„Das ist wirklich eine Gratwanderung“: Schlüsselprobleme der Patientinnen- und Familienedukation zu technischen Assistenzsystemen in Sozial- und Gesundheitsberufen – eine Grounded Theory
verfasst von:
Leopold Kardas, Carola Nick, Katharina Lüftl
Zwischen technischen Assistenzsystemen für die häusliche Versorgung und ihren potenziellen Nutzer:innen bestehen häufig erhebliche Passungsprobleme. Patient:innen- und Familienedukation stellt eine multimethodische und subjektorientierte Vermittlungsstrategie, die Brücken zwischen Mensch und Technik bauen und somit das postulierte Potenzial technischer Assistenzsysteme nutzbar machen könnte, dar. Pflegefachpersonen scheinen durch ihr edukatives Selbstverständnis und ihre Nähe zu Betroffenen prädestiniert für diese Aufgabe zu sein, werden durch ihre Ausbildung bisher aber nur unzureichend darauf vorbereitet.
Zielsetzung und Fragestellung
Zur Fundierung eines curricularen Bausteins der Pflegeausbildung und des Pflegestudiums sollen berufliche Schlüsselprobleme der Patient:innenedukation zu technischen Assistenzsystemen in den Sozial- und Gesundheitsberufen erhoben werden. Diese stellen empirisch identifizierte Herausforderungen im Handlungsfeld der Technikberatung, die zugleich auch pflegedidaktische Verhältnisbestimmungen zwischen Technik und pflege- bzw. gesundheitsberuflichem Handeln ermöglichen sollen, dar.
Methoden
Es wurde eine qualitative Studie durchgeführt. Auf der Grundlage einer Methodentriangulation wurden 15 Interviews geführt und anschließend mithilfe der Grounded-Theory-Methodologie nach Strauss und Corbin ausgewertet.
Ergebnisse
Als zentrales Schlüsselphänomen konnte die Praxis der Gratwanderung, welche 4 Schlüsselprobleme umfasst, identifiziert werden. Die Gratwanderung der Akteur:innen im Umgang mit den Schlüsselproblemen mündet in einer heuristischen Technikfolgenabschätzung, in der potenzieller Nutzen und Schaden von technischen Assistenzsystemen gegeneinander abgewogen werden. Hierfür müssen technische Artefakte in einen Zusammenhang mit (1) den Alltagspraktiken, (2) den soziomaterialen Rahmenbedingungen sowie (3) den Technikdeutungen ihrer Nutzer:innen gestellt werden.
Schlussfolgerung
Die Patient:innenedukation stellt eine geeignete Strategie dar, um das Handlungsfeld der Technikberatung weiter zu professionalisieren und so die Potenziale von technischen Assistenzsystemen in der häuslichen Versorgung realistisch zu nutzen.
Hinweise
Hinweis des Verlags
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Hintergrund
Technische Assistenzsysteme (TAS) sind aus mehreren technischen Komponenten bestehende Hilfsmittel, die die Selbstständigkeit, Teilhabe, Sicherheit und Lebensqualität von pflege- bzw. unterstützungsbedürftigen Personen potenziell unterstützen oder verbessern sollen (Lutze et al. 2019). TAS wird bei der Aufrechterhaltung einer selbstbestimmten Lebensführung älterer Menschen im eigenen Haushalt ein hohes Potenzial beigemessen (Birken et al. 2017), weshalb diese häufig auch mit Begriffen wie Ambient Assisted Living oder Gerontechnology umschrieben werden. Die Förderung und Entwicklung von TAS stellt sich dabei als eine zentrale gesundheitsökonomische und gesellschaftspolitische Antwort auf das Bedürfnis der Bevölkerung, möglichst lange und selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden zu wohnen, dar (Weber 2021). Diese konfrontieren ältere Menschen jedoch häufig mit modernen Informations- und Kommunikationstechnologien, deren komplexe Bedienungs- und Nutzeroberflächen für die Technikbiografien der meisten älteren Menschen ein Novum darstellen (Dietel 2017). Anders als es der Begriff impliziert, orientiert sich die Entwicklung altersgerechter Assistenzsysteme weniger an den Anforderungen älterer Menschen an deren Bedienbarkeit und deren Alltagspraxis als vielmehr an vermuteten Bedürfnissen oder experimentell rekonstruierten Bedarfen (Endter 2017). Schwierigkeiten bei der Benutzung von Technik schreiben ältere Erwachsene aber häufig nicht der Technik und ihrer mangelnden Nutzer:innenorientierung, sondern vielmehr sich selbst und der eigenen mangelnden Kompetenz zu, was zu Gefühlen der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins gegenüber Technik führen kann (Heinze 2018). Die Angst vor Überforderung verhindert in der Folge häufig eine Annäherung an TAS oder die Nutzung ihrer Potenziale (Pelizäus-Hoffmeister 2013). Entgegen der vielerorts postulierten Potenziale sowie ihrer politischen und medialen Forcierung sind moderne Assistenztechnologien deshalb bisher auch eher selten in der Versorgungslandschaft vorzufinden.
Eine Strategie, um das Potenzial technischer Assistenz in Pflege und Gesundheit nutzbar zu machen, stellt die Vermittlung zwischen der Technik und der Lebenswelt ihrer potenziellen Nutzer:innen dar. Patient:innen- und Familienedukation (PFE) kann als Schlüssel innerhalb dieses Vermittlungsprozesses betrachtet werden: Durch diese können Adressat:innen z. B. evidenzbasierte und verständliche Informationen erhalten, auf deren Grundlage sie durch einen begleiteten Prozess eine informierte Entscheidung treffen können (Köpke 2012). Patient:innen- und Familienedukation stellt ein pflegewissenschaftliches Konzept dar und gilt als Oberbegriff für verschiedene Interventionen, die der Verbesserung oder der Bewältigung des individuellen Gesundheitszustandes dienen, indem systemisch-familiäre Kontexte einbezogen werden (Zegelin et al. 2018). Durch die verschiedenen Methoden und die unterschiedlichen Interventionslogiken der Edukation, d. h. durch Information, Beratung, Schulung und Moderation (Zegelin et al. 2018), kann in den für sie jeweils geeigneten Phasen der Edukation ein subjektorientierter Vermittlungsprozess zwischen Mensch und Technik gestaltet werden: angefangen von der Problemkonkretisierung und dessen systemisch-familiärer Klärung über die Identifizierung und Prüfung möglicher technischer Lösungen bis hin zur Unterstützung bei der Implementierung von TAS sowie der Vermittlung der dafür benötigten Kompetenzen. Das Selbstverständnis der PFE geht dabei weit über die Vermittlung von Anwendungskompetenzen zur Bedienung technischer Artefakte und Systeme hinaus und befähigt auch dazu, „[…] technische Geräte und ihre Funktionen zu verstehen, zu gestalten und deren Nutzung im Kontext des eigenen Lebenszusammenhangs selbstbestimmt und reflektiert einsetzen zu können“ (Weidekamp-Maicher et al. 2021, S. 5). Mit diesem Verständnis verbunden ist eine Abkehr von gesellschaftlichen Nutzungsimperativen, in denen technische Assistenzen als unabdingbare Lösungsstrategien für die gegenwärtigen ökonomischen und gesundheitspolitischen Problemstellungen betrachtet (Hergesell 2017) oder gar als individuelle Garanten guten Alterns (Hergesell et al. 2021) stilisiert werden. Auch Methoden einer Nutzerakzeptanzsteigerung (Theussig 2015), wie sie in der Technikentwicklungs- und Technikakzeptanzforschung teilweise zum Gegenstand werden, werden damit zurückgewiesen: Denn die Befähigung zur selbstbestimmten und reflektierten Entscheidung über den Einsatz von TAS kann im Rahmen der PFE ebenso den selbstbestimmten und reflektierten Verzicht auf technische Assistenz bedeuten. Theoretische Bezugspunkte der Edukation sind deshalb eine auf Empowerment und Ressourcenorientierung zielende Grundhaltung, um die Selbstwirksamkeit und Gesundheitskompetenz ihrer Adressat:innen zu stärken (Schieron und Segmüller 2020). Im Kontext von TAS soll sie dazu beitragen, dass von Pflegebedürftigkeit betroffene oder bedrohte Personen sowie ihre An- und Zugehörigen begründete und selbstbestimmte Entscheidungen darüber treffen können, ob und welche Assistenzsysteme sich für eine Integration in ihren individuellen Alltag und ihren Wohnraum eignen, und wie sie diese bedienen sowie nutzen können, damit sie tatsächlich zum Ziel einer selbstbestimmtem Lebensführung im Alter beitragen können.
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Insbesondere beruflich Pflegende könnten aufgrund ihrer professionellen Nähe zu Menschen mit Pflegebedürftigkeit eine Vermittlerrolle zwischen Mensch und Technik einnehmen (Hielscher et al. 2015). Dies setzt allerdings voraus, dass sie Eignung und Anwendung von TAS kritisch reflektieren und selbst mit ihnen umgehen können. Gleichwohl muss konstatiert werden, dass Pflegenden bislang die notwendigen Kompetenzen für die Integration von neuen Technologien und Medien in den Versorgungsprozess und für entsprechende Informations‑, Schulungs- und Beratungsinterventionen noch weitestgehend fehlen (u. a. Fuchs-Frohnhofen et al. 2018; Roland Berger GmbH et al. 2017). Das Pflegeberufegesetz, die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung sowie die Rahmenlehr- und Ausbildungspläne der Fachkommission fordern nun erstmalig Kompetenzen zur Integration von TAS in pflegerisches Handeln sowie deren Reflexion (Gockel et al. 2020). Wie die geforderten Kompetenzen jedoch in den entsprechenden Curricula Berücksichtigung finden, bzw. inwiefern diese den tatsächlichen Anforderungen einer sich technisch immer schneller verändernden Berufswirklichkeit entsprechen, bleibt zunächst unklar.
Um berufsrelevante Kompetenzen systematisch anzubahnen, fordert die berufswissenschaftliche Qualifikationsforschung empirische Untersuchungen der beruflichen Realität und der mit ihr verbundenen Anforderungen (Becker und Spöttl 2006). Diese bilden die Grundlage für situationsorientierte Curricula, die in ihrem Aufbau an der Handlungslogik des Berufs und nicht mehr an tradierten Fächersystematiken anknüpfen (Clement 2003). Curricula sind demzufolge nicht nur den Qualifikationen verpflichtet, die sie ausweisen, sondern auch den beruflichen Situationen, zu deren Bewältigung sie befähigen wollen (Knigge-Demal 2001). Dieser Ansatz einer empirisch begründeten Curriculumentwicklung hat sowohl Eingang in die allgemeine Berufspädagogik (KMK 2007) als auch in verschiedene Fachdidaktiken der Pflege gefunden (z. B. Darmann-Finck 2010; Walter 2015). Um zukünftige Pflegende für die Anforderungen ihrer beruflichen Realität im Umgang mit und der Edukation zu TAS gezielt zu qualifizieren, wird ein empirischer, pflegedidaktisch fundierter Ansatz zur Konstruktion eines curricularen Bausteins bzw. Moduls gewählt.
Einen solchen Ansatz bietet die Interaktionistische Pflegedidaktik (Darmann-Finck 2010) mit dem aus der Allgemeindidaktik Klafkis stammenden Konzept der Schlüsselprobleme. Unter einem beruflichen Schlüsselproblem versteht Darmann (2005, S. 329) „[…] typische und zentrale Probleme des Berufsfeldes, anhand derer sich allgemeine Strukturen, Widersprüche, Gesetzmäßigkeiten und Zusammenhänge des Berufs aufzeigen und aneignen lassen und die multiple Sichtweisen und Handlungsoptionen ermöglichen“. Berufliche Schlüsselprobleme entstammen dabei authentischen und komplexen Konflikt- bzw. Dilemmasituationen der Berufspraxis, deren Durchdringung durch ihre Exemplarität und Mehrdimensionalität nicht nur berufliche Handlungskompetenzen ausbilden, sondern auch emanzipatorische Bildungsziele adressieren kann (Darmann-Finck 2010).
Zielsetzung und Fragestellung
Die Schlüsselprobleme sollen der Entwicklung eines Bildungsangebots DaheimLeben4.0 dienen, welches im Rahmen der generalistischen Pflegeausbildung und des primärqualifizierenden Pflegestudiums angeboten werden soll. Dabei wird ein modular aufgebauter curricularer Baustein entwickelt, der die berufsrechtlich definierten Kompetenzerfordernisse um empirisch identifizierte Handlungssituationen und Bildungsinhalte ergänzt. Die Ergebnisse sollen darüber hinaus nicht nur für grundständige Bildungsgänge, sondern auch für die Entwicklung weiterer Bildungsangebote der Fort- und Weiterbildung in den entsprechenden Handlungsfeldern genutzt werden können. Um das strukturell und qualifikatorisch heterogene Berufsfeld, in dem PFE zu TAS geleistet wird, einzugrenzen, wurden die Sozial- und Gesundheitsberufe ausgewählt, deren Professionshandeln durch seine strukturlogischen Ähnlichkeiten (u. a. Oevermann 1996) zum Pflegeberuf das größte Potenzial für pflegeberufliche Schlüsselprobleme aufweist. Die PFE bietet dabei ein besonderes Potenzial als Zugangsweg zu Technik in Pflege und Gesundheit: Die verschiedenen Interventionen der Edukation, also Information, Beratung, Schulung und Moderation, bilden gleichzeitig auch verschiedene Aneignungs- und Handlungsmodi der Akteur:innen in der Auseinandersetzung mit TAS ab, d. h. sowohl sprachlich-kommunikative, z. B. im Sprechen über Technik im Rahmen einer Beratung, als auch handlungspraktische, z. B. im Umgang mit Technik im Rahmen einer Schulung. Dadurch soll ermöglicht werden, dass die Ergebnisse über das Forschungsfeld hinaus potenzielle Aussagekraft für empirisch fundierte Positions- und Verhältnisbestimmungen von Technik und pflegerischem bzw. gesundheitsberuflichem Handeln entwickeln können. Um diese Ziele zu erreichen, lautete die Forschungsfrage: „Welche Schlüsselprobleme bestehen für Akteur:innen der Sozial- und Gesundheitsberufe in der Patient:innen- und Familienedukation zu technischen Assistenzsystemen?“
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Methodik
Studiendesign
Der Untersuchungsgegenstand der Studie, PFE in Sozial- und Gesundheitsberufen, kann als soziales, sinnhaftes, durch wechselseitige Interpretationsleistungen konstituiertes Handeln beschrieben werden (Lamnek und Krell 2016). Der verstehende Zugang zu diesem Handeln weist auf die Notwendigkeit eines qualitativ-interpretativen Forschungsansatzes hin. Die Grounded-Theory-Methodologien (GTM) bieten einen geeigneten Rahmen, um Probleme und Irritationen in sozialen Situationen zum Ausgangspunkt von Forschung zu machen (Equit und Hohage 2016). Innerhalb der GTM-Familie soll der Methodologie von Strauss und Corbin (1996) gefolgt werden. Diese bietet ein differenziertes und erkenntnistheoretisch sorgfältig ausgearbeitetes Verfahren (Strübing 2014), das durch seine konsequente Orientierung am Symbolischen Interaktionismus und Pragmatismus eine hohe metatheoretische Kompatibilität mit den Annahmen über den Forschungsgegenstand aufweist (Equit und Hohage 2016).
Sample und Setting
Die Planung des Samples geschah in Anlehnung an die Methode des Theoretischen Samplings der GTM (Mey und Mruck 2011), bei der die Stichprobe nicht ex ante, sondern sukzessive während der Erhebung der Daten gebildet und weiterentwickelt wird. Durch eine fallkontrastierende Auswahl sollte eine maximale strukturelle Variation der relevanten Merkmale erreicht werden, die zur Theoretischen Sättigung führt (Kruse 2015). Im Prozess der Datenerhebung kam insbesondere die für die GTM typische Heuristik des ständigen Vergleiches (Equit und Hohage 2016) zur Anwendung: Durch die Suche nach kontrastierenden Fällen, z. B. Teilnehmenden aus weiteren Professionen oder anderen Settings, sollte der Blick für die Eigenschaften und Dimensionen des untersuchten Phänomens geschärft werden. Das induktive theoretische Sampling wurde um eine deduktive Strategie zur Stichprobenbildung erweitert: Um einen methodisch gesicherten Feldzugang zu ermöglichen und nicht nur praktisch, sondern auch theoretisch relevante Merkmale des Forschungsfeldes differenzieren zu können, wurde bei der Planung der Studie eine berufswissenschaftliche Sektoranalyse (Becker und Spöttl 2015) durchgeführt. Die Sektoranalyse stellt ein multimethodisches Instrument der Berufswissenschaft, mit dem die für das Untersuchungsfeld relevanten Akteur:innen sowie deren Beschäftigungs- und Qualifikationsstrukturen offengelegt werden können (ebda.), dar. Mithilfe einer spezifischen Literaturrecherche konnte das Forschungsfeld dadurch prinzipiell auf das Handlungsfeld der Technikberatung, einem sich entwickelnden und professionalisierenden Feld der Fachberatung mit Schnittmengen zur Pflege- und Wohnberatung, zugeschnitten werden (Weidekamp-Maicher et al. 2021). Da sich das Forschungsinteresse auf den Umgang mit TAS, die bei der Aufrechterhaltung eines selbstbestimmten Lebens in der eigenen Häuslichkeit unterstützen, stützt, konnten insbesondere die ambulante Versorgung sowie Settings im Übergang dorthin, wie z. B. die Rehabilitation, fokussiert werden. Bei der durchgeführten Sektoranalyse zeigte sich, dass Personen mit technisch-handwerklichen, kaufmännischen sowie sozial- und gesundheitsberuflichen Ausbildungshintergründen im Handlungsfeld der Technikberatung tätig sind (Buhr 2009). Da professionelles sozial- und gesundheitsberufliches Handeln von spezifischen strukturgesetzlichen Widersprüchen und Dilemmata, die ein besonderes Potenzial für die Generierung von Schlüsselproblemen bieten (Darmann-Finck 2010), geprägt ist und das zu entwickelnde Bildungsangebot sich auch ausschließlich an Auszubildende und Studierende der Sozial- und Gesundheitsberufe richten sollte, wurde die zu bildende Stichprobe auf diese Berufsgruppen begrenzt. Eingeschlossen wurden daher Angehörige aller Sozial- und Gesundheitsberufe, d. h. z. B. Pflegefachpersonen, Sozialpädagog:innen bzw. Sozialarbeiter:innen, Ergotherapeut:innen, Physiotherapeut:innen, Sprachtherapeut:innen bzw. Logopäd:innen etc. Die Untersuchungspersonen sollten über mindestens ein Jahr Berufserfahrung im Handlungsfeld der Technikberatung verfügen.
Erhebungsmethoden
Zur Erhebung der Daten wurde eine methodeninterne Triangulation (Flick 2007) zweier Verfahren angestrebt. Die Critical Incident Technique (CIT) stellt eine Anforderungsanalyse, die herausfordernde Situationen sowie Verhaltensweisen der agierenden Personen erhebt, dar, um dadurch Kennzeichen von Expertise im untersuchten Handlungsfeld zu eruieren (Reuschenbach 2008). Als Incident definiert Flanagan (1954, S. 327)„[…] any observable human activity that is sufficiently complete in itself to permit inferences and predictions to be made about the person performing the act“, wobei ein Incident als critical gilt, wenn „[…] the purpose or intent of the act seems fairly clear to the observer and where its consequences are sufficiently definite to leave little doubt concerning its effects“ (ebda., S. 327). Im Gegensatz zu Flanagans Konzeption von Critical Incidents folgen wir im Rahmen dieser Erhebung Erkenntnissen der Pflegeforschung in der Anwendung der CIT, die sich für eine Erweiterung des engen Critical-Incident-Begriffs um sog. Revelatory Incidents aussprechen (Norman et al. 1992): So sollen auch solche Handlungssituationen eingeschlossen werden, die sich entweder durch ihre subjektive Relevanz für die Handelnden auszeichnen oder auch unscharf abgrenzbare Situationen, die sich aus der subjektiven Rekonstruktion und Verschmelzung verschiedener Situationen ergeben. Kiel (2018) betont die Fruchtbarkeit der CIT als Methode für die empirische Fundierung von Schlüsselproblemen. Da die CIT eine flexible Analysetechnik, die prinzipiell mithilfe verschiedener Erhebungsmethoden durchgeführt werden kann und dem Untersuchungsgegenstand angepasst werden muss, ist, wurde diese mit dem problemzentrierten Interview (PZI; Witzel 1985) kombiniert.
PZI eignen sich besonders für die Rekonstruktion von Handlung- und Bewältigungsstrategien vor dem Hintergrund gesellschaftlich relevanter oder subjektiv bedeutsamer Problemstellungen (Kruse 2015). Die Interviews wurden anhand eines teilstandardisierten Interviewleitfadens durchgeführt, welcher die Ansätze des PZI und der CIT verschränkt (Tab. 1). Zusätzlich zum Interviewleitfaden wurden ein Kurzfragebogen zur Erhebung soziodemografischer Informationen sowie ein Postskriptum zur Verschriftlichung relevanter Beobachtungen verwendet (Witzel 2000).
Tab. 1
Auszug aus dem Interviewleitfaden (Anwendung der CIT in den Kategorien III + IV)
1. Allgemeine Sondierung
2. Spezifische Sondierung
3. Konkrete Fragen
Leitfrage (Erzählaufforderung)
Check – Wurde das erwähnt?
Nur bei Nichtansprache, Formulierung anpassen
Konkrete Fragen
An passender Stelle stellen
Aufrechterhaltungs‑/Steuerungsfragen
III
Können Sie mir eine besonders eindrückliche Situation schildern, in der Ihnen eine Beratungssituation zu technischen Assistenzsystemen besonders gelungen ist?
Konkrete, detaillierte, realitätsnahe Schilderung
Was ging der Situation voraus bzw. trug zu ihr bei?
Wie verhielt(en) sich der/die Beratene?
Was war das Ergebnis der Beratung?
Was machte die Beratung aus Ihrer Sicht besonders gelungen?
Was hätte die Beratung noch effektiver machen können?
Was war das Besondere an dieser Situation im Vergleich zu anderen?
Gibt es eine Beratungssituation, die ihnen besonders positiv in Erinnerung geblieben ist? Entweder weil Sie dem/den Beratenen in besonderer Weise helfen konnten oder weil Sie darin Ihre Kompetenzen zeigen konnten?
Berichten Sie die Situation gerne genau so, wie Sie ihnen im Gedächtnis ist – mit allen Details und Einzelheiten, die Ihnen dazu einfallen
IV
Können Sie mir nun auch eine besonders eindrückliche Situation schildern, in der Ihnen eine Beratungssituation zu technischen Assistenzsystemen eher misslungen ist bzw. die sie negativ in Erinnerung haben?
Konkrete, detaillierte, realitätsnahe Schilderung
Was ging der Situation voraus bzw. trug zu ihr bei?
Wie verhielt(en) sich der/die Beratene?
Was war das Ergebnis der Beratung?
Was machte die Beratung besonders misslungen?
Was war das Besondere an dieser Situation im Vergleich zu anderen?
Gibt es eine Beratungssituation, die ihnen besonders negativ in Erinnerung geblieben ist? Entweder weil Sie dem/den Beratenen nicht helfen konnten oder weil Ihnen notwendige Kompetenzen hierfür fehlten?
Berichten Sie die Situation gerne genau so, wie Sie ihnen im Gedächtnis ist – mit allen Details und Einzelheiten, die Ihnen dazu einfallen
Datenanalyse
Die Datenauswertung in der GTM nach Strauss und Corbin (1996) gliedert sich in drei Schritte: das offene, das axiale und das selektive Kodieren. Die Auswertung der Daten erfolgte parallel zur Erhebung der Daten und mithilfe von Softwareunterstützung durch MaxQDA (VERBI Software GmbH, Berlin, Deutschland)
In der Phase des offenen Kodierens wurden nah am Datenmaterial orientierte Kodes explorativ gebildet. Das Entdecken von konzeptuellen Zusammenhängen ist dabei abhängig von der Theoretischen Sensibilität der Forschenden, welche durch induktive Strategien, wie z. B. In-vivo-Kodes oder das konsequente Schreiben von Memos (Böhm 1994), erreicht werden sollte. Als deduktive Strategie wurde der theoretische Rahmen der Studie nicht vor der Datenerhebung skizziert und finalisiert, sondern – im Sinne der iterativ-zyklischen Erkenntnistheorie der GTM – während der Erhebung durch eine begleitende Literaturrecherche zu den sich entwickelnden Konzepten und Kategorien entfaltet und schrittweise mit den Daten in Beziehung gesetzt. Aus diesem Grund wird auch in der vorliegenden Berichterstattung die Darstellung der Ergebnisse mit der Darstellung des theoretischen Rahmens verschränkt.
In der Phase des axialen Kodierens wurden die Kategorien und Subkategorien in Beziehung zueinander gesetzt und deren Zusammenhang vor dem Hintergrund der Daten getestet. Dieser Schritt erfolgte mithilfe des Kodierparadigmas nach Strauss und Corbin (1996), das die im Zentrum stehenden Phänomene – in der vorliegenden Studie die Schlüsselprobleme der PFE zu TAS – von ihren ursächlichen Bedingungen und intervenierenden Kontextbedingungen sowie Konsequenzen und Handlungsstrategien der Akteur:innen im Umgang mit den Schlüsselproblemen differenziert.
Beim selektiven Kodieren wurden die Kategorien durch eine zentrale Kernkategorie miteinander verbunden (Strauss und Corbin 1996). Diese repräsentiert im Ergebnis das Schlüsselphänomen der PFE zu TAS, welches unterschiedliche Schlüsselprobleme, mit denen Gesundheits- und Sozialberufe konfrontiert sind, zusammenfasst.
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Forschungsethische und datenschutzrechtliche Aspekte
Zur Feststellung der forschungsethischen und datenschutzrechtlichen Unbedenklichkeit des Vorhabens wurde ein Antrag auf Stellungnahme bei der Gemeinsamen Ethikkommission der Hochschulen in Bayern (GEHBa) gestellt. Der Studie wurde am 03.08.2021 ein positives Votum ausgesprochen. In Vorbereitung auf das Forschungsvorhaben wurde ein Studienprotokoll erstellt und in Form eines Pre-Print auf ResearchGate und OSF veröffentlicht. Das Studienprotokoll orientierte sich an den „Consolidated Criteria for Reporting Qualitative Research“ (Tong et al. 2007) sowie an den „Standard Protocol Items: Recommendations for Interventional Trials“ (Chan et al. 2013) zur Berichterstattung klinischer Studienprotokolle.
Ergebnisse
Es wurden insgesamt 17 Interviews geführt, wobei 2 Interviewpartner:innen nicht aus den Sozial- oder Gesundheitsberufen kamen und damit nur 15 Interviews in die Datenauswertung integriert wurden. Interviews wurden aufgrund der durch die Coronapandemie bedingten Erschwernisse und aufgrund der beruflichen Eingebundenheit der Teilnehmenden sowohl „face to face“ als auch telefonisch oder über das Videokonferenztool Zoom durchgeführt. Sie variierten in der Länge zwischen 30 und 50 min. Die Audioaufnahmen wurden mithilfe des Transkriptionssystems nach Kuckartz (2018) in eine schriftliche Form gebracht und die Transkripte parallel zur Phase des offenen Kodierens bereinigt. Die relevanten soziodemografischen Informationen der Teilnehmenden werden in Tab. 2 dargestellt.
Tab. 2
Relevante soziodemografische Informationen der Teilnehmenden
ID
Alter
Geschlecht
Profession
(Beratungs‑)Setting
P001
26 Jahre
m
Gesundheits- und Krankenpfleger (B.Sc.)
Ambulanter Pflegedienst
P002
22 Jahre
w
Gesundheits- und Krankenpflegerin
Akutkrankenhaus
P003
48 Jahre
w
Medizinische Fachangestellte
Ambulanter Pflegedienst
P004
45 Jahre
w
Gesundheits- und Krankenpflegerin
Pflegeberatung
P005
39 Jahre
m
Diplom-Sozialpädagoge
Teilhabeberatung
P006
43 Jahre
w
Diplom-Sozialpädagogin
Akutkrankenhaus
P007
57 Jahre
w
Physiotherapeutin
Physiotherapeutische Praxis
P008
54 Jahre
w
Gesundheits- und Krankenpflegerin
Ambulanter Pflegedienst
P009
51 Jahre
w
Diplom-Sozialpädagogin
Ambulanter Pflegedienst
P010
57 Jahre
w
Ergotherapeutin
Ergotherapeutische Praxis + eigene Produktentwicklung
P011
42 Jahre
w
Diplom-Sozialpädagogin
Pflegeberatung
P012
23 Jahre
w
Ergotherapeutin
Praxis für Unterstützte Kommunikation
P013
31 Jahre
w
Klinische Linguistin (M.Sc.)
Praxis für Unterstützte Kommunikation
P014
32 Jahre
w
Ergotherapeutin
Pflegestützpunkt
P015
46 Jahre
w
Ergotherapeutin
Rehabilitationsklinik
Aus Platzgründen und zugunsten des auf die Schlüsselprobleme der PFE zu TAS fokussierten Forschungsinteresses werden nachfolgend nur das Schlüsselphänomen bzw. die entwickelte Kernkategorie und die darin enthaltenen Schlüsselprobleme der PFE zu TAS beschrieben.
Als Schlüsselphänomen im Sinne der GTM bzw. als zentrale Herausforderung der PFE zu TAS in den Sozial- und Gesundheitsberufen konnte die Gratwanderung in der Vereinbarung potenziell konfligierender Prinzipien rekonstruiert werden. Das Phänomen beschreibt einen Zielkonflikt im Umgang mit den Schlüsselproblemen, der sich für die Akteur:innen als ein den gesamten Prozess der PFE begleitenden, beständigen Balanceakt zwischen verschiedenen Ansprüchen, Perspektiven oder Werten darstellt. Die Figur der Gratwanderung stellt dabei einen häufig verwendeten In-vivo-Kode dar, der z. B. beschrieben wurde als „[…] ein sehr vorsichtiges Überlegen und Spielen: Was macht Sinn, und wie geht der Einzelne auch damit um? […] Also das ist wirklich eine Gratwanderung“ (P009, Abs. 5). Innerhalb des zentralen Phänomens der Gratwanderung konnten dabei 4 unterschiedliche Schlüsselprobleme identifiziert werden, die die auszubalancierenden Prinzipien und Perspektiven explizieren (Abb. 1). Die Gratwanderung zwischen Benefizienz und Nonmalefizienz bzw. eine permanente heuristische Technikfolgenabschätzung stellt die zentrale Leistung der Befragten bei der PFE zu TAS dar. Die Gratwanderungen zwischen Kontextualisierung und Vereindeutigung, Bedürfnisorientierung und Marktwirtschaft sowie zwischen „Technik als Chance“ und „Technik als Bedrohung“ sind Teilelemente der zentralen Gratwanderung bzw. schaffen hierfür die Voraussetzungen, weshalb sie nachfolgend zuerst beschrieben werden.
Abb. 1
Theorie der Gratwanderung in der Vereinbarung potenziell konfligierender Prinzipien
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Kontextualisierung vs. Vereindeutigung
Der Konflikt zwischen Kontextualisierung und Vereindeutigung stellt ein Schlüsselproblem, das die Rolle von Technik vor dem Hintergrund des alltagspraktischen Handelns der Betroffenen und der professionellen Akteur:innen beschreibt, dar. Zwischen TAS und ihren Funktionsprinzipien einerseits und der professionellen Orientierung an den komplexen Lebenswelten und Praktiken ihrer Nutzer:innen andererseits besteht eine paradoxale Differenz. Technik basiert dabei auf den Logiken der Standardisierung und Formalisierung: „Technizität heißt: präzise Reproduzierbarkeit identischer Ergebnisse durch optimale Regelhaftigkeit technischer Verfahren. Dieses Ideal kann aber nur erfüllt werden unter der Voraussetzung möglichst großer Kontextunabhängigkeit. Programmgemäßes Funktionieren setzt insofern voraus, dass von situativen Besonderheiten abstrahiert wird“ (Remmers 2019, S. 411). Praktisch gesprochen darf es damit für die Funktionsweise eines TAS wie z. B. eines Sturzsensorsystems keinen Unterschied machen, wer wie wo stürzt. Dieses Prinzip der Standardisierung durch Technik gerät jedoch in einen Konflikt mit der Heterogenität menschlicher Lebenswelten und einem damit verbundenen, stets individuellen Modus der Lebensführung. Die Lebensführung stellt eine soziomateriale Praxis dar; diese ist abhängig von den physischen und psychischen Voraussetzungen des Betroffenen und den materialen Gegebenheiten des Wohnumfeldes sowie von stabilen, relativ veränderungsresistenten und eigensinnigen Routinen und Gewohnheiten geprägt (Birken et al. 2017). In dieser Perspektive zeigt sich, dass beispielsweise Stürze zwar vielgestaltige, komplexe und sich individuell sehr unterschiedlich äußernde Ereignisse sind, ihre Detektion mittels Sensortechnologie ist aber das Ergebnis einer algorithmischen Stabilisierung (Endter 2017), die prinzipiell nur binäre Zustände kennt: 1 oder 0, An oder Aus, Sturz oder kein Sturz. Die Entwicklung und das Funktionieren von immer komplexerer und autonomer funktionierenden Arten von Technik – von zuerst leibnahen Werkzeugen über Maschinen bis hin zu selbststeuernder digitaler Technik – macht also auch eine zunehmende Vereindeutigung notwendig, in der aus einem Kontinuum an lebensweltlichen Möglichkeiten wenige diskrete und damit kalkulierbare materielle Zustände abgeleitet werden, die ein technisches Funktionieren ermöglichen (Lindemann 2016). Die Herausforderung der Akteur:innen besteht deswegen darin, TAS in Beziehung zu setzen mit den sozialen Praktiken und Voraussetzungen ihrer Nutzer:innen und diese zu kontextualisieren, obwohl technischen Artefakten durch ihre Tendenz zur Vereindeutigung aber eine gewisse Widerständigkeit gegenüber ihrer Kontextualisierung innewohnt. Dabei ermöglicht die praktische Kontextualisierung eines technischen Artefaktes jedoch nicht nur seinen Gebrauch oder seine Nutzung, sondern gleichzeitig verändert und präfiguriert jedes technische Artefakt auch die sozialen Praktiken seiner Nutzer:innen (Schatzki 2016).
Hierin liegt für die Befragten „[…] wirklich eine Gratwanderung: Wie viel greift man in das Leben von dem anderen ein?“ (P008, Abs. 5). Denn einerseits bedarf jede Art von Assistenztechnik zunächst einmal der Kontextualisierung: „Also, Technik ist eben noch nicht selbsterklärend und selbst wieder regulierend, sondern man braucht halt immer noch jemanden, der das Ding dann eben so wieder einstellt, dass es genau das tut, was es tun soll“ (P009, Abs. 79). Andererseits kontextualisieren und verändern jedoch nicht nur die Akteur:innen die Technik, auch die Technik wiederum verändert die Betroffenen und formt ihre Praktiken der Lebensführung: „Also, das ist wirklich ein sehr vorsichtiges Überlegen und Spielen, was macht Sinn, und wie geht der Einzelne auch damit um, ja. Also, ich habe jetzt ein Beispiel: Wir haben einen Herdwächter bei jemandem eingebaut, weil der einfach immer wieder vom Essenkochen weggegangen ist. […] Wo er sich immer dagegen gewehrt hat, immer wieder gesagt hat, er wird entmündigt. Das war für ihn ganz, ganz schlimm. […] Aber seitdem der eingebaut ist und seitdem sie [die Ehefrau; Anm. d. A.] das einmal erlebt hat, dass sie weggegangen ist und der [Herdwächter; Anm. d. A.] ausgeschalten [hat] und wie schwierig das dann für ihn [den Ehemann; Anm. d. A.] war, das wieder alles also einzuschalten und wieder so, dass es funktioniert … erst da hat sie dann verstanden, was das eigentlich auslöst und seitdem geht sie nicht mehr weg vom Kochen“ (P008, Abs. 5). Die Angst, durch technische Vereindeutigung in den eigenen Gewohnheiten der Lebensführung beeinträchtigt zu werden, kommt auch in folgendem Bericht zum Ausdruck, der die ablehnende Haltung eines Betroffenen schildert: „Weil er eben gemeint hat, mit der Technik, da wird er dann ausspioniert. Und man nimmt ihm dann quasi so diese ‚Lebensroutine‘ weg. Und man möchte ihn damit beeinflussen“ (P002, Abs. 63). Von zentraler Bedeutung ist die Leistung der Kontextualisierung nicht nur beim Gebrauch mechanischer Werkzeuge, sondern auch in der Implementierung von autonom funktionierender, digitaler Technik. Die technische Vereindeutigung zeigt sich beispielsweise bei der Anwendung eines Sturzsensors mit Notrufsignal, bei dem „[…] das Gerät nicht den Unterschied zwischen einer großen Tasche, die abgestellt wird, und einem Menschen, der auf dem Boden liegt, [kennt]. Die können natürlich dann von Hand aktiviert/deaktiviert werden. Aber auch das ist wieder nicht ganz optimal, würde ich sagen, wenn jemand einfach vergisst, den wieder zu aktivieren, dann ist das System auch im Notfall wieder wenig sinnvoll oder nutzt halt einfach nichts“ (P001, Abs. 13). Die für einen individuell sinnvollen Einsatz notwendige Leistung der Kontextualisierung wird jedoch – insbesondere durch die zunehmende Automatisierung technischer Systeme und den Nimbus ihrer künstlichen Intelligenz bzw. Smartness – von den Herstellern oder Administratoren nicht immer als notwendig erkannt. Diesen Umstand verdeutlicht folgender Bericht, der die Implementierung eines komplexen Ambient-Assisted-Living-Systems mit Kontakt‑, Bewegungs- und Sturzsensorik in einen Wohnungskomplex, bestehend aus 30 Wohnungen, schildert: „Das Problem war nur, dass einfach keinerlei Dienstleister im Hintergrund waren, die die Justierung des Geräts vorgenommen hätten. Sprich, […] die Menschen sind eingezogen, haben vielleicht einmal kurz eine Einweisung bekommen, wie sie ihr Bewegungsprofil einstellen, wann sie aufstehen, wann sie ins Bett gehen, und was sie eben tun müssen, damit der Alarm nicht losgeht. Aber es gab halt wirklich von den, ich glaube, 30 Wohnungen haben es wirklich 29 Wohnungen deaktiviert, das System. Weil sie einfach gesagt haben: ‚Oh, so oft, wie das falsch hier rumpiept … Ich will das jetzt [nicht], ich brauche das nicht, ich mag es nicht‘“ (P009, Abs. 77). Um diesen Aspekt der PFE leisten und Technik kontextualisieren zu können, bedarf es für die Akteur:innen der Einsicht in grundlegende technische Funktionsprinzipien, wie z. B. deren Informations- und Datenverarbeitung, sowie Kompetenzen in deren Nutzung und Gestaltung.
Bedürfnisorientierung vs. Marktwirtschaft
Der Konflikt zwischen Bedürfnisorientierung und Marktwirtschaft stellt ein Schlüsselproblem, das die Rolle des professionellen Fürsorgeethos der Befragten vor dem Hintergrund der soziomaterialen Rahmenbedingungen der Betroffenen sowie der technologisch orientierten Entwicklung und marktwirtschaftlich organisierten Distribution von Assistenztechnologien beschreibt, dar. So sind TAS, die älteren Menschen ein Leben im eigenen Zuhause ermöglichen sollen, in ein komplexes System aus technologischen, innovations- und sozialpolitischen sowie gesundheitswirtschaftlichen Diskursen eingebettet. Durch die Transformation des Wohlfahrtstaates in einen sozialinvestiven Staat (Allmendinger und Nikolai 2010), die u. a. eine Ausprägung im gesundheitspolitischen Grundsatz ambulant vor stationär fand, wurden insbesondere ältere Menschen von Objekten wohlfahrtstaatlicher Fürsorge zu wirtschaftlich bedeutsamen Akteur:innen. Mit dieser neuen Stellung verbunden wird gleichzeitig die Verantwortung der Subjekte, eine möglichst lange Versorgung zu Hause und damit auch eine möglichst späte Inanspruchnahme staatlicher Leistungen sicherzustellen. Die daraus resultierende Abkehr vom defizitären Altersbild hin zu einem gesellschaftlichen Dispositiv des selbstständigen und aktiven Alterns bot die nötigen Voraussetzungen, um Assistenztechnologien als Garanten guten Alterns (Hergesell et al. 2021) zu etablieren. Als Folge dieser gesellschaftlichen Entwicklungen lässt sich ein auch politisch forcierter Technology Push (Weinberger und Decker 2015) in der Gesundheitswirtschaft beobachten, also eine v. a. technologieorientierte und herstellerseitig gesteuerte Entwicklung und Vermarktung von TAS, die die nachfrageseitigen Bedürfnisse potenzieller Kunden (Demand Pull) potenziell vernachlässigt. Dieser Imperativ an die Technikentwicklung führte nicht zuletzt in eine unüberblickbare Vielzahl von Produkten, die in extrem heterogenen Marktstrukturen und über unterschiedliche Geschäfts- und Finanzierungsmodelle vertrieben werden (Fachinger et al. 2022). Diese verschiedenen Mechanismen erschweren es den Akteur:innen im Feld, ihren professionellen Anspruch der Bedürfnisorientierung zu verwirklichen in einem oftmals undurchsichtigen und marktförmig organisierten Feld, das die Bedürfnisse der Betroffenen und ihre teils prekären soziomaterialen Rahmenbedingungen unzureichend adressiert.
Als ein zentrales Motiv dieser Kategorie konnte die Auseinandersetzung der Betroffenen und der Akteur:innen mit den Krankenkassen in Fragen der Finanzierung von Hilfsmitteln und TAS identifiziert werden, wofür häufig die Metapher des Kampfes verwendet wird: „[…] [G]erade für Senioren, wenn die jetzt auch keine Angehörigen haben, finde ich das immer sehr schwierig dann, dieser ‚Kampf‘ mit der Krankenkasse“ (P003, Abs. 73). Die Bewilligungsentscheidungen der Krankenkassen sind für die Akteur:innen häufig auch nicht nachvollziehbar: So besitzt der erfolgreiche Leistungsanspruch offenbar eine schicht- bzw. klassenspezifische Dimension, da „[…] Menschen, wo jetzt so Angehörige redegewandter sind und vielleicht auch eine höhere Bildung haben, […] die können sich besser durchsetzen“ (P010, Abs. 120). Teilweise wird aber auch Willkür vermutet, denn „[…] [ich] habe noch keinen so einen roten Faden gefunden, warum jetzt was abgelehnt wird und warum was genehmigt wird. […] Ich habe das Gefühl, die würfeln“ (P013, Abs. 7). Dabei erkennen auch die Akteur:innen hinter ihrer Tätigkeit das gesundheitspolitische Motiv einer forcierten Technisierung der häuslichen Versorgung, das aber dennoch von den Kassen und ihren Praktiken der Leistungsbewilligung nicht geteilt zu werden scheint: „Was mich jetzt tatsächlich ein bisschen wundert, ist das, dass die Politik das so möchte, dass das [die Anwendung von TAS; Anm. d. A.] rumgeht, weil wir das oft, zumindest von den Krankenkassen, nicht erfahren, dass die Technik an die Leute gebracht werden soll“ (P013, Abs. 3). Viele TAS sind bisher nicht im Hilfsmittelverzeichnis gelistet und müssen daher von den Betroffenen vollständig selbst finanziert werden. Hier ergeben sich für die Akteur:innen häufig Situationen, „[…] wo es dann am Finanziellen scheitert; wo Technik gewünscht wäre, aber die Leute sich die Technik nicht leisten können“ (P011, Abs. 78). Dabei erfahren die Beteiligten auch „[…] die Macht der Sanitätshäuser“ (P010, Abs. 118), die „[…] natürlich versuchen, ihre Ware loszuwerden“ (P006, Abs. 19). Auch eine um Unabhängigkeit bemühte PFE gerät dabei teilweise unter den Druck von Verkaufslogiken, insbesondere im Kontakt mit „[…] Firmen, die dann das sehr forcieren, die dann schon sagen: „Ja, jetzt bin ich extra gekommen, da ist der Vertrag, und jetzt unterschreiben Sie hier““ (P011, Abs. 52). Hierbei geraten die Akteur:innen teilweise zwischen die Fronten, indem sie zwar zum einen die Anwaltschaft für ihre Klient:innen und ihre Bedürfnisse übernehmen, andererseits aber von Hersteller- und Vertriebsseite unter Druck gesetzt werden, wie folgendes Beispiel aus der Beratung zu Medikamentenpumpen im akutstationären Bereich zeigt: „Aber sie [die Vertreter der Firma; Anm. d. A.] sagen dann halt, wir hätten halt mehr beraten müssen, mehr schulen müssen, mehr auf die emotionale Schiene miteinsteigen. Wo halt dann bei mir einfach irgendwann mal der Punkt kommt, wo ich sage: ‚Wenn der Patient das nicht will, dann will er nicht‘. […] Aber ich mag auch nicht unter Druck gesetzt werden von der Pumpenfirma eben. Weil die dann sagen: ‚Ja, aber die nächste Pumpe müssen wir dann unbedingt verkaufen!‘“ (P002, Abs. 71). Gerade bei Produkten, die nicht im Hilfsmittelverzeichnis der Krankenkassen aufgeführt sind, erleben die Befragten als „[…] die bestimmenden Faktoren oft nicht meine Beratung, sondern die wirtschaftlichen Ressourcen, die zur Verfügung stehen, um das Problem zu lösen. Also, da kann ich mit meinen Beratungen zwar schon zu wirtschaftlichen Ressourcen führen [durch die Nutzung von Fördermöglichkeiten; Anm. d. A.], aber nicht immer so gut, wie es erforderlich wäre oder ich das gerne würde“ (P014, Abs. 61). Als weitere Einschränkungen erleben die Befragten häufig auch die Wohnsituation der Betroffenen, z. B. weil die Integration von TAS „[…] oft in vielen Wohnungen einfach schon aufgrund von der Infrastruktur her gar nicht möglich [ist]“ (P006, Abs. 7), oder aber „[…] wenn man dann eben nicht das eigene Haus hat, sondern wenn es halt ein Mietshaus ist […] und halt das Interesse [der Vermietenden; Anm. d. A.] nicht da ist, da eben finanziell mitzuwirken beziehungsweise überhaupt, dass das halt eingebaut werden darf“ (P003, Abs. 67). Für die Entwicklung produktiver Strategien im Umgang mit diesen Dilemmata benötigen die Akteur:innen zum einen den Blick für die sozioökonomischen und materialen Rahmenbedingungen der Betroffenen in der PFE zu TAS, zum anderen ein Bewusstsein für die Auswirkungen des technologisch und ökonomisch dominierten Systems der Entwicklung und Distribution von TAS auf ihre Arbeitsprozesse und ihr professionelles Selbstverständnis.
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„Technik als Chance“ vs. „Technik als Bedrohung“
Der Konflikt zwischen den Vorstellungen von Technik als Chance einerseits und Technik als Bedrohung andererseits stellt ein Schlüsselproblem, das die Rolle menschlicher Technikdeutungen in der PFE zu TAS beschreibt, dar. Dieses wird v. a. in Situationen sichtbar, an denen verschiedene Personen aus unterschiedlichen Generationen mit unterschiedlichen Rollen und Interessen beteiligt sind. Die erfolgreiche Anwendung und Nutzung von Technik wird u. a. beeinflusst durch Schlüsseltechnologien, durch die Menschen im Laufe ihrer Technikbiografie in ihren Einstellungen, Haltungen und Kompetenzentwicklungen geprägt werden (Pelizäus-Hoffmeister 2013). Diese Schlüsseltechnologien und der Zugang zu ihnen sind u. a. abhängig von der Generationenzugehörigkeit, dem Bildungsstand, dem Geschlecht und den allgemeinen sozioökonomischen Verhältnissen. So verfügen z. B. ältere Menschen häufig über Technikkonzepte bzw. -verständnisse, die Jakobs et al. (2008) im Kontrast zur modernen Informations- und Kommunikationstechnik wie folgt charakterisieren: So weist Technik für ältere Erwachsene „[…] einen deutlich geringeren Anteil elektronischer Komponenten, einen hohen Anteil als „mechanisch funktionierend“ wahrgenommener Teile, mechanisch-haptische Bedienelemente, eine Funktion pro Bedienelement [und die] Möglichkeit des Eingriffs in das System (Reparatur)“ auf (Jakobs et al. 2008, S. 25; Anmerk. i. O.). Die Akzeptanz von Technik wird darüber hinaus von kulturell geprägten Sinnsetzungen beeinflusst. Diese werden von Rational-Choice-Modellen der Technikakzeptanz, die die Verwendung von Technik zumeist als Ergebnis eines simplen Aufwand-Nutzen-Schemas konzeptualisieren (Marangunić und Granić 2015), häufig vernachlässigt. In dieser Perspektive können TAS nicht nur als materiale Artefakte, sondern auch als Träger kultureller Symbole und individueller Bedeutungen betrachtet werden, innerhalb derer Technik sowohl als Chance, „[…] die alltäglichen Aufgaben besser, schneller, einfacher erledigen zu können“, aber auch als „[…] Bedrohung für eigene Kontrollmöglichkeiten“ erscheinen kann (Pelizäus-Hoffmeister 2018, S. 98–100).
Als eine zentrale Barriere in der Vermittlung von Mensch und Technik erleben die Befragten häufig die Betroffenen selbst. Insbesondere die Lebenswelt älterer Menschen und die mit ihnen verbundenen Schlüsseltechnologien werden als Gegenentwurf zu modernen TAS konzeptualisiert, denn: „[…] wenn der Röhrenfernseher noch drin steht und der Ofen noch mit Feuer beheizt wird, dann ist auch die Akzeptanz von einer Smartwatch eher so mittelprächtig“ (P001, Abs. 21). Die Akteur:innen vermuten dabei einen direkten Zusammenhang zwischen dem Alter der Betroffenen und ihrer Affinität in Bezug auf Technik: „[…] also, je jünger der Patient ist, desto offener ist er. Desto mehr Chancen gibt er auch einem technischen Assistenten. Nicht nur Sachen, die wo eventuellnützlich sein könnten“ (P002, Abs. 31). Während diese jüngeren Menschen, z. B. Kindern und Enkeln älterer Betroffener, tendenziell eine Offenheit gegenüber Technik attestieren, erleben sie bei älteren Erwachsenen eher „[…] eine Ablehnung generell für, in Anführungszeichen, diese moderne Technik“ (P001, Abs. 19). Auch über die Gründe für diese generelle Ablehnung stellen die Beratenden Vermutungen auf: Häufige Hypothesen reichen von der Unbekanntheit der Technik bzw. „[…] weil die das einfach nicht kennen […]“ (P003, Abs. 21) bis hin zu Angst und Misstrauen gegenüber TAS, bzw. weil diese „[…] sehr viel Angst vor der Technik [haben]. Die trauen denen [den TAS; Anm. d. A.] auch nicht“ (P002, Abs. 5). Auch die Schwierigkeit, Veränderungen zuzulassen, wird genannt: „[…] die älteren Menschen, also, sie leben in der Regel mit älteren Ehemännern oder -frauen zusammen. Die Kinder sind nicht mehr im Haus, sind weiter weg. Und die tun sich schon mit jeder Veränderung schwer“ (P006, Abs. 7). Neben den individuellen Haltungen und Einstellungen zur Technik werden auch die physische und psychische Konstitution der Betroffenen und deren An- und Zugehörigen als zentrale Faktoren für den Erfolg der PFE genannt. Insbesondere kognitive Leistungen werden hierfür hervorgehoben: „Natürlich kommt es irgendwo an die Grenzen, wenn ich einen Demenzerkrankten habe, da muss ich halt immer anschauen: Wie reagiert der auf die Technik, kann der mit der Technik umgehen? Und was passiert, wenn die Technik ihn an gewisse Sachen erinnert, verängstigt ihn das eher, und kann er das dann wieder nicht mehr steuern?. Da ist irgendwo so noch ein bisschen die Grenze gegeben für Menschen, die so im kognitiven Bereich, um das jetzt nicht an den Demenzerkrankten alleine zu reduzieren, eingeschränkt sind. Können die mit der Technik noch so umgehen, dass es wirklich eine Unterstützung ist, oder ist das dann eher eine Belastung?“ (P011, Abs. 16). Aber nicht nur die Technikdeutungen der Betroffenen, sondern auch die der Akteur:innen selbst beeinflussen die PFE: „Ich kann Technik nur dann als ‚Vorsprung‘ beraten und weitergeben, wenn ich es auch selber so wahrnehme. Und wenn ich zu große Angst vor dem Technikeinsatz habe, glaube ich, kann ich auch nicht objektiv und umfangreich beraten. Genauso, wie ich vermutlich nicht ganz objektiv beraten kann, wenn ich von Technik generell überall und immer begeistert bin. Also muss mir hier schon eine sehr differenzierte Meinung vorab aufbauen“ (P001, Abs. 61). Demzufolge bewegen sich nicht nur die Technikkonzepte der Betroffenen und ihrer An- und Zugehörigen auf einem Grat zwischen unkritischem Optimismus und genereller Ablehnung, sondern auch die der Befragten. Um eine reflektierte Balance zwischen diesen Polen finden zu können, müssen die Akteur:innen ein Verständnis für die sozialen und humanen Dimensionen von Technik und Kompetenzen in der Vermittlung zwischen verschiedenen Technikdeutungen in der PFE zu TAS entwickeln.
Benefizienz vs. Nonmalefizienz
Die Gratwanderung zwischen Benefizienz und Nonmalefizienz, also den Ansprüchen, nutzen zu wollen und gleichzeitig nicht schaden zu wollen, stellt das zentrale Schlüsselproblem, welches die bisherigen Schlüsselprobleme in einen Gesamtzusammenhang überführt, dar. Dieses folgt (technik-)soziologischen Erkenntnissen über die Wechselwirkungen zwischen Technik und dem sozialen Kontext ihrer Nutzung. So stellen TAS in der Perspektive des Technopragmatismus keine neutralen oder isolierten Werkzeuge dar, sondern diese gehen interaktive Beziehungen mit ihrer Umgebung und ihren Nutzer:innen ein (Rammert 2016). Technik darf daher nicht für sich, sondern muss in ihren konkreten Verwendungszusammenhängen betrachtet werden. Um die potenziell vielfältigen Auswirkungen eines Technikeinsatzes im individuellen Fall abschätzen zu können, müssen daher auch die Praktiken der Nutzer:innen im Umgang damit und die individuellen Maßstäbe ihrer Werturteile berücksichtigt werden (Wüller und Koppenburger 2021). Dies bedeutet, nicht ein technisches Artefakt als solches, wie z. B. einen Rollator in den Blick zu nehmen, sondern vielmehr ein soziotechnisches Assistenzensemble (Biniok und Lettkemann 2017), bestehend aus dem Rollator, dessen Nutzer:in, seinen bzw. ihren Alltagspraktiken und Technikdeutungen sowie den sozialen und materialen Umgebungsfaktoren seiner Nutzung. Als Herausforderung begegnet den Akteur:innen dabei, dass der Implementierungskontext von TAS zum einen komplex, d. h. von vielen Wirkungs- und Beeinflussungsfaktoren abhängig ist, sowie dass diese nur einen begrenzten Einfluss auf den Implementierungskontext haben. Dabei gilt es, die Kontextualisierungsmöglichkeiten des technischen Artefaktes (Kontextualisierung vs. Vereindeutigung), die Technikdeutungen der beteiligten Personen (Technik als Chance vs. Technik als Bedrohung) sowie die soziomaterialen Rahmenbedingungen einer möglichen Nutzung (Bedürfnisorientierung vs. Marktwirtschaft) in eine integrative Perspektive zu überführen. Dabei führen die Akteur:innen eine den gesamten Prozess der PFE begleitende heuristische Technikfolgenabschätzung durch, um den prinzipienethischen Maßstäben der Nützlichkeit einerseits und der Schadensvermeidung andererseits zu genügen (Beauchamp und Childress 2019).
Nicht nur im Falle von TAS, sondern auch bei scheinbar simplen Alltagshelfern zeigt sich für die Akteur:innen bereits die hohe Kontextsensibilität von Technik: Selbst bei „[…] so ganz banale[n] Dinge[n] wie Griffe in der Nähe der Toilette, […] kommt es halt auf den an, [d]er […] das Material bringt und liefert und installiert“ (P007, Abs. 41), denn bereits kleine Veränderungen der Position können darüber entscheiden, ob der Griff ein physiologisches Aufstehen oder ein pathologisches Bewegungsmuster fördert. Sie reflektieren dabei auch den Umstand, dass ein technisches Artefakt nicht nur eine Form der Nutzung nahelegt: Zwar intendieren die Akteur:innen im Rahmen von Beratungen und Schulungen meist eine relativ konkrete Nutzung, „aber es wird halt [teilweise, Anm. d. A.] nicht genutzt als solches, wie es eigentlich vorgesehen ist“ (P013, Abs. 47). Diese Gefahr zeigt sich beispielsweise im folgenden Bericht aus der Unterstützten Kommunikation bei Kindern mit Sprachentwicklungsstörungen, der die Bedeutung des sozialen Kontextes von TAS betont: „[…] Vor allem bei Kindern, sage ich jetzt mal, wo man vielleicht schon ein kleines Vorurteil an die Familie setzt, dass ein hoher Medienkonsum in der Familie vorhanden ist – sei es, [dass] die ganz viel vor YouTube sitzen und einfach nur Videos anschauen, [dass] die ganz viel vor dem Fernseher sitzen … Da bin ich oft sehr, sehr vorsichtig mit einem iPad-basierten Gerät, weil es dann ganz oft halt als Spielmedium genutzt wird und nicht als Kommunikationsmedium“ (P013, Abs. 37). Zwischen Ge- und Missbrauch und damit auch über Nutzen und Schaden zu unterscheiden, ist für die Befragten in vielen Fällen jedoch nicht eindeutig möglich und in hohem Maße von den Betroffenen, den An- und Zugehörigen und ihren Wertesystemen abhängig. Als paradigmatisch hierfür können Überwachungssysteme für Menschen mit kognitiven Einschränkungen gesehen werden, die in einen Zielkonflikt zwischen Sicherheit und Autonomie münden können und oft einhergehen mit Fragen wie: „[W]as steht da im Vordergrund? Und ist dann die Umsetzung des eigentlichen Wunsches der Patientin, nämlich in ihrem eigenen Zuhause zu bleiben, vorrangig vor den Persönlichkeitsrechten und vorrangig vor dem anderen, also vor dieser Überwachungssituation?“ (P015, Abs. 7). Im Hinblick auf den berufsfachlichen Anspruch der Ressourcenorientierung lässt sich darüber hinaus ein Kontinuum zwischen Assistenz und Komfort aufspannen. Dies zeigt sich in Situationen, wo „[…] Ressourcen dann nicht mehr genutzt [werden], sondern das ist einfach dann nur Bequemlichkeit von der Person vielleicht selber und auch von den Angehörigen“ (P014, Abs. 25). Dies kann z. B. dazu führen, dass pflegerische und therapeutische Bemühungen durch den Komfort eines technischen Systems konterkariert werden, indem „[…] die Selbstständigkeit so ein bisschen flöten geht“ (P014, Abs. 19). Als Beispiel hierfür kann der Einbau eines Treppenliftes herangezogen werden: „Das muss man, finde ich, abwägen. Wenn man sagt, okay, der Stand ist jetzt so, es wird tendenziell eher schlechter, dann ist es schon so, dass so ein Treppenlift natürlich sinnvoll ist. Wenn ich aber jetzt einen Stand habe, und ich sehe, perspektivisch kann das besser werden, dann würde ich dagegen sprechen, weil wenn so ein Ding drinnen ist und der Mensch kann irgendwann wieder Treppen steigen, dann wird er [sich] immer auf dieses Ding drauf hocken und nicht Treppensteigen. Und Treppensteigen kann ein Training sein, und wenn ich das leichter haben kann, nehme ich das leichtere und dann habe ich einen Trainingseffekt verloren […]“ (P007, Abs. 53). Der professionelle Impetus der Befragten zum Ressourcenerhalt und der Kompetenzförderung kann also in einen Konflikt mit der Anwendung von TAS führen. Dies führt die Akteur:innen nicht selten in ein Dilemma, „[…] und da muss man einfach immer den richtigen Grat […] finden“ (P013, Abs. 37).
Diskussion
Die im Rahmen dieses Forschungsvorhabens entwickelte Theorie der Gratwanderung in der Vereinbarung potenziell konfligierender Prinzipien und die vier damit verbundenen Kategorien – die Gratwanderungen zwischen Kontextualisierung und Standardisierung, Bedürfnisorientierung und Marktwirtschaft, „Technik als Chance“ und „Technik als Bedrohung“ sowie zwischen Benefizienz und Nonmalefizienz – stellen empirisch identifizierte Herausforderungen der PFE zu TAS, die sowohl Positionsbestimmungen der pflegewissenschaftlichen Patient:innen und Familienedukation als auch Verhältnisbestimmungen zwischen Technik und pflegeberuflichem Handeln ermöglichen, dar.
Aus der Perspektive der pflegewissenschaftlichen Technikforschung konnte festgestellt werden, dass der sozialwissenschaftliche Technopragmatismus eine fruchtbare Position für das Verständnis der beforschten Phänomene darstellt. Dieser wendet sich gegen die Einseitigkeit einer starren Determinierung sozialen Handelns durch Technik auf der einen als auch einer grenzenlosen Gestalt- und Nutzbarkeit von Technik durch soziales Handeln auf der anderen Seite und spricht sich stattdessen für eine relationale Betrachtung von Technik und Sozialem aus (Wüller und Koppenburger 2021). So zeigte sich, dass die Akteur:innen im Rahmen ihrer heuristischen Technikfolgenabschätzung eben nicht nur technische Artefakte wie z. B. TAS in den Blick nehmen müssen, sondern die materialen und sozialen Rahmenbedingungen ihrer Implementierung, wie z. B. die Wohn- und Familiensituation, ebenso wie die unterschiedlichen Bedürfnisse und Werte sowie Technikdeutungen und -vorstellungen der beteiligten Personen. Die komplexen Interaktionen zwischen diesen Faktoren und deren begrenzte linear-kausale Beeinflussbarkeit zeigen, dass es sich bei der PFE zu TAS um eine komplexe Intervention handelt, deren Erfolg maßgeblich von der Kenntnis über und der Gestaltung von Implementierungsbedingungen beeinflusst wird (Zerth et al. 2021). In empirischer Hinsicht darf dem technopragmatistischen Ansatz daher ein hohes Potenzial beigemessen werden, insbesondere da sich Pflege tatsächlich schon immer in soziotechnischen Konstellationen vollzieht, d. h., von Menschen, die verschiedene Dinge dafür verwenden, geleistet wird (u. a. Artner et al. 2017). Diese Anerkennung der Materialität pflegerischen Handelns ist nicht zuletzt dem Einbezug von Theoriebeständen der Science and Technology Studies, z. B. der Akteur-Netzwerk-Theorie (z. B. Latour 2008) oder der Theorie verteilter Handlungsträgerschaft (Rammert 2016), in die Pflegewissenschaft zu verdanken. Durch deren materialistische Anthropologien begreifen diese die Mensch-Technik-Interaktion jedoch als Zusammenspiel technischer und körperlicher Dinge. In theoretischer Hinsicht geht mit einer solchen Symmetrisierung menschlicher und technischer Assistenz aber potenziell auch ein Verlust an Möglichkeiten zur Kritik, verstanden als das Potenzial zur Unterscheidung, einher (Friesacher 2019). Techniksoziologische Positionen schließen daher von einer empirischen Untrennbarkeit häufig auf eine theoretische Kommensurabilität von Technik und Pflegearbeit (z. B. Wüller 2023), der aber meist ein zweckrationaler und instrumenteller Begriff von Pflege zugrunde liegt. Die Pflegewissenschaft selbst hingegen entfaltete im Verlauf ihrer Professionalisierung und Identitätsbildung eine leibphänomenologische Anthropologie und einen daran anschließenden Begriff pflegerischen Handelns, der ein an vielen Stellen problematisches, wenn nicht gar paradoxales Verhältnis zur Technik offenbart: Vor diesem Hintergrund birgt der Einsatz technischer Artefakte in pflegerischen Beziehungen die Gefahren einer Mediatisierung ihrer leibkörperlichen Unvermitteltheit, einer Rationalisierung ihrer impliziten Intuition und Könnerschaft oder einer Formalisierung ihres hermeneutischen Zugangs zum uneinholbar Anderen (u. a. Friesacher 2019; Heitmann-Möller und Remmers 2017; Hülsken-Giesler 2008). Diese Differenzen stellen nicht zuletzt eine Herausforderung für die Pflegebildung dar, da von beruflichen Pflegenden die Ausbildung eines professionstheoretisch fundierten Fürsorgeethos einerseits und (mittlerweile) auch eines digital-technologischen Selbstverständnisses andererseits erwartet wird. Wenngleich berufliche Sozialisationsprozesse und Habitusformationen innerhalb dieses Spannungsfeldes ein Forschungsdesiderat bleiben, legen pflegedidaktische und pflegeethische Forschungen nahe, dass diese teilweise widersprüchlichen Anforderungen bisher häufig einseitig zugunsten einer technokratischen Regel- oder Verrichtungsorientierung (u. a. Darmann-Finck 2010; Bobbert und Rabe 2023) aufgelöst werden.
Es scheint daher zumindest in pflegetheorischer und -didaktischer Hinsicht geboten, an die Stelle von Identität und Kommensurabilität, z. B. in Form der häufig beschworenen Pflege4.0 (u. a. Bendig et al. 2017 u. v. m.), eine kritisch-dialektische Haltung zu setzen, welche sich einem „[…] konsequente[n] Bewusstsein von Nichtidentität“ (Adorno 1975, S. 17) verpflichtet. Eine identitätskritische Perspektive auf soziotechnische Pflegekonstellationen, wie sie z. B. in den pflegedidaktischen Arbeiten von Greb (u. a. 2003) entwickelt wird, könnte das Potenzial des Technikbegriffs als Reflexions- und Relationskategorie der Pflege(wissenschaft) entfalten und somit das gescheiterte Projekt der positiven Bestimmung der zentralen Gegenstände der Pflege und einen neuen Theoriediskurs beleben (Ertl-Schmuck 2018). Die Schlüsselprobleme der PFE zu TAS, in denen sich ebenfalls die Dialektik von normativen Attributen professionellen Pflegehandelns, wie z. B. Bedürfnisorientierung und Kontextualisierung, und deren konstellativen Widersprüchen (Marktwirtschaft und Vereindeutigung) zeigt, weisen auf das Potenzial eines solchen Vorhabens hin. Dafür ist es notwendig, soziotechnische Konstellationen in verschiedenen Perspektiven zu durchdringen, insbesondere im Medium der Technik (s. Abschn. „Kontextualisierung vs. Vereindeutigung“), des Menschen (s. Abschn. „‚Technik als Chance‘ vs. ‚Technik als Bedrohung‘“) und der Arbeit (s. Abschn. „Bedürfnisorientierung vs. Marktwirtschaft“; Kardas et al. 2023).
Auch für die Patient:innenedukation und das Handlungsfeld der Technikberatung können Implikationen abgeleitet werden: Obwohl die Akteur:innen ihr Handeln zumeist selbst unter dem Sammelbegriff der (Technik-)Beratung subsumieren, konnte festgestellt werden, dass alle Interventionen der PFE, d. h. Beratung, Information, Schulung und Moderation, darin sichtbar werden. Auch wenn die PFE ein theoretisch mittlerweile elaboriertes Konzept der Pflegewissenschaft und einen bedeutenden Teil pflegeprofessionellen Selbstverständnisses darstellt, wird sie in dieser Fundiertheit in der Praxis bisher nur begrenzt wirksam. Besonders vor dem Hintergrund der bisher technologisch orientierten Entwicklung und marktwirtschaftlich organisierten Distribution von TAS scheint die PFE jedoch eine notwendige Strategie zu sein, um die skizzierte Kluft zwischen der Sphäre des Technischen und den Lebenswelten potenzieller Zielgruppen zu überbrücken. Eine konsequentere Orientierung der Akteur:innen an dem Konzept der PFE und die konsequente Explikation ihrer verschiedenen Interventionen und deren Differenzen könnten hierbei diverse Vorteile bieten. Diese könnte nicht nur dazu beitragen, ein gemeinsames Qualitätsverständnis im Handlungsfeld zu etablieren und die Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Leistungen zu schaffen, sondern auch die Professionalisierung der beteiligten Akteursgruppen zu fördern. Um das Potenzial von TAS für die Bewältigung von Versorgungsproblemen realistisch zu nutzen, sollte gesundheitspolitisches Handeln deshalb nicht nur Investitionen in neue technologische Entwicklungen erwägen, sondern v. a. deren potenzielle Transferier- und Implementierbarkeit in die Praxis unterstützen. Die Stärkung des Handlungsfeldes der Technikberatung durch PFE könnte hierfür eine geeignete Strategie darstellen, insbesondere da es sich bei der Technikberatung um „[…] ein neues, inhaltlich noch weitgehend offenes und hinsichtlich der Professionalisierung der Beratungstätigkeit sehr inhomogenes Handlungsfeld“ handelt (Weidekamp-Maicher et al. 2021, S. 4). Ihre Transdisziplinarität und Transsektoralität, die sich als Herausforderungen für den systematischen Forschungszugang erwiesen haben, könnten sich dabei aus der Versorgungsperspektive als Vorteil erweisen: Durch die strukturelle Weiterentwicklung der PFE zu TAS könnten Brücken von der Technikentwicklung in die verschiedenen Disziplinen und Sektoren des Gesundheitswesen, die eine adressatengerechtere Entwicklung und bedarfsorientiertere Implementierung von TAS erlauben, gebaut werden.
Ausblick
Die Ergebnisse dieser Studie dienen der Fundierung und Strukturierung eines curricularen Bausteins der generalistischen Pflegeausbildung und des Studiums. Trotz ihrer empirischen Bedeutsamkeit stellen diese jedoch noch keine Schlüsselprobleme im Sinne der Didaktik, deren Problemhaftigkeit sich vielmehr aus deren Strukturgesetzlichkeit, ihrer Exemplarizität, ihrer Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung und damit ihrer Bildungsrelevanz ergibt (Klafki 2007), dar. Inwiefern sich mithilfe dieser Phänomene also „[…] allgemeine Strukturen, Widersprüche, Gesetzmäßigkeiten und Zusammenhänge des Berufs aufzeigen und aneignen lassen […]“ (Darmann 2005, S. 329). und ob diese auch „[…] multiple Sichtweisen und Handlungsoptionen ermöglichen“ (ebda., S. 329), kann nicht allein auf der Grundlage ihrer empirischen Bedeutsamkeit beurteilt werden. Um aus den empirisch identifizierten Schlüsselproblemen im Sinne der GTM didaktisch begründete Schlüsselprobleme zu generieren, bedarf es eines Kriteriensatzes, mit dessen Hilfe die Bildungsrelevanz der Problemphänomene und der mit ihnen verbundenen Situationen beurteilt werden kann. Diesen Kriteriensatz bietet die heuristische Matrix der Interaktionistischen Pflegedidaktik von Darmann-Finck (2010). Die Matrix stellt ein Instrument dar, „[…] mit dessen Hilfe Bildungsziele und -inhalte für die Pflegeausbildung identifiziert, legitimiert und evaluiert sowie pflegedidaktische Entscheidungen vorbereitet werden können“ (ebda., S. 169).
Für die pflegedidaktische Analyse der erhobenen Daten werden in einem nächsten Schritt zu jedem Schlüsselproblem mehrere Narrative, die die entsprechende Gratwanderung besonders anschaulich illustrieren, aus den Daten extrahiert. Die Narrative stellten Schlüsselerzählungen der Gesprächspartner:innen dar und basierten zumeist auf Critical Incidents bzw. Revelatory Incidents (Flanagan 1954), also entweder kritischen, im Sinne von besonders positiven oder negativen, oder subjektiv besonders bedeutsamen Arbeitssituationen der Akteur:innen. Auf der Grundlage der didaktischen Analyse der Narrative mithilfe der heuristischen Matrix der Interaktionistischen Pflegedidaktik sollen dann verschiedene Bildungsgegenstände, -ziele und -inhalte abgeleitet werden, die in das Bildungsangebot für Auszubildende und Studierende der Sozial- und Gesundheitsberufe mit dem Titel „DaheimLeben4.0“ münden.
Schlussfolgerung
Das Handlungsfeld der Technikberatung und das Konzept der PFE sind zentrale Schlüssel zur realistischen Nutzung der Potenziale von TAS. Die vorliegende Grounded Theory bietet empirisch identifizierte und theoretisch verortete Schlüsselprobleme, die sowohl dazu geeignet sind, im Rahmen von konkreten Bildungsangeboten auf tatsächliche Herausforderungen im Handlungsfeld der Technikberatung vorzubereiten als auch im Rahmen pflegetheoretischer und -didaktischer Zugänge das Verhältnis von Technik und professionellem Pflegehandeln zu reflektieren.
Limitationen
Trotz des medial postulierten Einzugs digitaler Technik in die Gesundheitsversorgung stellte es sich als schwierig heraus, Settings oder Institutionen zu finden, in denen TAS tatsächlich Anwendung finden. Auch Personen zu finden, die sich selbst als dem Handlungsfeld der Technikberatung zugehörig bzw. die PFE zu TAS als eine ihrer Aufgaben betrachteten, stellte sich als herausfordernd dar. Dieses Problem konnte oft nur dadurch gelöst werden, dass bei der Ansprache potenzieller Interviewpartner:innen zunächst von Hilfsmitteln anstelle von Assistenzsystemen gesprochen wurde und im Gespräch Definitionen und die Grenzen zwischen (v. a. digitalen) Assistenzsystemen und (zumeist mechanischen) Hilfsmitteln gemeinsam ausgelotet wurden. Die Vielzahl und die problematische definitorische Abgrenzbarkeit der in den jeweiligen Feldern üblichen technischen Assistenzsysteme sowie die Heterogenität der untersuchten Beratungssettings – vom Akutkrankenhaus über die (teil)stationäre Rehabilitation bis hin zur ambulanten Teilhabeberatung – lassen darüber hinaus den Rückschluss zu, dass der Anspruch einer umfänglichen Abbildung des Handlungsfeldes womöglich nicht erreicht wurde. In Anbetracht des faktisch geringen Grades an Technisierung in den Handlungsfeldern der Sozial- und Gesundheitsberufe müssen empirische Ansätze, die mithilfe von Untersuchungen der Berufswirklichkeit Anforderungen und Kompetenzen für deren Bewältigung ableiten, überdacht werden. Eine theoretische Ableitung prognostischer Bildungsbedarfe (z. B. bei Evers 2011) gewinnt dadurch an Bedeutung und sollte empirische Ansätze ergänzen.
Die methodeninterne Triangulation aus Critical Incident Technique und problemzentrierten Interview erwies sich als fruchtbare Methode zur Erhebung von bedeutsamen Problemsituationen. Die Erinnerung und Wiedergabe von Critical Incidents war für die Interviewpartner:innen aber schwierig: Die Beratungssituationen schienen für die befragten Akteur:innen zum einen zu wenig abgrenzbar und zum anderen zu wenig critical bzw. revelatory, um hinreichend memorabel zu sein. Ebenso problematisch für die Beratenden war die teilweise berichtete Ergebnislosigkeit, also die Unkenntnis über das Beratungsergebnis und das Fehlen von Evaluationsmöglichkeiten, da der Beratungskontakt selten über die konkrete Beratungsintervention hinausging. Dieser Umstand stellt nicht nur ein Hindernis für die Untersuchung von Beratungshandeln dar, sondern auch eine Lücke der aktuellen Edukationspraxis in den Sozial- und Gesundheitsberufen, die deren Weiterentwicklung behindert.
Förderung
Diese Arbeit wurde im Rahmen des Projektes „DeinHaus4.0 – Oberbayern“, welches vom Bayrischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege gefördert und finanziert wird, erstellt.
Interessenkonflikt
L. Kardas, C. Nick und K. Lüftl geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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