01.08.2012 | Originalarbeit
Geriatrietypische Multimorbidität im Spiegel von Routinedaten – Teil 1
Auswertung von stationären Krankenhausdaten und Pflegedaten
Erschienen in: Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie | Ausgabe 6/2012
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Hintergrund
In der Identifikation von Zielgruppen für spezifische geriatrische Versorgungsangebote spielt neben dem Alter der Begriff der geriatrietypischen Multimorbidität (GtMM) eine besondere Rolle. Dieser mehrteilige Beitrag befasst sich mit der Abbildung von GtMM in Routinedaten (RD) der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und der sozialen Pflegeversicherung (SPV). Grundlage hierfür war ein Operationalisierungsvorschlag der GtMM anhand von 15 mit ICD-10-GM-Kodes hinterlegten geriatrietypischen Merkmalskomplexen (GtMK), den die geriatrischen Fachgesellschaften 2004 in einem Positionspapier unter dem Titel „Abgrenzungskriterien der Geriatrie“ in der Version V1.3 vorgelegt hatten. Die GtMM wurde dabei als Vorliegen von mindestens zwei dieser GtMK definiert.
Methode
In Teil 1 werden Krankenhausabrechnungsfälle von AOK-Versicherten aus dem Jahr 2007 (Alter ≥ 60 Jahre, mindestens eine stationäre Behandlung in einem Krankenhaus mit geriatrischer Fachabteilung/Behandlungsoption) ausgewertet. Hierbei wurden geriatrisch versorgte Fälle (Geriatriegruppe G) denen ohne geriatrische Versorgung (Vergleichsgruppe V) gegenübergestellt. Analysiert wurden die Häufigkeit der Kodierung von GtMK, die Erfüllung von GtMM und mittels multivariater Analysen der Beitrag dieser Merkmale zur richtigen Zuordnung der Fälle in die G- und V-Gruppe. Ergänzend und im Sinne einer externen Validierung wurden für alle Abrechnungsfälle die Merkmale Pflegestufe (PS) und Heimbewohnerstatus (HbS) des Bezugsjahrs aus den RD der SPV einbezogen. Aufgrund fehlender unspezifischer ICD-Kodes und der Fortschreibung der ICD-10-GM erfolgte eine Anpassung des Operationalisierungsvorschlag gemäß V1.3 zur Abbildung von GtMM für einzelne GtMK.
Ergebnisse
Die Definitionskriterien der GtMM erfüllten 68,5% der Abrechnungsfälle der G-Gruppe und 24,2% der V-Gruppe. Die generelle Häufigkeit der 15 GtMK wie auch deren Häufigkeitsunterschiede in den beiden Auswertungsgruppen differieren erheblich. Es besteht eine deutliche Korrelation zwischen der kodierabhängigen GtMM und den kodierunabhängigen Merkmalen PS und HbS. Die GtMK „kognitive Defizite“, „Inkontinenz“ und „Dekubitalulzera“ erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer vorliegenden Pflegebedürftigkeit erheblich. Dennoch erfüllen in der G-Gruppe 76,4% aller Fälle mit PS die Kriterien der GtMM, in der V-Gruppe nur 45,9%. Der Beitrag der GtMM zur korrekten Zuordnung in die G- oder V-Gruppe bleibt wie der zusätzlich einbezogener Pflegemerkmale begrenzt (Varianzaufklärung maximal ca. 36%), da auch 42,2% aller V-Fälle eine GtMM oder eine PS, 15,5% sogar beides aufweisen.
Schlussfolgerungen
Der an der Definition des geriatrischen Patienten der Begutachtungsrichtlinie Vorsorge und Rehabilitation orientierte Operationalisierungsvorschlag V1.3 der geriatrischen Fachgesellschaften ist ein in Details verbesserungsfähiger, aber prinzipiell praktikabler Vorschlag zur Abbildung von GtMM durch RD und entsprechender besonderer Risiken. Die Einbeziehung kodierunabhängiger RD der SPV stellt eine sinnvolle Ergänzung der Krankenhausabrechnungsdaten gemäß § 301 SGB V dar, da er zumindest für die Pflegebedürftigen gemäß SGB XI eine gewisse externe Validierung erlaubt. Deutliche Unterschiede kodierter GtMM in dieser Teilgruppe legen nach wie vor eine Untererfassung von GtMK, insbesondere bei Fällen ohne geriatrische Versorgung nahe. Die Häufigkeit von Fällen mit GtMM sowie PS in der G- und V-Gruppe zeigen, dass auch bei bestehendem geriatrischen Versorgungsangebot ein erheblicher Anteil von Fällen mit geriatrietypischen Merkmalskonstellationen in anderen Fachabteilungen versorgt wird.
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