Harnwegsinfekte: Diagnosen im Altenheim oft falsch

Für die Diagnose von Harnwegsinfekten (HWI) bei Bewohnern von Altenpflegeheimen existieren klare Kriterien. Doch die wenigsten Patienten, die angeblich an solchen Infektionen leiden, weisen die maßgeblichen Merkmale auf, wie eine australische Studie nahelegt. Mit den 2012 überarbeiteten McGeer-Kriterien steht ein Werkzeug zur Verfügung, das die Diagnose von HWI in Einrichtungen zur Langzeitpflege, wie etwa Altenpflegeheimen, erleichtern soll. Die ursprünglich rein an spezifischen klinischen Symptomen (wie Dysurie, Fieber oder Pollakisurie) orientierten Kriterien von 1991 wurden damals um mikrobiologische Befunde erweitert, womit etwa der Nachweis von 105 koloniebildenden Einheiten pro Milliliter im Miktions- bzw. aus einem Dauerkatheter entnommenen Urin zusätzlich zu den klinischen Kriterien verbindlich gefordert wurde. Australische Infektionsepidemiologen um Susan Ryan von Monash Health, einem öffentlichen Gesundheitsdienst in Melbourne, haben die HWI-Diagnosen von Bewohnern zweier Altenpflegeheime mit zusammen 130 Betten darauf untersucht, ob sie mit den McGeer-Kriterien vereinbar waren. Die Daten stammten von 119 HWI-Diagnosen von 57 Patienten über einen Zeitraum von 16 Monaten. Kriterienkonform waren nur rund 6 Prozent der Diagnosen. 39 Prozent der HWI-Diagnosen erfüllten die klinischen Kriterien nicht, bei 14 Prozent fehlte der mikrobiologische Nachweis, etwas mehr als 40 Prozent waren weder klinisch noch mikrobiologisch belegt. Von den Patienten, bei denen die Kriterien für eine HWI nicht vorlagen, hatten nur 11 Prozent Anzeichen oder Beschwerden, die zumindest auf den Urogenitalbereich verwiesen – ohne freilich die klinischen Kriterien im Vollsinn zu erfüllen. Teststreifen gibt den Ausschlag Das wirft die Frage auf, wie es überhaupt zur Diagnose kam. Bei einem Fünftel der trotz nicht erfüllter Kriterien mit HWI Diagnostizierten lautete die Antwort: Entscheidend war das Ergebnis eines Urinstreifentests. Was zu der weiteren Frage führt, weshalb bei Patienten ohne klinische Symptome einer HWI ein solcher Test veranlasst wird, zumal es sich nicht um eine Routinemaßnahme handelte. Oft war der Anlass offenbar eine Veränderung im mentalen Zustand oder im Verhalten der Patienten. In einer geringeren Zahl der Fälle war es übel riechender Urin, der zum Test führte. Eine HWI ist so aber nicht zu erkennen, weil auch asymptomatische Bakteriurien den Streifentest positiv ausfallen lassen. Ein Drittel der Altenheimbewohner war nicht mehr in der Lage, über Symptome und Beschwerden Auskunft zu geben. Auf sie entfielen 34 Prozent der HWI-Diagnosen. Nur ganze zwei dieser Patienten erfüllten die dafür eigentlich nötigen Kriterien. Die 119 Diagnosen zogen 128 Antibiotikaverschreibungen nach sich. Ryan und Kollegen weisen vor dem Hintergrund von Übertherapie und der Gefahr der Resistenzentwicklung darauf hin, dass offenbar dringender Bedarf an Fortbildung und Begleitprogrammen für den verantwortlichen Umgang mit antimikrobiell wirkenden Substanzen bestehe. „Auch zeigt sich, dass die McGeer-Kriterien an ihre Grenzen stoßen, wenn Patienten kognitiv oder kommunikativ beeinträchtigt sind“, so die Forscher in ihrem Fazit.

Springerpflege

Harnwegsinfekte: Diagnosen im Altenheim oft falsch

Weiterführende Themen

Springerpflege

Bitte loggen Sie sich ein, um Zugang zu diesem Inhalt zu erhalten

Weiterführende Themen