Die Pride-Bewegung (auch LGBTQIA+) und neue Formen des Familienlebens sind in der Hebammenarbeit längst angekommen. Doch darauf waren mein Team und ich nicht vorbereitet: Zwei äußerlich als männlich erkennbare Menschen stehen vor der Kreißsaal-Tür und sind bereit, ein Kind auf die Welt zu bringen. Einer von ihnen ist biologisch eine Frau und schwanger. Beide verstehen sich aber als nonbinär. Das heißt, sie fühlen sich weder als Mann noch als Frau - denn es gibt ein riesiges Spektrum an Geschlechtsidentitäten.
Die Grenzen des Systems
Die werdenden Eltern wollten ihr Kind in einem Geburtshaus mit einer speziellen Ausrichtung auf LGBTQIA+-Bedürfnisse bekommen und sind nun an einem Ort gelandet, der wenig auf ihre Wünsche und Bedürfnisse vorbereitet zu sein scheint. Und ganz ehrlich: Ja, wir hier im Kreißsaal sind überfordert. Wir müssen erst einmal googlen, diskutieren und unsere Gedanken austauschen. Der Computer streikt bei der Aufnahme eines Mannes zur Geburt. Aber die gebärende Person ist nun einmal ein Mann - so steht es zumindest in ihrem Ausweis und auf ihrer Krankenkassenkarte. Also muss das Paar die Geburt selbst bezahlen, was verständlicherweise bei ihnen Verärgerung auslöst. Auch dem Wunsch, das Baby als "nonbinär" zu registrieren, können wir nicht entsprechen. Das System kennt nur die drei Kategorien "männlich", "weiblich" und "divers". Die Stimmung wird zunehmend angespannter. Wie sollen wir das Paar ansprechen, wie die gebärende Person anfassen oder vaginal untersuchen? Es scheint ein Minenfeld für uns Hebammen zu sein. Ist es wirklich unsere Aufgabe, hier im Kreißsaal darüber zu diskutieren, dass eine nonbinäre Anmeldung des Kindes nicht möglich sein wird?
Es gibt sie: Die nonbinäre Geburt
48 Stunden später wird ein gesundes Mädchen geboren. Die Hebamme, die dabei war, erzählt mir von ihren Eindrücken: Sie zeigt große Anerkennung für die Geburtsarbeit, die der nonbinäre Mensch geleistet hat, ist aber auch irritiert von seinem männlich behaarten Körper und den fehlenden Brüsten. Das Thema der Geschlechterzugehörigkeit habe sie in ihrer Betreuung einfach ausgeklammert, denn das sei ja in diesem Moment auch egal, erzählt sie mir. "Weißt du," sagt sie, "in den letzten Minuten der Geburt, kurz bevor der Kopf des Babys herauskam, war Max (Name geändert) auf einmal total weiblich." Die Stimme und die Augen, die Suche nach Hilfe und Unterstützung verwandelten diese Person in die Gebärende, die wir Hebammen kennen. Das war beeindruckend zu sehen und hat meine Kollegin tief berührt. Sie fragt sich, ob dieses Erlebnis der Geburt, diese Kraft und das Wunder, welches nur ein biologisch weiblicher Körper vollbringen kann, die gebärende Person für sich selbst anerkennt, auch wenn ihr Name Max ist?