Auch in Großbritannien herrscht ein Mangel an Ärzten und Pflegekräften. Dieser hat sich durch den EU-Austritt vor fünf Jahren deutlich verschärft.
Dem britischen Gesundheitswesen hat der Brexit nicht gut getan.
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Fünf Jahre ist es nun her, dass Großbritannien die Europäische Union (EU) verließ und inzwischen wird immer deutlicher, welch teils gravierende Konsequenzen der Brexit auch für das staatliche britische Gesundheitswesen (National Health Service, NHS) hat. Personalmangel, Probleme bei der Beschaffung von Arzneimitteln und Medizintechnik – um nur einige Faktoren zu nennen.
„Der Brexit war und ist ein Desaster gerade für das Gesundheitswesen. Sprechen sie nur einmal mit Ärztinnen und Ärzten oder Pflegepersonal. Die werden ihnen alle dasselbe erzählen“, so ein Londoner Klinikarzt zur Ärzte Zeitung. Und: „Wir arbeiten seit dem Brexit noch öfter am Anschlag und es fehlt auch an Personal. Viele Kolleginnen und Kollegen aus anderen europäischen Ländern haben nach dem Brexit den Gesundheitsdienst und das Land verlassen. Sie fehlen uns jetzt. sehr“
Das ist keine Einzelmeinung, hört man sich in diesen Tagen in Kliniken und Arztpraxen zwischen London und Liverpool um. Der größte und wichtigste britische Berufsverband für Ärztinnen und Ärzte (British Medical Association, BMA) hatte bereits vor dem Brexit Referendum im Juni 2016 eindringlich vor einem Austritt aus der EU gewarnt. An dieser Meinung hat sich bis heute auch nichts geändert - im Gegenteil: „Diverse Studien haben ganz eindeutig belegt, dass der Brexit dem Gesundheitswesen geschadet hat“, heißt es in einem BMA-Positionspapier zu dem Thema.
Über 4.000 Ärzte weniger aus der EU und dem europäischen Freihandelsraum
Wie der Nuffield Trust kürzlich in einer im Auftrag der britischen Tageszeitung „Guardian“ durchgeführten Studie feststellte, arbeiten heute rund 37.000 Ärztinnen und Ärzte aus der EU und dem europäischen Freihandelsraum in Großbritannien. Hätte das Königreich die EU nicht verlassen, so wären es laut Nuffield Trust heute dagegen rund 41.320 Ärztinnen und Ärzte. „Der Brexit hat zu einer deutlichen Verlangsamung der Rekrutierung von EU-Medizinerinnen und Medizinern geführt“, heißt es. Besonders betroffen von den Rekrutierungsproblemen als Folge des EU-Austritts sind vier Fachgebiete: Anästhesie, Pädiatrie, Psychiatrie und Kardiologie.
Britische Krankenhäuser, Arztpraxen und andere Gesundheitseinrichtungen seien heute für EU-Ärztinnen und -ärzte „deutlich weniger attraktiv als vor dem Brexit“. Gründe seien unter anderem zusätzliche bürokratische Hürden, um im Königreich leben und praktizieren zu können sowie die damit verbundenen höheren Kosten, sich auf der Insel eine neue berufliche Existenz aufzubauen. „Das sehr aufwendige und umständliche Visa-Verfahren ist ebenfalls ein großes Hindernis“, so Nuffield-Sprecherin Martha McCarey.
Doch der Brexit hat nach Expertenmeinung nicht nur auf die Ärzteschaft einen überaus negativen Effekt. Noch stärker betroffen sind die Pflegeberufe sowohl im Sozialwesen als auch im Gesundheitswesen. Die größte britische Krankenpflegergewerkschaft (Royal College of Nursing, RCN) weist seit Jahren auf die Probleme hin, die der EU-Austritt auf den täglichen Klinik- und Praxisalltag hatte und nach wie vor hat.
Negative Konsequenzen für die Patientenversorgung
So ist die Zahl qualifizierter Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger, die aus anderen EU-Ländern nach Großbritannien kommen, um dort zu arbeiten, seit dem EU-Austritt deutlich gesunken. Kamen laut Nursing and Midwifery Council (NMC), einem Organ der medizinischen Selbstverwaltung, im Jahr vor dem Brexit 2015/16 noch knapp 9.400 Krankenpflegerinnen und -pfleger ins Königreich, waren es 2021/ 22 nur noch rund 660 Personen. „Seit dem Brexit-Referendum ist die Zahl der nach Großbritannien kommenden qualifizierten Pflegerinnen und Pfleger dramatisch gesunken.“ Gründe dafür seien unter anderem große Unsicherheiten bezüglich der beruflichen Zukunft, neue Sprachtests für Neuankömmlinge, andere bürokratische Hürden und deutlich höhere Kosten, so das NMC. Zwar bemüht sich das Londoner Gesundheitsministerium seit dem EU-Austritt, qualifizierte Pflegekräfte und auch Ärztinnen und Ärzte im nicht-europäischen Ausland anzuwerben. Doch das bringe neue Probleme, so die BMA.
All dies hat nach übereinstimmender Meinung von Ärzten und gesundheitspolitischen Beobachtern sehr negative Auswirkungen auf die Patientenversorgung im Königreich. Zwar sind die Probleme des NHS wie lange Wartezeiten und überfüllte Wartezimmer in den staatlichen Primärarztpraxen nichts neues und wohl bekannt. Doch all dies hat sich in den vergangenen Jahren, seitdem das Land die EU verließ, merklich verschlimmert. Millionen NHS-Patientinnen und Patienten können davon ein Lied singen…
Dem NHS wurde die Luft abgedrückt
Auch gesundheitspolitisch ist das Thema „Brexit“ seit Jahren ein Dauerbrenner auf der Insel. Sowohl die regierende Labour Partei unter Premierminister Keir Starmer als auch die Liberalen machen die im Juli 2024 abgewählte konservative Regierung für die Brexit-Probleme des staatlichen Gesundheitswesens verantwortlich. „Die Tatsache, dass heute mehr als 4.000 weniger dringend benötigte EU-Fachärztinnen und -ärzte bei uns arbeiten als wäre dies der Fall gewesen, hätten wir die EU nicht verlassen, ist wahrlich schockierend“, sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der Liberalen, Daisy Cooper.
„Ob nun absurde neue Ruhestandregeln oder teure und komplizierte Visa-Verfahren – die Konservativen haben unserem NHS die Luft abgedrückt.“
Quelle: Ärzte Zeitung