Befund
In der Notaufnahme lag der Blutdruck bei 94/56 mm Hg, die Herzfrequenz bei 73/min, die Atemfrequenz bei 13/min und die Temperatur bei 36,8 °C. Im Gesicht, am Hals, am Stamm und der oberen Extremität zeigte sich ein blasses Exanthem. Die weitere körperliche Untersuchung war unauffällig. Die Ergebnisse der Laboruntersuchungen waren ebenfalls unauffällig.
Diskussion
Eine Histamin- oder auch Scombroidvergiftung ist die häufigste Fischvergiftung weltweit und entsteht durch die Aufnahme von histaminkontaminiertem Fisch aus der Fischfamilie Scombridae, zu der Thunfische und Makrelen zählen. Andere Fische, die nicht zur Familie Scombridae zählen, wie etwa Sardinen, Blaufisch und selten Lachs, können ebenfalls zu einer Histaminvergiftung führen [
1,
2].
Die Histaminvergiftung tritt auf, wenn die Kühlkette unterbrochen ist und sich Bakterien im Gewebe des Fischs vermehren können. Dabei wandeln diese Bakterien Histidin in Histamin um. Histamin wird auch im menschlichen Körper in verschiedenen Organen wie der Leber und der Milz, aber auch in den Mastzellen und basophilen Granulozyten produziert. Im Rahmen von allergischen Reaktionen kommt es zu einer Freisetzung von endogenem Histamin, das schließlich seine Wirkung über die Histaminrezeptoren entfaltet. Das im Rahmen der Fischvergiftung vermehrt produzierte Histamin wird beim Verzehr über den Gastrointestinaltrakt aufgenommen und führt über die Bindung an die Histaminrezeptoren zu einer klinischen Reaktion, die von einer Allergie, ausgelöst durch endogenes Histamin, nicht zu unterschieden ist. Wurde Histamin erst einmal produziert, ist es äußerst resistent gegenüber Koch‑, Räucher- oder Gefrierprozessen.
Für den Umbau von Histidin zu Histamin wird das Enzym Histidin-Decarboxylase benötigt. Zu den Bakterien, die dieses Enzym besitzen, zählen
Proteus, Enterobacter, Serratia, Citrobacter, Escherichia coli, Clostridien, Vibrionen,
Acinetobacter, Pseudomonas und Photobakterien [
3]. Die individuelle Zusammensetzung der mikrobiellen Fauna in den Fischen hängt von einer Vielzahl an Umwelteinflüssen ab, wie z. B. von der geografischen Region, der Ernährung der Fische, der Wasserqualität und auch den hygienischen Bedingungen im Zwischen- und Endhandel. Idealerweise sollte Fisch bei einer Temperatur von 0 °C oder weniger aufbewahrt werden, um das Wachstum von Bakterien und die Aktivierung der Histidin-Decarboxylase zu verhindern. Toxische Histaminspiegel können bereits erreicht werden, wenn die Fische für 2 bis 3 h bei 20 °C oder mehr aufbewahrt werden. Selbst wenn die Bakterien dann nicht mehr lebensfähig sein sollten, bleibt die Funktion der Histidin-Decarboxylase weiterhin bestehen [
4].
Die Scombroidvergiftung wurde 1799 erstmals in Großbritannien beschrieben und hielt in den 1950er-Jahren nach Ausbrüchen in Japan Einzug in die medizinische Fachliteratur [
2]. In den letzten Jahrzehnten nahm der Konsum von Fisch in vielen Ländern wie den USA dramatisch zu. Führend im Verzehr von Fisch sind Japan und China. Mit steigendem Konsum nahm auch die Anzahl an Fischvergiftungen zu. Die Tatsache, dass es sich beim Fischhandel um einen globalen Markt handelt, führte dazu, dass in vielen Ländern Fälle von Fischvergiftungen auftraten, häufig auch in Kohorten wie Schulen, Militärunterkünften, aber auch auf medizinischen Fachkongressen. Die Fälle von Histaminvergiftungen werden sicher zahlenmäßig unterschätzt, da sie häufig als allergische Reaktion fehldiagnostiziert werden und keine systematische wissenschaftliche Erfassung solcher Ereignisse erfolgt.
De-novo-Fischallergien beim Erwachsenen sind selten, aber können natürlich auftreten. Die Prävalenz von Fischallergien wird auf 0,6 % geschätzt, mit gewissen Abweichungen bei Alter und ethnischer Zugehörigkeit [
5]. Vor allem wenn mehrere Personen nach Fischgenuss im selben Restaurant krank werden, spricht das eher für eine Histaminvergiftung als für eine De-novo-Fischallergie.
Die Symptome gleichen denen einer Anaphylaxie wie Rötung im Gesicht, Hals, Stamm oder auch generalisiert, Bauchschmerzen, Diarrhö, Palpitationen u. a. [
1].
Die Behandlung der Scombroidvergiftung unterscheidet sich in der Praxis nicht von der Therapie der Anaphylaxie. Ein wesentlicher Pfeiler der Behandlung ist der Einsatz von Antihistaminika. Hierzu existieren keine kontrollierten klinischen Studien, die etwa die Überlegenheit einer bestimmten Substanz oder der Kombination verschiedener Präparate zeigen würden. Die Behandlungsempfehlungen werden vor allem aus Fallberichten und Review-Artikeln abgeleitet. Zur Therapie von milden bis mittelschweren Symptomen spielen Histamin‑H
1-Antagonisten eine wesentliche Rolle. In der internationalen Literatur werden hier häufig Diphenhydramin, Cetirizin und Chlorphenamin genannt [
1]. Diese Substanzen sind in Deutschland allerdings häufig nicht verfügbar, insbesondere zur intravenösen Anwendung, oder noch nicht zur Therapie der Anaphylaxie zugelassen. In der aktuellen deutschen Leitlinie zu Akuttherapie und Management der Anaphylaxie wird aus der Gruppe der H
1-Antihistaminika der Einsatz von Dimetinden empfohlen, das auch intravenös verabreicht werden kann. Die empfohlene Dosis beträgt hier gewichtsadaptiert 1 mg/10 kg Körpergewicht. In der klinischen Praxis werden häufig nur 4 mg (eine Ampulle) verabreicht, was in den meisten Fällen eine Unterdosierung bedeutet. Als Alternative zur gewichtsadaptierten Dosis können hier auch pragmatisch zwei Ampullen (8 mg) gegeben werden, da diese Dosis für die meisten Patienten gut anwendbar ist [
6]. Eine Orientierung bei der Therapie der Histaminvergiftung an der nationalen Leitlinie erscheint rational. Zur Wirksamkeit von Histamin‑H
2-Rezeptor-Antagonisten in der Therapie akuter anaphylaktischer Reaktionen gibt es wenig Evidenz. Die Prävention von anaphylaktischen Komplikation durch die Gabe von H
2-Rezeptor-Antagonisten zusätzlich zu H
1-Antihistaminika ist etwas besser belegt, wobei auch hier in den Studien methodische Probleme bestehen. Die kombinierte Gabe von H
1- und H
2-Rezeptor-Antagonisten kann versucht werden, allerdings ist aufgrund des Nebenwirkungsspektrums und der aktuell fehlenden EU-Zulassung einiger Präparate diesbezüglich ein eher zurückhaltendes Vorgehen sinnvoll. Die Indikation zur Gabe von Glukokortikoiden und Adrenalin bei der Histaminvergiftung entspricht der Indikation für diese Substanzen bei der Anaphylaxie. Aufgrund der durch Histamin verursachten Vasodilatation liegt eine relative Hypovolämie vor. Aus diesem Grund ist die Volumengabe vor allem bei Patienten mit Hypotonie ein wesentlicher Bestandteil der Therapie.
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