallele Sauerstoffinsufflation am Schnuller vorbei in den Laryngopharynx. Auf eine Analgosedierung mittels nasalen Zerstäubers wurde bewusst aufgrund einer ohnehin drohenden respiratorischen Erschöpfung verzichtet.
Die im Verlauf eintreffende Mutter wurde eng in die Behandlung ihres Kindes einbezogen. Die Tagesmutter wurde psychologisch durch einen Notfallseelsorger betreut. Diese Intervention kann dazu beitragen, langfristige Traumatisierungen zu verhindern [5].
Unser Fall verdeutlicht die Bedeutung eines gut trainierten Teams insbesondere bei pädiatrischen Notfällen. Obwohl seit 2004 kein ähnlicher Fall publiziert wurde, kann es trotz Normierung weiterhin zu lebensbedrohlichen Unfällen mit Schnullern kommen.
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Fazit für die Praxis
Schnuller können in seltenen Fällen zu einer lebensgefährlichen Atemwegsverlegung führen. Gute Teamarbeit und (Spezial‑)Ausbildung in pädiatrischer Notfallmedizin kann Leben retten.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
T. Dresbach, B. Krause, C.J. Diepenseifen, A. Müller und J. Leyens geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die Autoren geben an, dass die betroffene Familie der anonymisierten Veröffentlichung dieses Fallberichts nach Aufklärung zugestimmt hat. Eine zusätzliche Zustimmung der Ethikkommission ist in diesem Fall nicht erforderlich.
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