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Open Access 05.03.2025 | short communication

Erweiterte Ersteinschätzung von selbstzuweisenden Patienten am gemeinsamen Tresen eines integrierten Notfallzentrums

verfasst von: Dr. Sarah Oslislo, Christopher Pommerenke, Dominik von Stillfried, Sebastian Carnarius, Caroline Roos, Michael Wünning

Erschienen in: Notfall + Rettungsmedizin

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Hintergrund

Der Entwurf des Notfallgesetzes sieht die Einrichtung integrierter Notfallzentren (INZ) vor. An diesen Standorten soll die Notfallversorgung fokussiert und die Notaufnahme durch eine vertragsärztliche Notdienstpraxis abends und am Wochenende sowie durch Kooperationspraxen tagsüber entlastet werden. Dies zielt auf potenziell vertragsärztlich behandelbare Patienten, die sich selbständig vorstellen. Knapp die Hälfte aller Notfälle in Notaufnahmen entfällt auf Hilfesuchende, die sich selbständig ohne ärztliche Einweisung vorstellen [1]. Der Anteil der vertragsärztlich behandelbaren Fälle darunter wird auf bis zu 50 % geschätzt [2]. Zwischenzeitlich liegen Studienergebnisse zu der Frage vor, ob die für eine vertragsärztliche Versorgung geeigneten Patienten vor Beginn einer Notaufnahmebehandlung sicher identifiziert und in die vertragsärztliche Versorgung weitergeleitet werden können [3]. Wie eine sichere Weiterleitung und effektive Behandlung in Kooperationspraxen gelingen, bleibt nach ersten ermutigenden Studienergebnissen [4] noch Gegenstand der Diskussion.
Vor dem Hintergrund einer mangelnden Datenlage zur Anwendbarkeit der Ersteinschätzung und der Weiterleitung unter Alltagsbedingungen erprobten die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Hamburg und das Katholische Marienkrankenhaus von Juni bis November 2022 die Patientensteuerung an einem gemeinsamen Tresen, welcher im aktuellen Sachverständigenratsgutachten thematisiert wird [5]. Dieser bildete die zentrale Anlaufstelle für die Notaufnahme und die Notfallspraxis am integrierten Notfallzentrum für selbstvorstellende Patienten und wurde von der KV Hamburg betrieben. Diese sollten dort nach Ersteinschätzung der angemessenen Versorgungsebene zugewiesen werden. Zur Unterstützung der Steuerung wurde die Software Strukturierte medizinische Ersteinschätzung in Deutschland (SmED) in der Version Kontakt+ genutzt. Patienten, die in die Notaufnahme gesteuert wurden, wurden dort nach dem Manchester Triage System (MTS) der Klinik priorisiert.

Methodik

Eingeschlossen wurden alle fußläufigen Patienten ab 12 Jahren, welche im Projektzeitraum (6 Monate) den gemeinsamen Tresen aufsuchten. Ausgeschlossen wurden Schwangere, Patienten mit offensichtlicher Lebensbedrohung, Patienten mit Einweisung, Rettungsdienstzuweisungen und Fälle, die auf Empfehlung der Terminservicestelle der KV Hamburg (TSS) die Notfallpraxis aufsuchten und bei denen bis zur Vorstellung am gemeinsamen Tresen keine Änderung des Beschwerdebildes stattfand (Abfrage durch Triagekraft).
Bei Patienten, die den Einschlusskriterien entsprachen, wurde eine Ersteinschätzung mithilfe der Software SmED Kontakt+ durchgeführt und ein papierbasierter Evaluationsbogen ausgefüllt. In die Auswertung wurden nur Fälle einbezogen, bei denen ein SmED-Assessment und Evaluationsbogen vorlagen. Die Auswertung erfolgte deskriptiv.
Die Studie wurde zum damaligen Zeitpunkt als Qualitätsmanagement verstanden, weshalb von einem Ethikvotum abgesehen wurde.

Ergebnisse

Es wurden 7211 Fälle in die Auswertung eingeschlossen, wovon 70,6 % in der Altersklasse 14 bis 49 Jahre und 50,8 % weiblich waren. Im Hinblick auf die Versorgungsebene erhielten 1947 Fälle (27,1 %) eine SmED-Empfehlung für die Notaufnahme. Für 3481 Patienten (48,5 %) war nach SmED eine vertragsärztliche Behandlung bzw. für 24,4 % (1755 Fälle) eine ärztliche Telekonsultation ausreichend.
Die fünf häufigsten Hauptbeschwerden waren Bauchschmerzen (8,3 %, N = 602), Harnwegsbeschwerden (6,5 %, N = 467), Ohrenschmerzen (4,9 %, N = 351), Notfallleitsymptome (in absteigender Reihenfolge: Herz-Kreislauf-Beschwerden, Atembeschwerden, neurologische/psychische Beschwerden) im Rahmen der SmED-Vortriage (4,7 %, N = 336) sowie Hals‑/Rachenbeschwerden (4,3 %, N = 312).
Insgesamt wurden 2234 der Patienten (31,2 %) von den Triagefachkräften der KV Hamburg initial in die Notaufnahme gesteuert. In die vertragsärztliche Versorgung wurden 4748 Patienten (67,7 %) weitergeleitet (3967 Fälle [55,4 %] Notfallpraxis und 881 Fälle [12,3 %] Praxen). Zu allgemeinen Praxisöffnungszeiten nahmen die Triagekräfte zur Weiterleitung in die vertragsärztliche Versorgung Einsicht in die bei der TSS gemeldeten Termine. Überwiegend wurden vertragsärztlich behandelbare Patienten in das auf dem Campus befindliche medizinische Versorgungszentrum vermittelt. In 21 Fällen war kein Termin verfügbar. 55 Patienten lehnten die Weiterleitung in die Notfallpraxis oder eine Praxis ab.
Von den initial in die Notaufnahme gesteuerten Patienten wurden dort 1054 (93,0 %) ambulant behandelt und 80 Patienten stationär aufgenommen (7,0 %). In 1100 Fällen waren hierzu keine Daten vorhanden.
Von den initial in die Notfallpraxis gesteuerten Patienten wurden 3134 (86,4 %) abschließend dort behandelt. 488 Patienten (13,5 %) wurden in die Notaufnahme eingewiesen. Als häufigster Grund für die Einweisung in die Notaufnahme wurde in 115 Fällen (51,1 %) fehlende Bildgebung (CT/MRT, Röntgen) angegeben, gefolgt von Sonographie (24 Fälle; 10,7 %), Labor (15 Fälle; 6,7 %), medizinisches Konsil (6 Fälle; 2,7 %) und Sonstiges (65 Fälle; 28,9 %). In 263 Fällen lagen keine Daten zum Einweisungsgrund vor.
Bei den während der Praxisöffnungszeiten vermittelten Patienten wurden 454 Fälle (81,8 %) abschließend in der vertragsärztlichen Versorgung behandelt. 36 Patienten (6,5 %) erhielten eine Überweisung in weitere fachärztliche Versorgung. In die Notaufnahme eingewiesen wurden 65 Patienten (11,7 %). In 326 Fällen waren hierzu keine Daten vorhanden.

Schlussfolgerung

Im Ergebnis lag eine Empfehlung für die vertragsärztliche Versorgung bei rund zwei Drittel der selbstvorstellenden Patienten vor. Die betrachtete Gruppe exkludierte jedoch selbstvorstellig gewordene Patienten mit Einweisungen, berufsgenossenschaftlichen Verletzungen sowie medizinische „red flags“. Diese Gruppe umfasst 38 % der am Tresen vorstelligen Patienten. In mehr als 80 % konnten weitergeleitete Fälle vertragsärztlich behandelt werden. Der allergrößte Anteil davon entfiel auf die Notfallpraxis. Einweisungen aus der Notfallpraxis in die Notaufnahme erfolgten häufig ressourcenbedingt und könnten bei entsprechender Ausstattung der Notfallpraxis reduziert werden. Zu allgemeinen Öffnungszeiten der Praxen konnte ein Teil der Akutfälle ebenfalls in nahegelegene Praxen geleitet und dort effektiv behandelt werden. Dies inkludierte das am Krankenhaus gelegene medizinische Versorgungszentrum. Wenige Ablehnungen weisen darüber auf eine hohe Akzeptanz der Patienten hin, sich durch einen gemeinsamen Tresen in ambulante Versorgungseinrichtungen steuern zu lassen. Räumliche Nähe und digitale Terminbuchung können hierfür maßgeblich sein. Das Weiterleitungspotenzial wurde in der Studie nicht vollständig ausgeschöpft und könnte durch den Einbezug von Einweisungen sowie Rettungsdienst- bzw. Krankentransporten erhöht werden.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

M. Wünning gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Das Zi stellt im Rahmen seines Satzungsauftrags die Software zur Verfügung. Im Rahmen des Projekts erfolgte eine unentgeltliche Bereitstellung von SmED. Die Schulungen der Tresenmitarbeiter wurden vom Zi und der KVH aus eigenen Mitteln durchgeführt. S. Oslislo, C. Pommerenke, S. Carnarius und D. von Stillfried sind beim Zi tätig. C. Roos ist bei der KV Hamburg tätig.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen. Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​deed.​de.

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Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

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Literatur
2.
Zurück zum Zitat Haas C, Larbig M, Schöpke T et al (2015) Gutachten zur ambulanten Notfallversorgung im Krankenhaus – Fallkostenkalkulation und Strukturanalyse der Management Consult Kestermann GmbH (MCK) erstellt in Kooperation mit der Deutsche Gesellschaft interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin e. V. (DGINA). Management Consult Kestermann GmbH, Hamburg Haas C, Larbig M, Schöpke T et al (2015) Gutachten zur ambulanten Notfallversorgung im Krankenhaus – Fallkostenkalkulation und Strukturanalyse der Management Consult Kestermann GmbH (MCK) erstellt in Kooperation mit der Deutsche Gesellschaft interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin e. V. (DGINA). Management Consult Kestermann GmbH, Hamburg
Metadaten
Titel
Erweiterte Ersteinschätzung von selbstzuweisenden Patienten am gemeinsamen Tresen eines integrierten Notfallzentrums
verfasst von
Dr. Sarah Oslislo
Christopher Pommerenke
Dominik von Stillfried
Sebastian Carnarius
Caroline Roos
Michael Wünning
Publikationsdatum
05.03.2025
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Notfall + Rettungsmedizin
Print ISSN: 1434-6222
Elektronische ISSN: 1436-0578
DOI
https://doi.org/10.1007/s10049-025-01483-x