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01.11.2024 | Pflege Alltag

Arbeiten nach Biorhythmus

verfasst von: Katja Marquardt

Erschienen in: Heilberufe | Ausgabe 11/2024

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So geht's auch Um die Gesundheit der Mitarbeitenden zu erhalten, hat die bayerische Rehaklinik Wartenberg vor Jahren ein inzwischen zertifiziertes und mehrfach prämiertes Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) aufgebaut: Arbeiten nach dem eigenen Biorhythmus in Deutschlands erster „Chronoclinic“.
Teil des BGM ist das Arbeiten nach der inneren Uhr - das deutschlandweit einzigartige und wissenschaftlich begleitete Projekt „Chronobiologie“ schuf dazu die notwendigen Voraussetzungen. Dass das Arbeiten im Dreischichtsystem auf Dauer sehr belastend sein kann, ist wenig verwunderlich. Bei Mitarbeiterbefragungen wurden immer wieder Schlafstörungen und deren psychosomatische und körperliche Auswirkungen wie Abgespanntheit, Müdigkeit und Mattheit genannt. Doch geht es in der Pflege überhaupt anders?
Der Startschuss für das Projekt „Chronobiologie“ fiel mit der Studie „Chronotyp-orientierte Personaleinsatzplanung“ (COPEP®) bereits 2019. Die Belegschaft der Klinik im oberbayerischen Landkreis Erding war eingeladen, ihren individuellen Chronotyp bestimmen zu lassen. Ermittelt wurde der Chronotyp durch einen wissenschaftlichen Fragebogen und eine Blutuntersuchung. Dieser Biomarkertest wurde an der Berliner Charité entwickelt, inzwischen ist auch die Bestimmung anhand einer Haarprobe möglich. Das Ergebnis spiegelte größtenteils die Verteilung, die es insgesamt in der Bevölkerung gibt, also die meisten im Normalbereich und ein paar ausgeprägte Früh- und Spättypen. Darunter einige, die extrem gegen ihre innere Uhr arbeiteten - und es vorher gar nicht wussten. In der anschließenden Testphase über ein halbes Jahr steigerte sich das Wohlbefinden der Teilnehmenden, sie bewerteten unter anderem ihren Schlaf als qualitativ besser und auch länger. Die Tagesmüdigkeit nahm ab, die Aufmerksamkeit zu, und auch der Enthusiasmus für Dinge außerhalb des Arbeitsalltags stieg. Dafür gab es 2021 den BGF-Preis „Gesunde Pflege“ der AOK Bayern.

Sich freiwillig testen lassen

Seit Sommer 2020 ist es möglich, seiner inneren Uhr entsprechend zu arbeiten. Dies ist in einer Betriebsvereinbarung festgehalten: „Jeder, der sich testen lässt, hat den Anspruch, nach diesem Ergebnis so gut es geht eingesetzt zu werden“, erklärt Klinikcontroller und Fachkraft für Betriebliches Gesundheitsmanagement Norman Daßler, der das Projekt in seiner Zeit als Pflegedienstleiter mitinitiierte. Auch neuen Mitarbeitenden wird dieser für sie kostenlose Test angeboten. Ob ein Angestellter sich testen lässt, das Ergebnis intern weitergibt und auf dieser Basis seine Arbeitszeit anders ausrichten möchte, entscheidet allein er.
Über die Testphase hinaus wurde das Angebot von den Pflegenden bislang leider wenig genutzt - aus anderen Arbeitsbereichen sehr wohl. „Viele Pflegekräfte fühlen sich ihrem Team gegenüber stark verpflichtet, außerdem ist der restliche Alltag zeitlich an anderen Gegebenheiten ausgerichtet, wie etwa den Schulen“, erklärt sich Daßler, der selbst lange als Krankenpfleger tätig war, diese Zurückhaltung. Andere Gründe sind zum Beispiel monetäre Anreize, wie Nachtdienstzuschläge. Daßler appelliert jedoch weiterhin daran, es mal auszuprobieren. Die geriatrische Rehaklinik möchte ihre Mitarbeiter*innen dafür sensibilisieren, dass sich die Berücksichtigung des Chronotyps positiv auf ihr Schlafverhalten - und damit auch auf ihre Gesundheit, ihre Leistungsfähigkeit und ihr allgemeines Wohlbefinden - auswirkt. Ob die neuen Arbeitszeiten „wirken“, erkenne man ganz einfach daran, ob man zum Aufwachen einen Wecker braucht. Eine sogenannte biodynamische Beleuchtung in der Klinik unterstützt den natürlichen Tagesrhythmus - auch den der Patient*innen - hierbei zusätzlich.
Im Stationsalltag sähe das Ganze so aus: Die Stationsleitungen könnten die Teams so zusammenstellen, dass es zu den einzelnen Chronotypen passt. „Wenn der Nachtdienst endet, reicht eine Pflegekraft im Frühdienst für die Übergabe völlig aus“, sagt Daßler. Die zweite Pflegekraft könne auch 30 Minuten später anfangen, die dritte eine Dreiviertelstunde später - dank der digitalen Dokumentation kein Problem.

Breites Sport- und Entspannungsangebot

Beim betrieblichen Gesundheitsmanagement arbeitet die mit 150 Betten größte stationäre Einrichtung für geriatrische Rehabilitation in Bayern bereits seit 15 Jahren eng mit der AOK zusammen. Für dieses Engagement erhielt die Klinik 2016 von der AOK als erstes Unternehmen in Bayern das Gütesiegel „Gesundes Unternehmen“ in Silber. Die Leitungsebene ist im „gesunden Führen“ geschult.
Manche Menschen suchen Ruhe und Einkehr, um sich zu entspannen, für andere ist Action angesagt. Deshalb ist das Gesundheitsprogramm der Klinik Wartenberg breit aufgestellt. Ob Ergometer-, Kraft- und Zirkeltraining, Rückenschule und Wassergymnastik, Qi-Gong, Autogenes Training oder die regelmäßige Fortbildung „Gesunder Rücken - Kinästhetik, Ergonomie“. Die Inhouse-Angebote erfreuen sich großer Beliebtheit. Wer möchte, hat auch am Wochenende Zugang zu den Sporträumlichkeiten der Klinik. „Sportliche Betätigung und Entspannung belohnen wir“, sagt Daßler. Wer im Monat zehn Einheiten à 30 Minuten nachweisen kann - dazu zählen auch privat betriebene Sportarten -, bekommt im Quartal einen 40-Euro-Wertgutschein. Darüber hinaus bietet eine Musiktherapeutin einmal pro Woche Singen im Chor an - inklusive gelegentlicher kleiner Konzerte für die Patient*innen.

Flexibel und auch altersgerecht

Die Klinik befindet sich auf einem 30 Hektar großen Wald- und Parkareal, und so können auch Sport- und Entspannungsangebote für die Mitarbeitenden inmitten dieser schönen Natur stattfinden. Nicht zuletzt bietet das Klinikgelände mit dem großen Wald auch ideale Bedingungen für einen Waldkindergarten an.
In Supervisionen und in psychologischen Einzelgesprächen können die Mitarbeitenden Themen aus dem Arbeitsleben, etwa Unstimmigkeiten unter Kollegen, besprechen. Auch der private Bereich, zum Beispiel bei Trennung oder Trauerarbeit, kann einfließen. Das Seelsorgeteam ist eben nicht nur für die Patient*innen, sondern auch für die Mitarbeiter*innen da.
Die Klinik Wartenberg ist bestrebt, neben flexiblen Arbeitszeiten auch alternsgerechte Arbeitsplätze anzubieten. In den letzten Jahren wurden Stellen geschaffen, bei denen ältere Mitarbeiter*innen zunehmend andere, weniger körperlich anstrengende Aufgaben übernehmen. In einem aktuellen Projekt wurde die wöchentliche Arbeitszeit der teilnehmenden Pflegekräfte von 40 Stunden auf 37 reduziert, mit dem Ergebnis, dass weder der Druck noch die Überstunden zunahmen, die Fehlzeiten zurückgingen und zudem die hohe Versorgungsqualität aufrechterhalten werden konnte.
Aktuell hat die Klinik zwölf Auszubildende in der Pflege, früher in der Altenpflege, heute in der Generalistik. War die geriatrische Rehabilitation für angehende Altenpflegekräfte noch ein attraktiver Arbeitsplatz, haben heute die generalistisch Ausgebildeten natürlich viel mehr Alternativen. „Geriatrie ist ein Knochenjob, unser durchschnittlicher Patient ist 84 Jahre alt“, räumt Norman Daßler ein. Derzeit steht eine komplett renovierte Station leer - wegen Personalmangels. Wie überall in der Pflege ist daher auch die bayerische Rehaklinik auf ausländische Pflegekräfte angewiesen. „Um die Auslandsrekrutierung kommen wir nicht herum“, sagt Daßler. Die Klinik wirbt daher viel und breit im Ausland um Pflegekräfte. So arbeiten in der Klinik derzeit über alle Berufsgruppen hinweg 35 Nationen. Von Abwerbeprämien hält Daßler hingegen nichts. „Durch die teils immens hohen Abwerbeprämien ist es nicht verwunderlich, dass gerade ausländische Pflegekräfte häufig den Arbeitgeber wechseln.“
In seiner Zeit als Pflegedienstleiter hat Daßler die Stelle des Integrationsbeauftragten ins Leben gerufen. „Jeder neue Mitarbeiter, der zu uns kommt, wird durch die Integrationsbeauftragte begleitet.“ Nicht nur bei der Arbeit, sondern auch im Alltag. Es besteht zudem eine Kooperation mit einer Deutschlehrerin, die ins Haus kommt, der Deutschkurs ist kostenlos. „Wir liegen wunderschön im Grünen, aber ohne Auto wird es hier schwierig“, sagt Daßler. Für Zugezogene bietet das Unternehmen daher Betriebswohnungen unterschiedlicher Größe in unmittelbarer Nähe zur Klinik. Alle Beschäftigten haben die Möglichkeit, ein E-Auto zu leasen.

Nachahmung erwünscht

Mit ihrer Chronotyp-orientierten Personaleinsatzplanung möchte die Klinik gerne zum Vorbild für andere Häuser werden. „Ich würde mir wünschen, dass auch gesamtgesellschaftlich das Bewusstsein für die innere Uhr wächst“, sagt der Leiter des Controllings.
Natürlich wird man im Schichtdienst immer wieder auch gegen die eigene innere Uhr arbeiten müssen - „aber wenn man von 20 Diensten 15 nach dem eigenen Chronotyp arbeitet, ist schon viel gewonnen“, ist Daßler überzeugt. „Und dann laufen die Pflegekräfte den Einrichtungen vielleicht nicht mehr weg, wird der Beruf attraktiver. Weil die Pflegenden durch dieses Angebot einfach persönliche Zuwendung und Wertschätzung erfahren.“ Mit einer Fluktuationsquote von derzeit drei Prozent und einer Krankheitsquote von 6,5 Prozent ist die Klinik Wartenberg da auf einem guten Weg.

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Metadaten
Titel
Arbeiten nach Biorhythmus
verfasst von
Katja Marquardt
Publikationsdatum
01.11.2024
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Heilberufe / Ausgabe 11/2024
Print ISSN: 0017-9604
Elektronische ISSN: 1867-1535
DOI
https://doi.org/10.1007/s00058-024-3714-2