Aufgrund der demografischen Alterung und der komplexen physischen, psychischen und sozialen Bedürfnisse älterer Menschen sind diese eine wichtige Patientengruppe im Akutkrankenhaus. Krankenhausaufenthalte können ohne altersgerechte Pflege die unabhängige Ausübung der Aktivitäten des täglichen Lebens der älteren Patienten verschlechtern.
Ziel
Das Ziel war die Übersetzung und kulturelle Adaption des „Geriatric Institutional Assessment Profile“ in die deutsche Sprache zur Einschätzung altersgerechter Pflege in deutschsprachigen Krankenhäusern.
Methoden
Das „Geriatric Institutional Assessment Profile“, das die altersgerechte Versorgung von älteren Patienten im Akutkrankenhaus auf institutioneller und personeller Ebene einschätzt, wurde nach Übersetzung ins Deutsche einer quantitativen und qualitativen Testung unterzogen.
Ergebnisse
Die Überprüfung der Inhaltsvalidität ergab für den Scale Content Validity Index – Average einen Mittelwert von 0,86 (Relevanz) und 0,92 (Übersetzung). Das Cognitive Debriefing des übersetzten „Geriatric Institutional Assessment Profile“ ergab die Notwendigkeit zu weiteren sprachlichen Adaptionen. Zudem zeigten sich Mängel in der theoretischen Fundierung des Instruments.
Schlussfolgerungen
Altersgerechte Krankenhausaufenthalte sind ein aktuelles Thema von hoher Relevanz für die Betroffenen und die Gesundheitsversorgung. Benötigt werden ein theoretisch fundierter Fragebogen und ein strukturiertes Vorgehen, um durch gesicherten Erkenntnisgewinn zur Praxisentwicklung beizutragen.
Hinweise
Hinweis des Verlags
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Hintergrund
Weltweit steigt durch die demografische Alterung der Anteil von Menschen über dem 65. Lebensjahr (United Nations 2019). Altersspezifische körperliche und kognitive Veränderungen sowie wechselseitige Beeinflussung akuter oder chronischer Erkrankungen erhöhen die Komplexität der Gesundheitssituation im Alter (Fingerhood 2020). Gleichzeitig sind ältere Menschen besonders vulnerabel, ihre Unabhängigkeit in der Ausübung der Aktivitäten des täglichen Lebens durch einen Krankenhausaufenthalt zu verlieren (Chiou und Chen 2009). Komplikationen bei einem Klinikaufenthalt sind beispielsweise Inkontinenz oder Stürze (Mudge et al. 2019) sowie Verminderung der körperlichen und/oder kognitiven Leistungsfähigkeit (Zisberg et al. 2015). Mangelnde Anpassung der Pflege an die Bedürfnisse dieser Patienten erhöht das Risiko für unerwünschte Ereignisse und führt zu längeren Hospitalisationen (Chiou und Chen 2009; Huang et al. 2011). Daher entstand eine globale Bewegung, um altersgerechte Krankenhäuser, in welchen Bedürfnisse älterer Menschen berücksichtigt werden, zu fördern (Huang et al. 2011). Dazu ist es notwendig, einheitliche Instrumente zur Verfügung zu stellen, um die aktuelle Situation in Krankenhäusern zu objektivieren sowie den Bedarf an Veränderung und Entwicklungen im Verlauf sichtbar zu machen.
International sind mehrere Programme, beispielsweise „The Hospital Elder Life Program (HELP)“, „Acute Care for Elders Program (ACE)“, sowie „Nurses Improving Care for Health System Elders (NICHE)“ entstanden, die die Verbesserung der Versorgungsqualität älterer Menschen im Krankenhaus priorisieren (Capezuti et al. 2020). Ein internationales Forschungsprojekt baute die Zusammenarbeit mit „NICHE“ auf, da das von „NICHE“ zur Verfügung gestellte Instrument „The Geriatric Institutional Assessment Profile (GIAP)“ ermöglicht, Hindernisse der pflegerischen Praxisumgebung (Boltz et al. 2010; Kim et al. 2007) und Innovationspotenzial (Boltz et al. 2010; Squires et al. 2019) zu erkennen und die Wahrnehmungen des Personals abzubilden (de Almeida Tavares und da Silva 2013). Das „GIAP“ besteht aus 8 Skalen: der „Geriatric Care Environment Scale“, die die Möglichkeiten des pflegerischen Arbeitsumfeldes (Werte der Institution bezogen auf ältere Erwachsene und Mitarbeiter, Fähigkeit zur Zusammenarbeit, Ressourcenverfügbarkeit) untersucht (Boltz et al. 2009). Die 6 Skalen „Professional Issues“ beurteilen altersgerechte und individuelle Pflege (Boltz et al. 2008) und die „Geriatric Nursing Knowledge/Attitudes Scale“ dient zur Selbsteinschätzung der Kenntnisse des Personals im Bereich altersgerechte Pflege und Therapie. Auch demografische Daten und beruflicher Hintergrund der Teilnehmenden werden erfasst (Boltz et al. 2009; de Almeida Tavares und da Silva 2013). Für die „Geriatric Care Environment Scale“ wurden die Validität und Reliabilität mittels Cronbachs α = 0,93 (Kim et al. 2007) und Cronbachs α = 0,92 (de Almeida Tavares et al. 2013) beurteilt. Das GIAP wurde 8‑mal überarbeitet (Abraham et al. 2020), wobei der theoretische Rahmen für die Konzeption des Fragebogens nicht publiziert ist.
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Zielsetzung
Im Rahmen des internationalen Forschungsprojekts war es das Ziel des deutschsprachigen Teilprojekts, das GIAP unter Berücksichtigung sprachlicher und kultureller Äquivalenzen in die deutsche Sprache zu übersetzen und inhaltlich zu validieren, um ein von Ländergrenzen unabhängiges Instrument für die gesamte D‑A-CH Region (Deutschland, Österreich, Schweiz) zu erarbeiten.
Methoden
Es wurden eine Vorwärts- und eine Rückwärtsübersetzung ins Deutsche durchgeführt (deutschsprachiges Teilprojekt). Danach wurde das GIAP im Pretest quantitativ einer Inhaltsvalidität (CVI) und qualitativ einem Cognitive Debriefing (CD) unterzogen (Abb. 1).
Abb. 1
Projektablauf
×
Teilnehmende
Für die Durchführung des CVI wurden deutschsprachige Expertinnen aus dem fachlichen Umfeld der Forschenden gewählt, welche mehrjährige Erfahrung im geriatrischen Akutbereich mitbringen und eine Spezialisierung in gerontologischer Pflege und eine Qualifikation auf zumindest Master-of-Science-Niveau erlangt haben. Um die Unterschiede der deutschen Sprache in der D‑A-CH-Region zu berücksichtigen, wurden Expertinnen aus Deutschland, der Schweiz und Österreich angefragt. Es beteiligten sich 15 Expertinnen (CH: 10, A: 4, D: 1) an der Testung des CVI. Zum CD wurden Expertinnen eingeladen, die am CVI teilnahmen. Es wurde je eine Person pro Staat ausgewählt, um Unterschiede in der deutschen Sprache und der Gesundheits- und Ausbildungssysteme ausgewogen zu berücksichtigen.
Datenerhebung
Potenzielle Teilnehmende wurden im November 2020 per E‑Mail kontaktiert, mittels Anschreiben über den Zweck der Studie informiert und zur Teilnahme angefragt. Nach Zusage wurden die Unterlagen für den CVI übermittelt, Mitte Dezember 2020 wurde eine Erinnerung versandt. Die Teilnehmenden wurden für das CD neuerlich kontaktiert und informiert. Jenen, die sich bereit erklärten, wurden die Einverständniserklärung und die zur Diskussion stehenden Items übermittelt. Das CD fand im Mai 2021 online über die Plattform ZOOM (Zoom Communications, Kalifornien, Vereinigte Staaten) statt und wurde in MAXQDA 2020 (VERBI - Software. Consult. Sozialforschung. GmbH, Deutschland) transkribiert.
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Übersetzung
Das internationale Projekt folgte dem von „NICHE“ vorgegebenen Prozess bei der systematisch durchgeführten Übersetzung in die jeweilige Amtssprache und Prüfung der CVI (Squires et al. 2013). Es wurde ein Handbuch mit potenziell problematischen Ausdrücken von „NICHE“ zur Verfügung gestellt.
Der erste Schritt im deutschsprachigen Teilprojekt war die getrennt durchgeführte Vorwärtsübersetzung in Österreich und der Schweiz durch die drei Autorinnen. In Österreich wurde zudem die Vorwärtsübersetzung mit einer aus den USA stammenden, bilingualen Pflegeperson diskutiert, um die Übersetzung spezifischer Begriffe zu besprechen. Anschließend wurde im deutschsprachigen Team eine konsolidierte Vorwärtsübersetzung erstellt. Die Rückübersetzung erfolgte in beiden Ländern separat und verblindet; die Personen entsprachen den Kriterien von Behr et al. (2015). Die drei Rückübersetzungen wurden in einem diskursiven Verfahren zwischen den Autorinnen zu einer akkordierten Version abgestimmt und alle Übersetzungen an „NICHE“ übermittelt.
Testung der Relevanz, Verständlichkeit und Akzeptanz
Im CVI wurde für jedes Item die Relevanz für die neue Kultur mittels 4‑stufiger Skala (1: nicht relevant) und die Korrektheit der Übersetzung dichotom (ja/nein) beurteilt. Die Beurteilung der Übersetzung wurde integriert, da diese semantisch und technisch äquivalent sein kann, obwohl sie entweder für den Kontext oder die Kultur nicht relevant ist. Es wurden Items, die bezüglich der Relevanz einen niedrigen Item Content Validity Index (I-CVI) (≤ 0,59) erzielten, als problematisch eingestuft und die Übersetzungsqualität überprüft. Für die Testung wurden der I‑CVI und der Scale Content Validity Index – Average (S-CVI/AVE) sowohl für die Relevanz als auch die Übersetzungsqualität in IBM SPSS Statistics Version 27 (IBM Deutschland GmbH, Deutschland) berechnet. Das Vorgehen des internationalen Projektes wurde von Zisberg et al. (2022) publiziert.
Eine sorgfältige Übersetzung ist essenziell, da Äquivalenzen und Bias (Behr et al. 2015; Van de Vijver und Leung 2021) beachtet werden müssen, um die Ergebnisse der Erhebung durch die Qualität der Übersetzung nicht negativ zu beeinflussen (Behr et al. 2015; European Social Survey 2018). Es wurde, den Empfehlungen von Behr et al. (2015) folgend, zusätzlich ein CD durchgeführt, um die Relevanz der Items und die Besonderheiten der unterschiedlichen Länder der D‑A-CH-Region zu berücksichtigen. Das CD ist ein qualitativer Pretest zur Überprüfung der Verständlichkeit, kulturellen Relevanz und Übersetzungsqualität sowie der Akzeptanz, und das Transkript wurde dahingehend gezielt durchsucht.
Ethische Aspekte
Da die Expertinnen keiner vulnerablen Gruppe angehören und die Grundsätze der Freiwilligkeit, Informiertheit und Pseudonymisierung eingehalten wurden, war eine Freigabe durch die Ethikkommission nicht notwendig. Die Pseudonymisierung fand im CVI mittels Laufnummer statt. Im CD wurde die Identität der Expertinnen mittels Ländercode bei der Transkription pseudonymisiert. Der Schlüssel für die pseudonymisierten Daten wurde während der Datenbearbeitung verschlossen aufbewahrt und war nur der Studienleiterin zugänglich. Die Videoaufzeichnung des CD wurde nach der Transkription gelöscht.
Ergebnisse
Übersetzung
Fünf Items erwiesen sich als semantisch nicht angemessen oder kulturell nicht äquivalent, obwohl eine wortwörtliche Übersetzung vom Englischen ins Deutsche möglich war. Für diese Items wurde von den Autorinnen ein Konsens für Sprache und Bedeutung gesucht. Dabei wurde auf die höchste Übereinstimmung im schweizerischen und österreichischen Hochdeutsch geachtet, um das Ziel des gemeinsamen Instruments der D‑A-CH-Region erreichen zu können (Tab. 1). Bei 2 Fragen wurde jenes Wortes gewählt, das die Intension der Frage im Deutschen präziser abbildet. Bei einer Frage wurde berücksichtigt, dass für die Aufnahme in ein Krankenhaus der D‑A-CH-Region neben der Krankheit ein holistischer Blick auf die Betroffenen ausschlaggebend ist, wobei Vorerkrankungen, soziale Umstände und Versorgungssituation berücksichtigt werden. Bei einer Frage wurde zugunsten des treffenderen Begriffs („Anleitung“ ≙ Vermittlung praktischer Inhalte/„Schulung“ ≙ theoretische und praktische Wissensvermittlung) entschieden. Die Rückübersetzungen eines Items differierten und zeigten eine Ungenauigkeit der Vorwärtsübersetzung. Es wurde eine Alternative gesucht, um den Inhalt der Frage eindeutiger abzubilden.
Tab. 1
Adaptionen der Übersetzung
Ursprüngliches Item
Problematische Vokabel
Möglichkeiten
Konsens
„There is adequate time to care for the physical needs of older adults“
Adequate
Adäquat, ausreichend, angemessen
Es steht angemessene Zeit zur Verfügung, um sich um die körperlichen Bedürfnisse älterer Menschen zu kümmern
„The older adults’ clinical conditions are used to make admission decisions“
Clinical conditions
Krankheitsbild, klinisches Zustandsbild
Die Entscheidung über die Aufnahme wird anhand des klinischen Zustandsbildes des älteren Menschen getroffen
„Staff are expected to teach family caregivers“
Teach
Anleiten, schulen
Von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen wird erwartet, dass sie pflegende Angehörigen schulen können
„Addressing the holistic care needs of older adults is a priority on my unit“
Addressing
Gerecht zu werden, befassen
Sich mit den ganzheitlichen Betreuungs- und Pflegebedürfnissen älterer Menschen zu befassen, ist eine Priorität auf meiner Abteilung
„Do you think any of the following circumstances hinders your hospital’s ability to provide care to older adults?“
Sind Sie der Meinung, dass die Möglichkeit ihres Krankenhauses, ältere Menschen zu behandeln und zu versorgen, durch einen der folgenden Umstände behindert wird?
Testung der Verständlichkeit und Akzeptanz
Inhaltsvalidität
Der S‑CVI/AVE wurde für die Relevanz und die Übersetzungsqualität berechnet, dabei erzielte die Relevanz einen S‑CVI/AVE von 0,86 (SD ± 0,15) (Tab. 2). Die Werte des I‑CVI variierten zwischen 0,46 und 1,00. Die Übersetzung erzielte einen Mittelwert von rund 0,92 (S-CVI/Ave) (Tab. 3), der I‑CVI lag zwischen 0,43 und 1,00. Abschließend erfolgte die Interpretation des I‑CVI, dabei lagen einzelne Items unterhalb der geforderten 0,8. Die Ergebnisse des CVI wurden von Zisberg et al. (2022) im International Journal of Nursing Studies publiziert.
Tab. 2
S‑CVI/AVE: Relevanz
Descriptive Statistics
N
Minimum
Maximum
Mean
Std. Deviation
I_CVI_Rel Al
78
0,46
1,00
0,8579
0,14726
Valid N (listwise)
78
–
–
–
–
Tab. 3
S‑CVI/AVE: Übersetzung
Descriptive Statistics
N
Minimum
Maximum
Mean
Std. Deviation
I_CVI_Trans
158
0,43
1,00
0,9225
0,09975
Valid N (listwise)
158
–
–
–
–
Eine Frage erzielte bei der Übersetzung und Relevanz einen niedrigen Score, wobei es sich um ein relevantes Item für die Beurteilung der Altersfreundlichkeit eines Krankenhauses handelt, weshalb die Formulierung überarbeitet wurde. Bei 4 Items wurde die Übersetzung entsprechend den Rückmeldungen angepasst, um die ursprüngliche Bedeutung zu erhalten. Bei 2 Fragen war der Kontext für die Expertinnen nicht präzise, daher wurde die Formulierungen überarbeitet. Eine Frage wurde übersetzt, obwohl die Berufsgruppe nicht in allen Ländern der D‑A-CH-Region existiert, denn dieses Item kann nicht entfernt werden, ohne das theoretische Konstrukt hinter dem GIAP zu kennen bzw. zu beeinflussen. Bei 2 Items konnte kein Konsens erzielt werden, da für die Begriffe „administrators“ und „failure to thrive“ keine zweifelsfreien Äquivalente (Sprache und Kontext) für die D‑A-CH-Region gefunden wurden.
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Bei Items, welche Medikamente beinhalten, wurden im Originalinstrument Handelsname und Wirkstoff heterogen verwendet. Zusätzlich unterscheiden sich in den deutschsprachigen Ländern die zugelassenen Präparate und das Vorgehen bei ärztlicher Verordnung. Um die Items einheitlich in der D‑A-CH-Region verwenden zu können, wurden die Expertisen einer österreichischen Pharmakologin und einer Schweizer Ärztin eingeholt. Die Empfehlung der Expertinnen war, die Wirkstoffe sowie ausgewählte Handelsnamen aller 3 Länder für jedes Präparat anzugeben und die Antwortmöglichkeit „Wirkstoff ist nicht bekannt oder in Verwendung“ zu ergänzen, um strukturelle Mängel aufzuzeigen und einer Verlegenheitsantwort vorzubeugen.
Cognitive Debriefing
Im CD wurden die ersten 7 Fragen chronologisch und die Fragenkomplexe „allgemeines Wissen“ und „spezielles Wissen für Pflegefachpersonen“ beispielhaft diskutiert (Tab. 4). Die Expertinnen betrachteten die Formulierungen von 4 Fragen sowie die Übersetzung bei 2 Fragen kritisch; bei 2 Items stand die Möglichkeit des sozial erwünschten Antwortverhaltens im Raum. Grundsätzlich wurden die Fragen als relevant eingestuft, jedoch Adaptionen und Umformulierungen empfohlen.
Tab. 4
Cognitive Debriefing
Item (englisch | deutsch)
Reflexion
Konsens
My colleagues value my opinion about proper care of older adult patients. | Meine Kollegen und Kolleginnen schätzen meine Meinung über die angemessene Betreuung und Pflege älterer Menschen
– Formulierung und fehlende Definition: „Meinung“
– „Meinung“ allgemein und alltagssprachlich
– Kontext zu pflegerischer Haltung und Expertise
– Kontext zum Gesundheitssystem der D‑A-CH-Region
– Übersetzung
Umformulierung in Richtung gemeinsames Pflegeverständnis, Haltung und Professionalität z. B. durch regelmäßige Fallbesprechungen und Einbringen der pflegerischen Expertise
Staff are encouraged to take time off from their clinical work responsibilities to implement new clinical practices. | Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen werden ermutigt, sich stundenweise aus der direkten Pflegetätigkeit zurückzuziehen, um sich über neue klinische Praktiken zu informieren
– Übersetzung: „informieren“ vs. „implementieren“
Ausdruck von evidenzbasierter Pflege (EBN), Wertschätzung von EBN (durch die Vorgesetzten) durch das Zurverfügungstellen von Arbeitszeit
Overall, how much difficulty do you experience caring for the older adults (age 65 or older) in your practice? | Wie viele Schwierigkeiten haben Sie in der Praxis insgesamt bei der Betreuung und Pflege älterer Menschen (65 Jahre oder älter)?
– Altersdiskriminierung im Terminus „Schwierigkeiten“: negative Formulierung, fehlende Definition
– Aufzeigen von institutions- bzw. stationszentrierten Abläufen und Routinen
– Pflegeverständnis von Pflegepersonen mit gerontologischer Spezialisierung mit entsprechender Expertise und Mentalität
– Gefahr sozial erwünschten Antwortverhaltens durch fehlende sprachliche Äquivalenz
– Umformulierung zu Herausforderungen des pflegerischen Alltags
– Fokusgruppeninterviews zum Erleben der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen
How rewarding is your work with older adults (age 65 or older)? | Wie bereichernd empfinden Sie Ihre Arbeit mit älteren Menschen (65 Jahre oder älter)?
– „Bereichernd“: Haltung der Pflegekräfte
– Aufzeigen von institutions- bzw. stationszentrierten Abläufen und Routinen
– Pflegeverständnis von Pflegepersonen mit gerontologischer Spezialisierung mit entsprechender Expertise und Mentalität
– Gefahr sozial erwünschten Antwortverhaltens durch fehlende sprachliche Äquivalenz
Formulierungsvorschläge für „bereichernd“
Lack of specialized services for the older adult. | Mangel an spezialisierten Dienstleistungen für ältere Menschen
– Begriff „Dienstleistungen“: Wellnessangebote oder altersspezifische Versorgungstrukturen des Akutkrankenhauses (Akutgerontologie, spezialisierte Notaufnahme)
„Personality changes with age. | Die Persönlichkeit ändert sich mit zunehmendem Alter.“
– Gesamter Wissenskomplex: suggestiv und wertend
– Heterogenes Ausbildungsspektrum von Pflegepersonen in der DACH-Region
– Herausforderung: Breite der Ausbildungen, passende (Wissens)Fragen zu finden (angemessene Itemschwierigkeit)
– Rückschluss auf die Grundhaltung der Pflegenden gegenüber älteren Menschen
Sehr relevant
Von den Expertinnen wurden Vorschläge zur Neuformulierung bei 3 Items eingebracht. „Meinung“ wurde alltagssprachlich klassifiziert und die negative Formulierung des Begriffs „Schwierigkeiten“ erörtert. Der Ausdruck „bereichernd“ stand zur Diskussion, da dieser Begriff nicht mit dem Pflegeverständnis von Fachpersonal einhergeht. Ebenso wurden die Begriffe „informieren“ und „implementieren“ diskutiert. Die Expertinnen kamen zur Einschätzung, dass dieses Item im Sinne von Evidence Based Nursing (EBN) zu verstehen wäre und die Wertschätzung der Vorgesetzten durch das Zur-Verfügung-Stellen von Arbeitszeit zum Ausdruck kommt. Bei 2 Items entwickelte sich eine Diskussion über Altersdiskriminierung, der Spezifität eines Angebots basierend auf dem kalendarischen Alter und der Altersgrenze (65. Lebensjahr). Die Kritik bezog sich auf ethische Gesichtspunkte, insbesondere, ob Erschwernisse im Stationsalltag mit einer bestimmen Altersgruppe erfragt werden. Eine mögliche Adaption und Unterschiede zwischen allgemeinen und gerontologischen Fachabteilungen wurden diskutiert. Die Expertinnen sahen wesentliche strukturelle Vorteile an gerontologischen Stationen (altersgerechte Hilfsmittel, interdisziplinäre Zusammenarbeit) und ein spezielles Pflegeverständnis der Pflegepersonen mit gerontologischer Spezialisierung und entsprechender Expertise und Mentalität.
Fehlende Definitionen von Begriffen wurden von den Expertinnen bei 5 der zur Diskussion stehenden Items kritisiert, da das einheitliche Verständnis nicht vorweggenommen werden kann und die Ergebnisse beeinflussen könnte. Zum Beispiel, ob der Begriff „Dienstleistungen“ im Sinne von Wellnessangeboten oder von altersspezifischen Versorgungstrukturen des Krankenhauses zu verstehen sei.
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Die Fragenkomplexe zu allgemeinem und speziellem Fachwissen schätzen die Expertinnen wertend und suggestiv ein, da die Items die Pflegenden mit/ohne Hochschulabschluss mit/ohne Spezialisierung ungenügend fordern würden, da es sich um Basiswissen der Grundausbildung handelt. Das Abfragen des Wissensstandes der Pflegepersonen in Bezug auf altersgerechte Pflege wurde als sehr relevant eingeschätzt und erlaubt Rückschlüsse auf die Grundhaltung der Pflegenden gegenüber älteren Menschen. Jedoch muss dabei das heterogene Ausbildungsspektrum in der D‑A-CH-Region beachtet werden.
Diskussion
Das Ziel dieses Projektes war, Akutkrankenhäusern im deutschsprachigen Raum ein valides Instrument, unter Berücksichtigung sprachlicher und kultureller Äquivalenzen, zur Verfügung zu stellen, das den Stand der altersgerechten Pflege und Betreuung erhebt und einschätzt, inwieweit ein Akutkrankenhaus die Bedarfe der älterwerdenden Bevölkerung berücksichtigt. Das „GIAP“ wurde als geeignet eingeschätzt, da dieses Veränderungspotenzial auf institutioneller Ebene des teilnehmenden Krankenhauses sowie persönlich-professioneller Ebene des teilnehmenden Personals aufzeigt (de Almeida Tavares und da Silva 2013). Das nun in Deutsch vorliegende GIAP erzielte hinsichtlich der Relevanz einen S‑CVI/AVE von 0,86 und einen I‑CVI von 0,46–1,00. Für die Übersetzung ergaben sich ein S‑CVI/AVE von 0,92 und ein I‑CVI von 0,43–1,00. In der Literatur wird empfohlen, einen I‑CVI ≥ 0,78 und S‑CVI/AVE ≥ 0,90 anzustreben (Polit und Beck 2006; Polit et al. 2007). Im Laufe des Projektes kristallisierten sich mehrere Punkte heraus, die eine sorgfältige Überarbeitung des „GIAP“ erfordern, bevor das Instrument in der D‑A-CH-Region eingesetzt werden könnte. Im Übersetzungs- und Adaptionsprozess des GIAP an die D‑A-CH-Region zeigten sich methodische Fragen, die den theoretischen Rahmen, die Konzeption des Fragebogens ebenso wie die Prozesse für die Übersetzung und Inhaltsvalidität, welche die Ergebnisse des CVI negativ beeinflussen, einschließen. Die neueste publizierte Version des Fragebogens ist Nummer 8 (Abraham et al. 2020), bei der Weiterentwicklung des GIAP spielten Meinungen von Expertinnen eine zentrale Rolle. Polit und Beck (2018) geben zu bedenken, dass ein theoretischer Rahmen unabdingbar ist, um die Ergebnisse der Studie interpretieren und einen Kontext herstellen zu können. Für die Überarbeitung des „GIAP“ müssten einzelne Items adaptiert werden, um Äquivalenzen und Bias angemessen Rechnung tragen zu können. Diese umfassen Linguistik, Unterschiede in den Gesundheitssystemen, Ausbildungen oder Berufsbildern. Es zeigte sich, dass die theoretisch fundierte Adaption dieser Items unmöglich ist, wenn das theoretische Konstrukt des GIAP nicht in vollem Umfang bekannt bzw. publiziert ist.
Inhaltlich sind die von den teilnehmenden Expertinnen kritisierten fehlenden Begriffsdefinitionen zu berücksichtigen. Eine Anregung war die Ergänzung einzelner Items mit Beispielen, damit für die Befragten nachvollziehbar ist, worauf sich das Item bezieht, etwa bei der Formulierung „spezialisierte Dienstleistunge“. Bei der Instrumentenentwicklung wird das Item „Lack of specialized services for the elderly (e.g., oral care, podiatry)“ (Abraham et al. 2020, S. 56) einer Faktorengruppe zugeordnet, die Hindernisse durch institutionelle Routinen hervorheben. Fulmer und Mezey (2020, S. 42) beschreiben die Anforderungen an altersadäquate Leistungen als „The care of older adults requires nurses, physicians, and other professionals to function as an integrated team capable of forming goals that incorporate the services of more than one discipline.“ Dadurch wird die im CD geäußerte Vermutung, ob es sich um erweiterte und spezialisierte pflegerische, therapeutische und medizinische Leistungen handelt, erhärtet. Selbsterklärend ist der Begriff „services“ nicht, denn er kann im Krankenhaus auch ein interdisziplinäres Team in der Notaufnahme und auf geriatrischen Stationen (Huang et al. 2011) oder bauliche Strukturen und niederschwelligen Zugang (Ahmadi et al. 2015) umfassen. Beispiele fanden die Zustimmung aller Expertinnen, jedoch empfiehlt der European Social Survey (2018) vom Hinzufügen abzusehen, um den beabsichtigten Stimulus der Frage nicht zu beeinflussen.
Im CD wurden ethische Aspekte erörtert, da zu berücksichtigen ist, dass Worte Empfindungen auslösen. Das Wort „Schwierigkeiten“ oder die Fragen in den Wissenskomplexen und die möglichen negative Assoziationen wurden kritisch diskutiert und die Intension hinterfragt. In der Literatur gibt es Hinweise darauf, dass die genannten Assoziationen negative Auswirkungen auf die pflegerische Praxis haben. Diese zeigen sich in der Einstellung des Pflegepersonals und in der Pflegequalität, insbesondere wenn der Alterungsprozess als problematisch dargestellt wird (Gugliucci und O’Neill 2019; Nemiroff 2022).
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Schlussfolgerung
Das Thema „altersgerechtes Krankenhaus“ ist hoch aktuell, und wenn es gelingt, negative Auswirkungen durch den stationären Aufenthalt zu vermeiden, so wirkt sich dies positiv auf den Betroffenen, dessen Angehörigen und das Sozialsystem aus. Die Komplexität der physiologischen Veränderungen des alternden Körpers und die erworbenen Krankheiten fordern spezifisches Fachwissen. Um die Weiterentwicklung der pflegerischen Praxis und der gesundheitlichen Versorgung im Akutkrankenhaus zu ermöglichen, ist es sinnvoll, entsprechende Erhebungsinstrumente zu verwenden. Die erste Übersetzung und kulturelle Adaption des „GIAP“ für die D‑A-CH-Region zeigten die Wichtigkeit der theoretischen Fundierung eines Instruments für die kulturelle Adaption auf. Für die weitere Arbeit mit dem „GIAP“ in der D‑A-CH-Region, sollten die Items bezüglich theoretischer Fundierung und Adaption an die Gesundheitssysteme, Ausbildungen und Kultur überprüft werden.
Limitationen
Einige der Limitationen der Arbeit ergaben sich durch die internationalen projektbedingten Vorgaben; dies umfasste die Wahl des Instruments sowie die Vorgangsweise bei der Übersetzung und dem quantitativen Pretest. Eine weitere Einschränkung war, dass an der Übersetzung nur 2 Länder der D‑A-CH-Region teilnahmen. Obwohl die hochdeutsche Ausdrucksweise in allen drei Ländern verwendet wird, mit starken Ähnlichkeiten in D und A, zeigen sich Unterschiede in der Alltagssprache. Im CVI war das Verhältnis der teilnehmenden Personen, bezogen auf ihr Herkunftsland, unausgeglichen, da in Österreich und Deutschland weniger spezialisierte Pflegepersonen (Qualifikationsniveau Master of Science), vorhanden sind. Um den möglichen Einfluss des Schweizer- (Hoch‑)Deutsch auszugleichen, wurden ein angeregter Diskurs zwischen den drei Autorinnen geführt, die Formulierungen wiederholt reflektiert und im CD auf eine identische Anzahl von Expertinnen je Land geachtet. Die Abbildung der drei Gesundheitssysteme und deren Berufsgruppen war eine Herausforderung bei der Gestaltung der soziodemografischen Daten.
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