Hintergrund: Schnelle, bedarfsorientierte und wirtschaftliche Disposition von Einsatzmitteln bestimmt die Qualität des Rettungswesens entscheidend. Rettungsleitstellen tragen damit Verantwortung für eine strukturierte, nachvollziehbare und qualitätsgesicherte Disposition. An die Übertragung und Einführung des „Advanced-Medical-Priority-Dispatch-Systems“ (AMPDS) aus dem angloamerikanischen in den europäischen Rettungsdienst ist die Hoffnung geknüpft, durch standardisierte Abfragealgorithmen diesem Anforderungsprofil gerecht zu werden.
Methoden: In Niederösterreich, dem größten österreichischen Bundesland, wurde im Jahr 2004 nach etwa einjähriger Diskussion und Vorbereitung eine neue Leitstellenstruktur (Leitstellenbetriebsgesellschaft/LEBIG) geschaffen und gleichzeitig mit einer Einsatzdisposition gemäß AMPDS begonnen. Ziel der retrospektiven Analyse war die Evaluation einer veränderten Dispositionslogistik hinsichtlich eventueller Auswirkungen auf die Einsatzstruktur der Notarzthubschrauber und das Erarbeiten von Korrekturmaßnahmen bei signifikanten Abweichungen von international akzeptierten Toleranzwerten. Von insgesamt 16.200 analysierten Flugrettungseinsätzen der Christophorus Flugrettung des ÖAMTC (Österreichischer Automobil, Motorrad- und Touring Club) zwischen 2002 und 2005 entfielen 2863 Einsätze auf das Jahr 2002 und damit auf den Zeitraum vor Etablierung der LEBIG.
Ergebnisse: Mit Einführung des AMPDS kam es 2004 zu einem sprunghaften Anstieg der Gesamteinsatzzahlen auf 4875, der sich auch 2005 mit einer weiteren Steigerung auf 5110 Einsätze fortsetzte. Im Vergleich der Jahreswerte vor vs. nach Betriebsaufnahme der LEBIG stiegen die Primäreinsätze von 2123 auf 3646; die Fehleinsätze verdreifachten sich von 263 auf 753 (9,2 vs. 14,7%). Auch die Zahl der Sekundäreinsätze nahm von 477 auf 711 zu (p<0,0001 für alle Vergleiche). Im Vergleichszeitraum wurden im Rahmen der notfallmedizinischen Erstuntersuchung signifikant stabilere Vitalparameter dokumentiert: Glasgow-Coma-Scale 14 oder 15 in 59,2 vs. 65,8%; Kreislauf stabil in 54,6 vs. 63,5%; und unauffällige Spontanatmung in 57,1 vs. 63% aller Einsätze vor bzw. nach Einführung des AMPDS (p<0,0001).
Schlussfolgerungen: Basierend auf diesen Ergebnissen kann die Einführung eines strukturierten Abfrageschemas zur Steuerung eines (Notarzt-) Rettungsdienstes von europäischem Zuschnitt derzeit nicht als Verbesserung gewertet werden. Standardisierte Abfrageschemen müssen zukünftig von einer qualifizierten Disposition und kontinuierlichem Monitoring der Einsatztätigkeit flankiert sein, um Fehleinsätze zu vermeiden und vorhandene Ressourcen optimal zu nutzen.