Herausforderungen beim Umgang mit Beckenschlingen in der CT-Bildgebung: ein Fallbericht
verfasst von:
Dr. med. Dr. med. univ. Melanie Schindler, Dr. med. Josina Straub, Dr. med. Gerardo Napodano, PD Dr. med. Borys Frankewycz, PD Dr. med. Manuela Malsy
Die Online-Version dieses Beitrags (https://doi.org/10.1007/s10049-024-01374-7) enthält eine Übersicht der Modelle gängiger Beckenschlingen und den benötigten Röhrenstrom pro CT-Scan. Bitte scannen Sie den QR-Code.
×
QR-Code scannen & Beitrag online lesen
Hinweis des Verlags
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Falldarstellung
Ein 17-jähriger Patient wurde in Notarztbegleitung über unseren Schockraum vorstellig, nachdem er auf der Landstraße einen schweren Mopedunfall erlitten hatte. Das ersteintreffende Notfallteam fand den bewusstseinsgetrübten Patienten weit entfernt von seinem Moped auf der Straße liegend vor. Bei hämodynamischer Instabilität erfolgte bei einem Glasgow-Coma-Scale-Wert von sieben die Narkoseinduktion und präklinische Intubation. Ebenfalls wurden ein Stifneck sowie eine Beckenschlinge von VBM Medizintechnik angelegt und zur hämodynamischen Stabilisierung insgesamt 1500 ml kristalloide Infusionslösung und 1 g Tranexamsäure intravenös verabreicht.
Nach Übergabe des Patienten an das Schockraumteam präsentierte sich der Patient zunächst hämodynamisch ohne Katecholamintherapie stabil. In der klinischen Untersuchung kamen mehrere Prellmarken (am linken Unterarm, linken Hemithorax, linken Oberschenkel und rechten Knie) sowie eine Fehlstellung des linken Oberschenkels zur Darstellung. Das durchgeführte eFAST zeigte freie Flüssigkeit im Koller-Pouch. Der Beckengurt wurde für die CT-Bildgebung geöffnet. Während der Öffnung wurde der Patient jedoch hämodynamisch instabil, sodass ein erneuter Verschluss des Beckengurts erfolgen musste. Bei Verdacht auf eine mögliche Überstrahlung des Handpumpenballs und des Manometers sowie diesbezüglicher Unklarheit im Schockraumteam wurde die Beckenschlinge der Firma VBM Medizintechnik jedoch nicht wieder sofort verschlossen, sondern auf eine Beckenschlinge T‑POD Responder gewechselt. Die anschließende CT-Bildgebung wurde mit deutlicher Kreislaufinstabilität (RR 90/50 mmHg unter 0,6 mg/h Noradrenalin intravenös) durchgeführt und der Patient direkt im Anschluss in den Operationssaal zur chirurgischen Blutstillung und hämodynamischen Stabilisierung verbracht.
Anzeige
In der Polytraumaspirale kamen unter anderem folgende Diagnosen zur Darstellung: eine Nierenruptur rechts mit Eröffnung des Kelchsystems (American Association for the Surgery of Trauma Grad IV) mit aktiver retroperitonealer Blutung, eine Blasentamponade, eine AO-Beckenringverletzung vom Typ C mit Fraktur des vorderen und hinteren Acetabulumpfeilers links, acetabulumnahe Frakturen des oberen und unteren Schambeinasts links (AO-Klassifikation Typ C2), eine mehrfragmentäre Fraktur des oberen Schambeinasts rechts, eine Fraktur des unteren Schambeinasts rechts mit Dislokation um Schaftbreite (AO-Klassifikation Typ A3), eine Symphysensprengung, eine Fraktur der Massa lateralis sacri rechts ventral, angrenzend an das ISG, eine transforaminale Fraktur des Os sacrum links, eine mehrfragmentäre Fraktur des Os sacrum mit quer und schräg verlaufenden Frakturlinien sowie Frakturausläufer in den Processus articularis superior rechts (Typ III nach Denis) und eine inkomplette Berstungsfraktur LWK 5 (AO-Klassifikation A3; Abb. 1). Ebenfalls zeigte sich eine Femurschaftfraktur links in der Bildgebung. Operativ wurden daher ein supraacetabulärer Fixateur externe, eine Beckenzwinge und ein Fixateur externe an das linke Femur angelegt. Außerdem erfolgte eine explorative Laparotomie sowie ein Packing retroperitoneal rechts und pelvin. Am dritten postoperativen Tag wurden das abdominelle Entpacking sowie der Bauchdeckenverschluss durchgeführt. Eine ileolumbale Abstützung L4 bis Os ilium, beidseitige SI-Schrauben sowie eine Femur-Marknagelosteosynthese links konnten am fünften postoperativen Tag ausgeführt werden. Erst am zehnten postoperativen Tag erfolgte die definitive Ausversorgung des Beckens mit einer Plattenosteosynthese der Symphyse, des Acetabulums links und des oberen Schambeinasts beidseits. Nach insgesamt 12 Tagen konnte der Patient von der Intensivstation verlegt und am 17. Tag in die Rehabilitation entlassen werden.
Abb. 1
CT-Bilder des Patienten in axialer Schichtung mit der Beckenringfraktur Typ C. a Sakrumfraktur links, b Acetabulumpfeilerfraktur links, c Symphysensprengung
×
Umgang mit Beckenschlingen – Diskussion des Falls
Beckenfrakturen treten bei etwa 15,4 % aller polytraumatisierten Patienten auf und sind, wenn sie mit hämodynamischer Instabilität verbunden sind, für eine hohe Mortalitätsrate dieser Patienten verantwortlich. In der Prähospitalphase wird bei klinischen Anhaltspunkten in der körperlichen Untersuchung und bei indirekten Hinweisen für eine Beckenringverletzung mit hämodynamischer Instabilität empfohlen, eine nichtinvasive, externe Stabilisierung des Beckens vorzunehmen [1]. Hierfür stehen verschiedene Modelle von Beckenschlingen zur Verfügung (siehe Online-Zusatzmaterial).
Hintergrund der Verwendung von Beckenschlingen ist, dass bei etwa 3 % der Beckenringfrakturen zudem ein kritisches Blutungsproblem (C-Problem) auftritt, das zum Teil mit massivem Blutverlust einhergeht. Durch die Beckengurtanlage soll das Becken in seine anatomische Ursprungsposition zurückgebracht und so das intrapelvikale Volumen verkleinert werden. Eine Blutung kann dadurch tamponiert und eine hämodynamische Stabilisierung des Patienten erzielt werden. Der Nutzen der Beckenschlingen wurde in diversen Studien in den letzten Jahren nachgewiesen [2].
Nach Aufnahme des Patienten in der Notaufnahme stützt sich das innerklinische Traumamanagement unter anderem auf die Beurteilung sowie die Bildgebung mittels Computertomographie oder Röntgenübersichtsaufnahme des Beckens [1]. Dabei haben auch die bereits prähospital angelegten Beckengurte einen Einfluss auf die Durchführung und Bewertung der bildgebenden Diagnostik. Die Beibehaltung der Beckenschlinge in situ kann zwar eine Stabilisierung von Beckenverletzungen während der Bildgebung ermöglichen, andererseits aber auch die Visualisierung einiger Beckenläsionen behindern und zu erheblichen Bildartefakten führen. Als Artefakt (Bildstörung) bezeichnet man dabei ein unechtes, durch Eigenschaften der Methode hervorgerufenes Ergebnis. Diese Bildstörungen können diverse Ursachen haben und Quellen diagnostischer Unsicherheiten oder Fehlbefundungen darstellen [3]. In einem Fallbericht von 2018 wurde zum Beispiel von Jamme et al. beschrieben, dass bei korrekt angelegtem Beckengurt eine Becken-B1-Verletzung (rein ligamentäre Open-book-Verletzung) so „kaschiert“ wurde, dass sie selbst in der CT-Diagnostik nicht erkannt werden konnte [4]. Die Entscheidung, wann die einmal angelegte Beckenschlinge bei einem mutmaßlich kreislaufstabilen Patienten gefahrlos wieder geöffnet werden kann, ist daher Gegenstand aktueller Diskussionen [1]. In der Arbeit von Schweigkofler et al. wurde ein Algorithmus einer strukturierten Vorgehensweise beschrieben, wann und unter welchen Umständen der Beckengurt beim schwer verletzten Patienten geöffnet werden kann („Clear-the-pelvis-Algorithmus“; [5]). Im hier beschriebenen Fall hätte sich aufgrund der festgestellten Nierenverletzung das Öffnen des Beckengurts im Schockraum ohne Vorsichtsmaßnahmen verboten. Nur in Fällen, in denen es keine klinischen oder bildmorphologischen Hinweise auf eine Beckenringverletzung gibt, wird im „Clear-the-pelvis-Algorithmus“ der Beckengurt geöffnet und das Becken zunächst klinisch untersucht. Eine Übersichtarbeit von Sauerland et al. bescheinigt der klinischen Untersuchung eine hervorragende Sensitivität und Spezifität gegenüber der konventionellen Röntgenaufnahme [6]. Bei Unsicherheit darüber, inwieweit die angelegte Beckenschlinge Bildartefakte verursachen könnte, verständigte sich das Schockraumteam im vorliegenden Fallbericht jedoch darauf, bei initialer Kreislaufstabilität die Beckenschlinge vor der Bildgebung zu öffnen. Eine Sorge bestand darin, dass die angelegte Beckenschlinge Bildartefakte verursachen könnte, die die diagnostische Genauigkeit der Bildgebung beeinträchtigen. Das Öffnen des Beckengurts provozierte dann jedoch eine erhebliche Instabilität und hämodynamische Dekompensation des Patienten, sodass sich die Öffnung der Beckenschlinge in diesem Fall als inadäquat erwies und die sofortige Neuanlage des Beckengurts erforderlich machte.
Anzeige
Um Klarheit zu schaffen, in welchem Ausmaß denn Bildartefakte durch Beckengurte auftreten, wurden durch unsere Arbeitsgruppe CT-Scans mit den oben genannten Beckenschlingenmodellen an einer Röntgenmodellpuppe durchgeführt (Abb. 2).
Abb. 2
Diverse Beckenschlingen im CT-Scan. a Röntgenphantom ohne Beckenschlinge im CT; b Topogramm des Röntgenphantoms; T‑POD Responder:c Röntgenphantom; d axiale Schichtung; SAM Pelvic SlingII:e Röntgenphantom; f–h axiale Schichtung; VBM Medizintechnik:i Röntgenphantom; j Topogramm; k,l axiale Schichtung; Pfeile Aufhärtungsartfakte
×
Es konnte gezeigt werden, dass die untersuchten Beckengurte die Beckenanatomie zuverlässig darstellen. Lediglich die Beckenschlinge T‑POD Responder verursacht dabei keinerlei Artefakte, sodass auch kleinste Fissuren oder Infraktionen detektiert werden können. Die restlichen Beckengurte verursachen hauptsächlich Aufhärtungsartefakte. Treffen Röntgenstrahlen auf ein Objekt hoher Dichte werden die niederenergetischen Photonen selektiv abgeschwächt und die höher energetischen Photonen sind folglich Hauptbestandteil des Röntgenstrahls. Es kommt zur sogenannten „Aufhärtung“. Die resultierenden Artefakte werden dann als Aufhärtungsartefakte zusammengefasst.
Des Weiteren konnte gezeigt werden, dass alle drei untersuchten Modelle nur geringe Unterschiede im Röhrenstrom aufweisen (siehe Online-Zusatzmaterial). Die unterschiedlichen Strahlenbelastungen sind zu berücksichtigen und spielen eine relevante Rolle, insbesondere aus Sicht des Strahlenschutzes. Eine höhere Strahlendosis kann die Bildqualität verbessern, indem sie das Bildrauschen reduziert. Eine Erhöhung der kV (Kilovolt) kann die Aufhärtungsartefakte verringern, jedoch nachteilig für Jodkontrastmittel sein. Zudem können diese Artefakte durch iterative Metallartefaktreduktion im Postprocessing reduziert werden. In einer Notfallsituation ist es daher wichtig, die Balance zwischen der notwendigen Bildqualität für die Diagnostik und Therapie sowie der Minimierung der Strahlenexposition zu finden.
Fazit für die Praxis
Beckenverletzungen sind bei polytraumatisierten Patienten häufig und können zu einer erheblichen hämodynamischen Instabilität des Patienten führen.
In der Prähospitalphase wird bei klinischen Anhaltspunkten für eine Beckenringverletzung mit hämodynamischer Instabilität empfohlen, eine großzügige externe Stabilisierung des Beckens vorzunehmen.
Das Belassen der Beckenschlinge während der innerklinischen Bildgebung trägt einerseits zur hämodynamischen Stabilität bei, anderseits sollte beachtet werden, dass eine perfekte Reposition die Verletzung des Beckenrings kaschieren kann.
Artefakte durch Beckengurte sind möglich, scheinen aber wenig relevant.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
M. Schindler, J. Straub, G. Napodano, B. Frankewycz und M. Malsy geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patient/-innen zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern/Vertreterinnen eine schriftliche Einwilligung vor.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
Springer Pflege Klinik – unser Angebot für die Pflegefachpersonen Ihrer Klinik
Mit dem Angebot Springer Pflege Klinik erhält Ihre Einrichtung Zugang zu allen Zeitschrifteninhalten und Zugriff auf über 50 zertifizierte Fortbildungsmodule.