Allein in Deutschland [
1] und Österreich [
2] leiden zurzeit (Stand 2021) etwa 1,7 Mio. Menschen an irgendeiner Form der Demenzerkrankung. Diese Zahl steigt jährlich um etwa 300.000 Neuerkrankte an [
1]. Die Bezeichnung „Demenz“ wird laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) und International Classification of Diseases (ICD-10) als Überbegriff verschiedener Subtypen derselben Krankheitsgruppe verwendet. Die Ursachen sind meist direkte Hirnschäden; häufig liegt ein neurodegenerativer Prozess zugrunde [
3]. Das Erscheinungsbild der Demenz äußert sich in einem Rückgang höherer kortikaler Funktionen, begleitet von klinischen Verhaltensänderungen [
4]. Die psychopathologische Symptomatik der Demenz kann bei betroffenen Patient/-innen ein auftretendes Delir maskieren [
3]. Das Delir wird als multifaktoriell bedingtes, neuropsychiatrisches Syndrom mit akutem Ausbruch und fluktuierendem Verlauf definiert, man unterscheidet zwischen hyperaktivem, hypoaktivem und gemischtem Delir [
5]. Die wichtigsten Risiko- bzw. auslösenden Faktoren sind hohes Alter, somatische Erkrankungen, Medikamente (v. a. Benzodiazepine), große Operationen, Entzug bei Substanzabusus (Alkoholentzugsdelir) und eine zugrunde liegende Demenzerkrankung [
5,
6]. Neurodegenerative Prozesse im Alter, wie eine Demenzerkrankung, führen zu neuroinflammatorischen Zellveränderungen und Veränderungen der Konnektivität des Gehirns, wodurch das Gehirn die Fähigkeit verliert, adäquat auf einen akuten Stressor zu reagieren (=Delir) [
7]. Umgekehrt begünstigt ein Delir auch die Entstehung und/oder Verschlechterung einer Demenzerkrankung. Eine stattgehabte Delirepisode erhöht bei älteren Patient/-innen das Risiko, eine Demenz zu entwickeln, um das 8Fache und führt nachweislich zu einem schlechteren kognitiven Outcome [
8]. Es gibt eine direkte Assoziation zwischen einer Verschlechterung der Mini–Mental State Examination (MMSE) und der Länge und/oder Dauer eines Delirs. Neue Forschungen haben ergeben, dass die Ursache für eine neu auftretende Demenz nach einem Delir nicht Ablagerungen von β‑Amyloid und Tau-Proteinen sind, sondern neue Schäden am Gehirn sein können. Ob diese als Folge des Delirs auftreten oder parallel zum Delir durch delirauslösende Ereignisse entstehen, ist nicht geklärt [
7].
Prävalenz
Zahlen zur Prävalenz des DSD bei Patient/-innen über 65 Jahren mit einer Demenzerkrankung schwanken je nach Setting zwischen 22 und 89 % [
9]. Die große Spanne in den Angaben zur Prävalenz ist dem geschuldet, dass ein Delir durch tageszeitliche Fluktuationen und den oft subsyndromalen Verlauf häufig nicht als solches erkannt wird. Laut klinischen Studien weisen beinahe bis zu zwei Drittel aller hospitalisierten über 65-Jährigen ein subsyndromales Delir auf [
7]. Bei der Aufnahme in die Klinik haben bereits bis zu 25 % der Patient/-innen über 65 ein Delir; weitere 30 % entwickeln eines während des stationären Aufenthalts [
10]. Demgegenüber wurde in mehreren Arbeiten erfasst, dass bei rund zwei Dritteln der hospitalisierten Delirpatient/-innen über 65-Jahren eine Demenzerkrankung zugrunde liegt, wobei das Risiko, ein Delir zu entwickeln, mit der Schwere der Demenzerkrankung steigt [
3]. Mehrere Studien geben zudem an, dass die Delirprävalenz in Langzeitpflegeeinrichtungen (33,3–70,3 %) höher ausfällt als bei nichtinstitutionalisierten Patient/-innen [
6]; etwas niedrigere Werte (9–57 %) wurden bei Patient/-innen in Kliniken festgestellt [
7]. Die Werte schwanken je nach Ein- und Ausschlusskriterien (schwere Demenz, Einschränkungen in Sprache und Schrift) [
6].
Risikofaktoren und Folgen des DSD
Die Entwicklung eines Delirs bei vorbelasteten Patient/-innen ist abhängig von den komplexen Wechselbeziehungen zwischen prädisponierenden Faktoren (Vulnerabilität) und der Exposition gegenüber auslösenden Faktoren (Noxe). Bei Patient/-innen mit zugrunde liegenden Risikofaktoren (z. B. Demenz, Multimorbidität, Polypharmazie) können daher bereits relativ geringgradige Faktoren – z. B. ein leichter Harnwegsinfekt bzw. eine leicht bis mäßig ausgeprägte Elektrolytstörung – ausreichen, um ein Delir auszulösen [
11]. Demenz mit überlagertem Delir wird mit höheren Kosten für das Gesundheitssystem, durchschnittlich längeren Krankenhausaufenthalten und schlechterem funktionellem Outcome als bei einer solitären Demenzerkrankung in Zusammenhang gebracht [
9,
12]. Patient/-innen mit einer diagnostizierten Demenzerkrankung weisen während ihrer Behandlung in einer Einrichtung des Gesundheitswesens, ein etwa 3fach erhöhtes Risiko einer Delir-Entwicklung auf [
13]. Dies erfordert eine genauere Beobachtung der betroffenen Risikogruppe, systematische Präventions- und Behandlungsmaßnahmen und v. a. ein geschultes Bewusstsein dieser Problematik von Gesundheitsfachpersonen. Ein Delir und insbesondere ein übersehenes und nichtbehandeltes Delir kann im weiteren Verlauf zu einem beschleunigten kognitiven Rückgang, zu verfrühter Einweisung in ein Pflegeheim und insgesamt zu höherer Morbidität und Mortalität führen [
12]. Das Delir ist potenziell lebensgefährlich. Es kann jedoch bei frühzeitiger Diagnose behandelt werden, und mithilfe geeigneter präventiver Maßnahmen kann überhaupt das Risiko, ein solches zu entwickeln, reduziert werden. Nachfolgend werden Möglichkeiten der Diagnosestellung und Therapiekonzepte diskutiert.
Methodik
Zur Identifizierung relevanter Literatur wurde eine Literaturrecherche in den Suchmaschinen PubMed und Google Scholar durchgeführt. Dabei wurden folgende Stichwörter mit Synonymen, jeweils in deutscher und englischer Sprache, angewandt: Delir, Demenz, DSD, Therapie, Prävention, Diagnostik, multikomponente Interventionsprogramme. Eingeschlossen wurden sowohl Studien, Berichte von Praxisprojekten sowie nationale und internationale Empfehlungen von Fachgesellschaften und Leitlinien, ohne zeitliche Beschränkung. Insgesamt wurden 231 Quellen gefunden, wovon, infolge des Titel‑, Abstract- und Volltextscreenings, 13 als relevant zur Diskussion der Identifizierung von Patient/-innen mit DSD und 7 als relevant zur Diskussion der therapeutischen Maßnahmen bei DSD befunden wurden.